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Fallbeispiel Griechenland: Wie in Europa um Klimaschutz gekämpft wird

Ein Windpark im Panachaiko, einer Bergkette auf der Peloponnes in Griechenland. Bild: Koliri / CC BY-SA 3.0

Schon jetzt stammt viel Strom in Griechenland aus erneuerbaren Quellen. Doch die Regierung setzt auf Erdgasförderung, missachtet Umweltschutz und würgt die Energiewende von unten ab. Der Fall zeigt auch, woran es beim Klimaschutz in Europa hakt.

Umweltschutzgruppen, Bürger und linke Oppositionsparteien beteiligen sich, wie am Wochenende auf Euböa und Skyros, an Demonstrationen gegen Windkraftanlagen [1]. Sie wenden sich mit Petitionen an die EU, um 50 Windräder in einem Naturschutzgebiet bei Lavrion zu verhindern [2]. Diese werden mit Genehmigung und Förderung der konservativen Regierung im gesamten Land installiert.

Die Regierung präsentiert sich als Garant im Kampf gegen die Klimakatastrophe. Premier Kyriakos Mitsotakis feiert, dass unter seiner Regierung der Anteil der Solarenergie auf zehn Prozent anstieg [3].

Mitsotakis ist stolz auf Rekorde im Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energie. Am 7. Oktober konnte das Land mindestens fünf Stunden lang ausschließlich mit erneuerbaren Energien energetisch versorgt werden. Bis zum Ende des Jahres soll die Leistung der auf Nutzung erneuerbarer Energien basierenden Stromerzeugung auf mehr als 10.000 Megawatt ansteigen.

9.300 Megawatt waren es zu Beginn des Jahres. Während seiner Amtszeit, seit 2019, stieg die Leistung der erneuerbaren Energienutzung um 60 Prozent [4]. Anträge für die Installation weiterer 23 Gigawatt aus erneuerbaren Energiequellen liegen bereits vor [5]. Von Januar bis Ende August deckte Griechenland 37,5 Prozent seiner elektrischen Energie allein mit erneuerbaren Energien ab.

Gleichzeitig hat die Regierung internationale Naturschutzorganisationen wie den WWF gegen sich aufgebracht. Sie verlängerte die Abbaulizenzen für heimische Braunkohle [6]. Wie passt das alles zusammen?

Seismische Untersuchungen vor Kreta

In den Hauptnachtrichten des Senders ANT1 stellte sich der griechische Premier Kyriakos einem Interview bei einem seiner Lieblingsjournalisten, dem Verleger-, Radiobesitzer und Hauptnachrichtensprecher Nikos Chatzinikolaou. Es war kurzfristig anberaumt worden, weil seit dem ersten Novemberwochenende bekannt ist, dass auch Minister der Regierung, deren Ehefrauen und Freunde mit der Predator-Spionagesoftware ausspioniert wurden. Der Regierungschef versuchte angesichts des Drucks mit einer Exklusivinformation zu punkten [7].

Bereits in den nächsten Tagen, so Mitsotakis, würden südlich und südwestlich vor Kreta und der Peloponnes seismische Untersuchungen stattfinden. Exxon Mobil sei bereit dafür. Ab 2025 würde Erdgas gefördert werden, versprach Mitsotakis, "unser Land muss ungeachtet seines Engagements für die schnelle Wende zu erneuerbaren Energien prüfen, ob es derzeit die Möglichkeit hat, Erdgas zu fördern, das nicht nur zu unserer eigenen Energiesicherheit, sondern auch zur Energiesicherheit Europas beitragen wird."

Am selben Tag reiste Mitsotakis zur 27. Weltklimakonferenz [8] nach Scharm El-Scheich in Ägypten, um dort Griechenland als Transitkorridor für die Lieferung von Wasserstoff aus dem Nahen Osten und Afrika nach Europa zu bewerben [9]. Er betonte bei der Klimakonferenz, dass Griechenland "ein führendes Land bei erneuerbaren Energien ist. Ein großer Teil unserer Energie, die Hälfte der heute über 10 Gigawatt installierten Leistung, stammt aus der Photovoltaik, aber auch aus Windenergie und Wasserkraft." Auch in diesem Zusammenhang bewarb er Griechenland.

(W)ir haben unser Klimagesetz verabschiedet und wollen Stromexporteure für den Rest Europas werden.

