Fachkräftemangel war gestern: Jetzt kommt die große Entlassungswelle
Trotz Fachkräftemangel kündigen immer mehr Unternehmen Personalabbau an. Von VW bis DB – die Liste wächst. Doch was bedeutet das für die Betroffenen?
Die Meldungen gleichen sich. Trotz Fachkräftemangel sprechen Unternehmen von Personalabbau. Ob Volkswagen, SAP, Commerzbank oder Deutsche Bahn – in diesem Jahr haben besonders viele Unternehmen Programme zum Personalabbau gestartet.
Nach einer Umfrage des Verbands der Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) halten sich viele Unternehmen aktuell mit Investitionen zurück. Ein Viertel will stattdessen in den nächsten sechs Monaten Personal abbauen.
Vor psychischen Folgen wird bereits gewarnt. Der Verlust tausender Arbeitsplätze könnte nach Ansicht der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen erhebliche Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Menschen haben. Denn viele Menschen gerieten in existenzielle Notlagen.
Zwar führe nicht jede Arbeitslosigkeit zu psychischen Erkrankungen, für manche sei sie jedoch "der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt", warnt Kammerpräsident Andreas Pichler. Besonders Kinder litten, wenn die Eltern plötzlich Freizeitaktivitäten wie Vereinssport oder Musikunterricht nicht mehr bezahlen können.
Das führt sehr schnell zu Ausgrenzungserleben, wenn die Kinder vielleicht die Einzigen sind, die nicht mit auf die Klassenfahrt mitfahren können oder die nicht mehr beim Fußballverein mitmachen können.
Andreas Pichler
Viele Beschäftigte nutzen die Tipps von Job-Portalen, um zu erkennen, ob der Job gefährdet ist.
Regelmäßige Mitarbeitergespräche sind wichtig, um Feedback zu erhalten und Entwicklungen zu besprechen. Werden Sie in jüngster Zeit aber häufiger zum Personalgespräch gebeten und erhalten dabei überwiegend Kritik, ist das ein Warnzeichen.
Karrierebibel
Die Karrierebibel empfiehlt, auf Veränderungen des eigenen Aufgabenprofils zu achten und zu recherchieren, ob sich Kunden über Zahlungsausfälle beschweren.
Manchmal lässt sich nichts mehr retten. Die Kündigung ist beschlossene Sache. In dem Fall sollten Sie Ihre Bewerbungsunterlagen aktualisieren und Kontakte reaktivieren. Wenn Sie merken, dass Sie gegangen werden sollen, sollten Sie sich in Jobbörsen umsehen. Noch bewerben Sie sich aus einer Position der Stärke: aus ungekündigter Stellung.
Karrierebibel
Vor schnellen Entscheidungen wird gewarnt. Vereinbart ein Angestellter die Beendigung seines Vertrags, kann dies zu einer Sperre beim Arbeitslosengeld führen, wenn kein neues Arbeitsverhältnis folgt. "Bis zu zwölf Wochen kann die Sperrzeit dauern", sagt Finanztip.
Laut Kündigungsschutzgesetz: Sozial gerechtfertigt ist auch die Entlassung
Betroffene sollten sich nicht täuschen lassen – denn ein oberflächlicher Blick in das Kündigungsschutzgesetz scheint positiv zu stimmen. Heißt es doch im Paragraf 1, die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ist unwirksam, "wenn sie sozial ungerechtfertigt ist". Wie dies zu verstehen ist, entscheiden letztlich Arbeitsgerichte.
Das Beispiel "krankheitsbedingte Kündigungen" zeigt, wie weit Anspruch und Wirklichkeit auseinander liegen können. Will ein Manager den gesamten Betrieb schließen, da ihm ein anderer Standort lukrativer erscheint, kann er betriebsbedingte Kündigungen für die gesamte Belegschaft aussprechen.
Das Gesetz verbietet dies nicht, er muss lediglich Fristen einhalten und Gründe benennen – dann gilt eine Kündigung dieser Art als "sozial gerechtfertigt". Gibt es einen Betriebsrat, ist dieser vor jeder Kündigung anzuhören. Das Unternehmen hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.
Risiko: Änderungskündigung
Ratschläge erhalten auch Manager. Personalverantwortlichen wird das Instrument der "Änderungskündigung" empfohlen. Dabei werden dem Beschäftigten schlechtere Arbeitsbedingungen angeboten und gleichzeitig mit Kündigung gedroht.
"Nimmt der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin das Angebot nicht an, entfaltet die Erklärung die Wirkung einer Beendigungskündigung. Stimmt der Mitarbeitende dagegen zu, gelten die neuen Arbeitsbedingungen nach Ende der Kündigungsfrist", beschreibt haufe.de die Situation aus Sicht einer Personalverwaltung.
Sollen Krisensymptome genutzt werden, um Löhne zu senken, wird die Änderungskündigung zum Risiko für die Beschäftigten. Dabei muss die Unternehmensleitung allerdings geschickt vorgehen, wie haufe.de beschreibt:
Das Weisungsrecht hat aber Grenzen: Wesentliche Vertragselemente wie zum Beispiel das Arbeitsentgelt darf der Arbeitgeber nicht einseitig zum Nachteil des Arbeitnehmers verändern. Eine Versetzung des Mitarbeiters gegen seinen Willen auf einen Arbeitsplatz mit geringerer Entlohnung ist daher regelmäßig im Wege des Direktionsrechts nicht möglich. Wo das Weisungsrecht des Arbeitgebers endet, bedarf es dann einer Änderungskündigung.
Chancen des Einzelnen sind gering
Möchte das Unternehmen einen Betriebsteil schließen oder Massenentlassungen vornehmen, muss mit dem Betriebsrat verhandelt werden. Entschlossene Betriebsratsgremien machen in den Verhandlungen zum Interessenausgleich Gegenvorschläge zum Erhalt der Arbeitsplätze. Dazu zählt die Suche nach Ersatzarbeitsplätzen.
Ein Beispiel wird in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Arbeitsrecht im Betrieb geschildert: Ein Automobilzulieferer wollte in einer Sparte Personal abbauen. Der Betriebsrat blieb jedoch hartnäckig, bestand auf ausführlicher Beratung: Qualifizierung statt Entlassen, war das Motto.
Anhand der strategischen Personalplanung wurde deutlich, dass in der verbleibenden Sparte in den nächsten Jahren mit gravierenden Personalengpässen zu rechnen sein würde. Es wurde deutlich, dass Beschäftigte aus der "Abbausparte" direkt in die "Zukunftssparte" wechseln könnten und ein weiterer Teil der Belegschaft nach einer Qualifizierungsmaßnahme übernommen werden kann.
So wurde ein großer Teil der Entlassungen vermieden. Das Beispiel zeigt, wie schlecht die Chancen des vereinzelten Kampfes gegen die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind.