Falsche Ansprüche an die Gesundheitsversorgung und Fortschrittsverweigerung

Christoph Jehle

Die Medizin ist meist ein kontinuierliches Verfahren von Versuch und Irrtum. Das Verständnis dafür fehlt immer häufiger wie auch für wichtige technische Neuerungen. Kommentar.

Anders als bei der checkheftgepflegten Fahrzeugwartung, die mit standardisierten Verfahren arbeiten kann, handelt es sich bei der Medizin um ein kontinuierliches Verfahren von trial and error, weil nicht jeder Mensch auf eine bestimmte Therapie gleich reagiert.

Zahlreiche Erkrankungen sind bis heute nicht zu heilen und es gibt für sie auch noch keine Impfung, um gegen Folgen dieser Erkrankungen vorzubeugen. Oft bleiben da nur Versuche mit ungewissem Ausgang.

Deutschland: Neue Krebstherapien haben es schwer

Bei vielen Krebstherapien ist am Ende der Krebs nicht besiegt, aber der Patient. Neue Krebstherapien, die nicht mit der chemischen Keule operieren, haben in Deutschland einen schweren Stand.

Dazu zählen die durchaus Erfolg versprechenden Versuche mit spezifischen mRNA-Impfstoffen, die anders als die auf dieser Technologie aufbauenden Corona-Impfstoffe ein Protein enthalten, um damit gezielt in Gene des Patienten eingreifen zu können.

Was bislang als Zukunftshoffnung für die deutschen Pharmaunternehmen galt, wurde jetzt ins Vereinigte Königreich verlagert. Die Krebstherapieentwicklung von BioNTech wurde aus Deutschland nach UK übergesiedelt, weil hierzulande die Widerstände zu groß wurden.

Medizin und Glaube

Da Menschen auf Therapien anders als erwartet reagieren können, bleibt oft nur ein Vorgehen auf Verdacht mit ungewissem Ausgang. Dieses Prinzip hat die Medizin mit anderen Wissenschaften gemeinsam. Das lernen Studierende schon im ersten Semester.

Das Prinzip von Versuch und Irrtum gilt nicht bei der Theologie, sie ist auch nicht einfach den Wissenschaften zuzurechnen. Bevor die Medizin entwickelt wurde, hatten die Menschen ihre gesundheitlichen Hoffnungen vielfach auf die Religion gesetzt. Beten, Pilgern und Gelübde waren die Hoffnungsträger. Und wenn diese offensichtlich nicht die erhofften Ergebnisse brachte, fielen die Menschen vom Glauben ab.

Sie wurden dann gerne bekehrt, indem man den Teufel an die Wand malte. Dabei wurde mithilfe einer Laterna magica ein Bild des Teufels an eine Wand geworfen, das sich aufgrund der flackernden Lichtquelle dort auch bewegte wie der leibhaftige Teufel.

Seit man glaubt, alle Vorgänge auf dieser Erde nach seinen eigenen Vorstellungen gesetzlich regeln zu können und hofft, über diese Gesetze mehr oder weniger demokratisch abstimmen zu können, keimt bei manchen die Hoffnung auf, auch naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten dem Willen der Bevölkerung unterwerfen zu können.

Risikoabsicherung

Komplexe Zusammenhänge, wie sie in der Medizin gelten, lassen sich jedoch auf diese Weise nicht greifen. Spätestens mit der nächsten Pandemie werden zahlreiche Erkenntnisse wieder über den Haufen geworfen und das spezifische Wissen muss langsam unter Inkaufnahme vieler Irrungen und Wirrungen neu aufgebaut werden.

Die dabei entstehenden Kosten haben gute Chancen, alle bestehenden Budgets zu sprengen. Im Unterschied zum deutschen Krankenversicherungssystem, das alle Risiken abdeckt, ist man in Fernost teilweise dazu übergegangen, nicht alle Risiken zu versichern und damit die Kostensteigerungen bei den Versicherungen einzugrenzen.

Im Falle einer Krebsdiagnose muss der Patient da in die eigene Tasche greifen und wenn er das nicht kann, bleibt nur die Hoffnung.

Wenn die Angst vor Ärzten sich mit der Angst vor dem digitalen Zwilling verbindet

Will man die verstärkte wirtschaftliche Eigenverantwortung der Patienten umgehen und bestimmte oder heute noch unbekannte Krankheiten nicht aus der Versicherung herausnehmen, muss man Lösungen finden, die Kosten für Routinevorfälle deutlich zu senken.

Noch heute werden die Patientendaten und Entscheidungen bei der Visite im Krankenhaus meist noch auf Papier geführt, um dann später in die klinikeigene Software eingegeben zu werden. Dabei gibt es schon längst die Möglichkeit, dies digital zu erledigen, sodass jeder Beteiligte alle Information sofort zur Verfügung hat.

Medikamentenverordnungen könnten dabei auch ad hoc auf mögliche Interferenzen überprüft werden. Bis zu 70.000 Menschen sterben jedes Jahr in Deutschland, weil sie Medikamentenkombinationen erhalten, die so nicht miteinander kompatibel sind.

Zudem lassen sich auf dem Wege der Digitalisierung auch seltene Symptome, die der behandelnde Arzt in seinem Studium nicht kennengelernt hat und die ihm auch in seiner Praxis bislang noch nicht untergekommen sind, einfacher interpretieren.

Die Digitalisierung, bei der es in Deutschland grundsätzlich hakt, kommt auch im Medizinbetrieb nicht vom Fleck. Da unterscheidet sich Deutschland signifikant von Ländern wie Großbritannien, wo die Digitalisierung gerade bei Routineaufgaben der Mediziner deutlich weiter ist.

Schon seit Jahren werden gelegentlich Modelle verfolgt, die dem Patienten mehr Eigenverantwortung bei der Krankheitsbekämpfung abfordern.

Als Idee geisterte schon vor Jahren eine Übernahme der Abrechnungsprinzipien der privaten Kassen in das System der gesetzlichen Kassen. Dabei schreibt der behandelnde Arzt dem Patienten eine Rechnung, die dieser bei seiner Kasse einreicht und dann den Betrag nach Überprüfung durch den Medizinischen Dienst auf sein Konto überwiesen bekommt.

Kann die Kasse die Rechnung nicht nachvollziehen oder liegt ein Formfehler vor, muss sich der Patient damit auseinandersetzen. Für Patienten, die dieses Risiko grundsätzlich nicht eingehen können oder wollen, könnte es hier eine Lösung über eine erhöhte Prämie geben.

Eine Gesundheitsversorgung, die finanzierbar bleiben soll, kann ohne die aktive Mitarbeit der Versicherten nicht erfolgreich sein.