Er erklärte jedoch auch, dass man investieren werde "in die Erdgasinfrastruktur, um unsere Energiesicherheit zu stärken." Im vergangenen Jahr sah die Regierung ihre Energiesicherheit durch russisches Erdgas gesichert. Griechenland würde 2022 einen Rekord bezüglich der Gasimporte aus Russland erreichen, feierte im Dezember 2021 Gazprom, und die Medien in Griechenland verbreiteten die Meldung kritiklos weiter [10].

Tatsächlich fährt Mitsotakis zweigleisig. Er verteilt an große einheimische Unternehmen, die seiner Regierung nahestehen, Konzessionen für Windparks und Photovoltaikanlagen und begünstigt gleichzeitig die Förderung fossiler Energiequellen aus der Ägäis.

Das griechische Umweltgesetz ist hinsichtlich der geforderten Verkehrswende eines der strengsten in Europa [11]. Ab 2024 muss ein Viertel des Fahrzeugparks von Unternehmen elektrisch betrieben sein. Nur kleine Betriebe sind von der Vorschrift ausgenommen. Ab 2026 müssen alle neuen Taxis in Athen und Thessaloniki elektrisch betrieben sein. Eine Ausweitung auf weitere Städte ist im Gesetz vorgesehen. Bei der Förderung der E-Mobilität ist der Staat im Vergleich zu Deutschland und in Relation zur Wirtschaftsleistung großzügiger. E-Autos und Hybride werden gefördert.

Vor allem die Inseln sollen energetisch autark werden. Städten und Gemeinden wird per Gesetz vorgeschrieben, wieviel Prozent CO2-Ausstoß jährlich eingespart werden muss.

Nominell beträgt die Maximalförderung für E-Autos von Privatpersonen 6.000 Euro. Wird darüber hinaus noch ein Verbrenner aus dem Verkehr gezogen, kommen noch einmal 1.000 Euro dazu. Weitere 1.000 Euro gibt es für Familien mit drei Kindern oder für körperlich Behinderte. Taxifahrer erhalten 10.500 Euro Förderung und, wenn sie drei Kinder haben, noch einmal 1.000 Euro extra.

Für elektrische Motorräder oder Trikes gibt es bis zu 800 Euro Grundförderung. Die Verschrottung eines Verbrenners beschert hier weitere 500 Euro. Radfahrer erhalten für ein Elektrofahrrad ebenfalls 800 Euro Förderung und können sie um weitere 500 Euro erhöhen, wenn ein Zweirad mit Verbrennermotor aus dem Verkehr gezogen wird [12]. Mit einem fiskalischen Ergänzungsgesetz wurde geregelt, dass auch privat genutzte elektrische Dienstfahrzeuge beim Arbeitgeber aufgeladen werden können und dies nicht als Einkommen des Arbeitnehmers versteuert werden muss [13].

WWF, Greenpeace, Syriza gegen Erdgasförderung

Die Förderung von Erdgas vor Kreta und dem Peloponnes stellt wegen des Streitpotentials mit der Türkei nicht nur ein geopolitisches Risiko dar. Der WWF deckte auf, dass die seismischen Untersuchungen bereits vor dem Interview von Mitsotakis, "im Geheimen" am 25. Oktober begannen. Die Naturschutzorganisation sieht darin einen Widerspruch zu den ihrer Ansicht nach unzureichenden Naturschutzbestimmungen, die solche Untersuchungen zum Schutz der Meerestiere ausschließlich im Winter zulassen.

Der WWF bemängelte, dass die vom Staat mit den Energiekonzernen geschlossenen Verträge diese von Umweltschutzauflagen freistellen. Zudem würde der griechische Staat nicht korrekt über die seismischen Untersuchungen informieren. Demgegenüber argumentiert der Professor für Geologie Efthymios Lekkas [14], dass seismische Untersuchungen keinerlei Auswirkungen auf die Meeresbiologie hätten [15].

Der Parlamentarier von MeRA25 und frühere Europaabgeordnete der PASOK Kriton Arsenis beklagt ebenso wie der WWF und Greenpeace, dass die seismischen Bohrungen begonnen haben, obwohl vor dem obersten Gericht, dem Staatsrat, eine Entscheidung über deren Rechtmäßigkeit verhandelt wird. Die Anhörung vor dem Staatsrat fand am 2. November 2022 statt. Arsenis Partei erwartet keinen Gewinn für die Griechen durch die fossilen Vorkommen.

Die Erdgasförderung wird nichts zur Energieversorgung des Landes beitragen und das griechische Volk wird keinen einzigen Euro von den Gewinnen der multinationalen Giganten erhalten, während die Erschließung zusätzlich zu den enormen Umweltrisiken neue Spannungen in der gesamten Region schafft und zu neuen Rüstungsprogrammen mit neuer Überschuldung führt.

Tatsächlich wurde bereits im August bekannt, dass Exxon Mobil bis 2024 die Untersuchungen in den Meeresgebieten abschließen sollte und seismische Untersuchungen für den Winter 2022/2024 geplant seien [16]. Die entsprechenden Presseberichte fanden weniger Beachtung als nun das Interview von Mitsotakis. Der Europaparlamentarier von SYRIZA, Petros Kokkalis, verurteilt Mitsotakis [17]:

Der Premierminister erinnert sich an die Klimakrise nur, wenn es menschliche Opfer oder materielle Schäden zu beklagen gibt. Er philosophiert darüber vor Fernsehkameras. Solange er sich aber nicht auf eine Position fixiert – die des Klimakrisenleugners oder die des Retters –, verspottet er uns mit der Rhetorik von Franz Timmermans und den Aktionen von Donald Trump.

Chaos bei den Windparks

Ähnlich wechselhaft wie in der generellen Energieplanung verhält sich die Regierung bei der Genehmigung von Windparks. Diese können mit dem Klimagesetz auch in Naturschutzgebieten und auf archäologischen Fundstätten errichtet werden. Zumindest in Naturschutzgebieten ist dies nach Aussagen von Experten möglich, wenn Natur- und Umweltschutzbedingungen hinreichend beachtet werden [18]. Weil das jedoch in Griechenland wegen der Lücken des Klimagesetzes nicht unbedingt der Fall ist, haben die Bürgerinitiativen, die gegen Windparks demonstrieren, Naturschutzorganisationen an ihrer Seite [19].

Auf Skyros sollen 58 Windräder mit einer Höhe von 150 m errichtet werden. Das Problem sind jedoch nicht die Windräder selbst, sondern vielmehr die mit staatlichen Geldern geförderte Zufahrtsstraßen. Auf Skyros gibt es im betreffenden Investitionsgebiet 55 Gebiete ohne jegliche Straßen [20].

Ähnliche Proteste in den Agrafa, einem Gebiet des Nomos Evrytania in der Region Zentralgriechenland, waren erfolgreich. Die dort begonnene Installation von Windrädern, ein Projekt, welches die Regierung seit ihrem Amtsantritt verfolgte, wurde im November 2021 gestoppt [21]. Das Ministerium für Energie und Umwelt zog die Reißleine, als die Investoren immer mehr Lockerungen des Umweltrechts forderten. Umstritten war die Investition von Anfang an. Die regierungsnahe Zeitung Kathimerini kommentierte bereits im Oktober 2019 [22]: "Frevel in den Agrafa".

Auch hier sollten breite Zugangsstraßen durch die teilweise vollkommen unberührte Berglandschaft gebaut werden. Die Ironie der Geschichte ist, dass Evrytania unter den 51 Regionalbezirken Griechenlands derjenige ist, dessen Realität bereits jetzt der allseits geforderten Verkehrswende entspricht. Nur 749 PKWs und 640 motorisierte Zweiräder sind dort zugelassen. 56 Busse stehen zur Verfügung. Den Großteil der Motorisierung [23] der knapp 20.000 Einwohner machen 3.320 Nutzfahrzeuge aus.

Zum Vergleich: Im ebenfalls zu Zentralgriechenland gehörenden Böotien stehen den rund 120.000 Einwohnern dagegen 32.000 PKWs zur Verfügung. Die Menschen in Evrytania leben in der Natur und von der Natur. Sie fürchten um ihre Existenzgrundlage.

Es geht den Demonstranten, die gegen Windräder auf die Straße gehen, nicht darum, die Nutzung regenerativer Energien zu verhindern. Sie wollen vielmehr, dass Naturschutz und Klimaschutz in Einklang gebracht werden. Zudem stört es viele Griechen, dass die Investitionen in Windparks vornehmlich den großen Unternehmen im Land erlaubt werden. Anträge für kleinere Windparks bleiben in der Regel, trotz der theoretisch solche Investitionen fördernden Gesetzgebung, fruchtlos, was die Oppositionspartei SYRIZA zu einer parlamentarischen Anfrage motivierte [24].


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.efsyn.gr/ellada/periballon/366705_xesikomos-enantia-sta-aiolika-se-eyboia-kai-skyro
[2] https://www.efsyn.gr/ellada/periballon/366996_anoihto-thema-ton-anemogennitrion-sto-paneio-oros
[3] https://energypress.gr/news/mitsotakis-paneyropaiko-rekor-tis-elladas-stin-iliaki-energeia-sto-10-tis-katanalosis-fetos
[4] https://www.makthes.gr/pros-neo-rekor-stis-ananeosimes-piges-energeias-spane-to-fragma-ton-10-000-megavat-608904
[5] https://www.businessdaily.gr/oikonomia/72445_pros-neo-rekor-gia-tis-ananeosimes-piges-energeias-stin-ellada
[6] https://energypress.gr/news/anoigoyn-xana-ta-lignitoryheia-tis-ahladas-gia-na-exasfalistei-i-leitoyrgia-tis-melitis-sto
[7] https://www.kathimerini.gr/politics/562126903/live-i-synenteyxi-toy-kyriakoy-mitsotaki-ston-ant1/
[8] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/klimakonferenzen-rueckblick-1965144
[9] https://www.protothema.gr/politics/article/1305182/sunodos-gia-to-klima-mitsotakis-theloume-na-ginoume-energeiakos-diadromos/
[10] https://www.in.gr/2021/12/23/economy/oikonomikes-eidiseis/gazprom-ellada-tha-kanei-tis-megistes-stin-istoria-agores-rosikou-fysikou-aeriou-os-telos-tis-xronias/
[11] https://www.iefimerida.gr/ellada/ilektrokika-aytokinita-ta-6-sos-ethnikoy-klimatikoy-nomoy
[12] https://kinoumeilektrika.gov.gr/filehelp/document-fek.pdf
[13] https://www.taxheaven.gr/news/49991/dhmosieyohke-sto-fek-o-nomos-47102020-prowohsh-ths-hlektrokinhshs-kai-alles-diataxeis-deite-ti-allazei-ston-kfe
[14] https://www.geol.uoa.gr/prosopiko/meli_dep/kathigites/eythymios_lekkas/
[15] https://www.in.gr/2022/11/12/greece/lekkas-gia-eksorykseis-se-peloponniso-kai-ioannina-perivallontiko-apotypoma-ton-ereynon/
[16] https://www.naftemporiki.gr/finance/1364872/fysiko-aerio-24mini-paratasi-gia-erevnes-stin-kriti-apo-tin-exxonmobil/
[17] https://www.syriza.gr/article/id/136050/P.-Kokkalhs:-Egklhmatikh-epilogh-oi-eksorykseis.html
[18] https://ecopress.gr/eletaen-gia-aiolika-se-natura/
[19] https://saveandros.com/%CE%B3%CE%B9%CE%B1%CF%84%CE%AF-%CE%BB%CE%AD%CE%BD%CE%B5-%CF%8C%CF%87%CE%B9-%CF%83%CF%84%CE%B9%CF%82-%CE%B1%CE%BD%CE%B5%CE%BC%CE%BF%CE%B3%CE%B5%CE%BD%CE%BD%CE%AE%CF%84%CF%81%CE%B9%CE%B5/
[20] https://www.efsyn.gr/ellada/periballon/335426_skyros-oi-anemogennitries-xanarhontai
[21] https://www.businessnews.gr/epixeiriseis/item/223549-telos-gia-ellaktor-ta-aiolika-parka-sta-agrafa
[22] https://www.kathimerini.gr/opinion/1048216/ierosylia-sta-agrafa/
[23] https://www.newsauto.gr/news/pios-nomos-stin-ellada-echi-ta-ligotera-aftokinita/
[24] https://www.syriza.gr/article/id/136015/Erwthsh-boyleytwn-SYRIZA-PS:-Mikra-aiolika-parka.html