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Faschistischer Putschversuch gegen Roosevelt

Wer politisch korrekte Witze sehen möchte, sollte diesen Film meiden. Bild: 20thcenturystudios.com

Kunst aus Granatsplittern: David O. Russells so wunderbare wie ungewöhnliche Komödie "Amsterdam" ist starbesetzt und aktuell. Und sie zeigt, warum man über Verschwörungstheorien lachen kann.

Dies ist eine großartige und mit sehr besonderen Stars besetzte Komödie: Christian Bale, Margot Robbie und John David Washington stehen im Zentrum: Ihre Figuren sind Burt, Valerie und Harold. Im Jahr 1933 leben sie in New York.

Alle drei kennen sich aus dem Ersten Weltkrieg, Burt und Harold sind Veteranen, Valerie war die Krankenschwester, die sich um die beiden kümmerte. 15 Jahre später ist Burt, der seit dem Krieg selbst ein Glasauge trägt, Arzt, der Kriegsfolgen aller Art behandelt: Seine Ex-Kameraden versorgt er mit Medikamenten und Prothesen aller Art, auch mal mit verbotenen Drogen, die Schmerzen lindern oder böse Erinnerungen tilgen.

Aber Burt ist selbst an Leib und Seele gezeichnet, ein medikamentenabhängiges Nervenbündel. Harold wurde Anwalt. Valerie ist Künstlerin, die sich von den schrecklichen Verwundungen von Burts Patienten zu abstrakt-surrealistischer Kunst inspirieren lässt, die sie unter anderem aus Granatsplittern fertigt.

Drei Detektive gegen den Faschismus

Den eigentlichen Auftakt der Handlung bildet der Tod jenes Generals, der die drei an der Front zusammengeführt hat. Schnell ist klar, dass es sich um Giftmord handelt, und auch der kurz darauf geschehene Tod der Generalstochter erscheint nur oberflächlich als ein "Unfall".

So werden die drei aus Zufall zu Detektiven und finden sich schnell in einen komplizierten, gefährlichen Plot verwickelt, der sich als faschistischer Putschversuch gegen den 1933 gerade neugewählten US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt entpuppt.

Kein Thesenfilm

Dies ist aber kein Thriller und auch kein politischer Thesenfilm, sondern eine Komödie, die sich über alles Mögliche lustig macht, über das manche Leute heute nicht mehr lachen wollen und es denen, die trotzdem darüber lachen, gern mies machen: etwa Traumata und posttraumatische Phänomene. Oder Faschismus. Oder Verschwörungstheorien. Oh ja, ich weiß: Man soll besser "Verschwörungserzählungen" sagen, "denn es sind ja keine Theorien". Aber hier vielleicht doch.

Jedenfalls: Wer in unserer Gegenwart nur "alles ganz, ganz schrecklich" findet, und nicht auch ganz schön absurd und irgendwie schrecklich lustig, oder wer nur politisch korrekte Witze über "Privilegierte" sehen möchte, sollte diesen Film unbedingt meiden.

Alle anderen werden ihren Spaß haben.

Klassische Männerbilder, makellose Frauen

Bald geraten die Drei ins Fadenkreuz der Polizei, aber auch der wahren Verbrecher. Das ist gelegentlich etwas verwirrend, aber der Filmemacher will es niemandem leicht machen. Mit kantigen Aufnahmen (die Kamera führte der dreimalige Oscar-Gewinner Emmanuel Lubezki), und schnellen Schnitten, die das Absurde noch überhöhen, nähert er sich der Ästhetik und der Avantgardekunst der 20er- und 30er-Jahre an.

Die Männerbilder sind klassisch, wenn auch Männer hier so kaputt erscheinen, wie Frauen makellos schön. Etwas zu aufgesetzt werden sexuelle und rassistische Diskriminierung in den Dialogen zum Thema gemacht.

Unterbrochen ist die gradlinige Handlung durch Rückblicke, die zum einen in die Zeit des Ersten Weltkriegs zurückführen, als sich die Freundschaft zwischen Burt und Harold gebildet hat, und lernen ihre Beziehung zu Valerie kennen, die sich in Harold verknallt und eine liebevolle Freundschaft mit Burt entwickelt.

Danach geht es in die titelgebende niederländische Stadt Amsterdam, in der die drei einige wilde Jahre verbringen, und in der die Grundsteine zu den Ereignissen des Jahres 1933 gelegt werden.

Das Publikum lernt hier auch ansonsten die spannende Welt der 1930er-Jahre kennen, eine Welt im rasanten Wandel, und erfährt, wie sich antidemokratische Ideen, Verschwörungstheorien und andere gefährliche Elemente in die US-Gesellschaft eingeschlichen haben. Natürlich hat das alles auch einen Gegenwartsbezug, aber der bleibt immer wohltuend subtil.

Weder sentimental noch primitiv

Die größte Stärke dieser Hollywood-Produktion, die finanziell groß ausgestattet ist, und trotzdem weder der Sentimentalität sogenannter "Big Drama"-Filme verfällt noch der Primitivität vieler gegenwärtiger Blockbuster, ist die opulente Besetzung und die ausgezeichnete Leistung der meisten Darsteller. "Amsterdam" versammelt ein Dutzend Topstars: Neben vielen anderen muss man vor allem Robert De Niro nennen, dessen Qualitäten als Komödiant immer noch von vielen unterschätzt werden.

De Niro spielt den altgedienten General, der ein großer Fürsprecher seiner Soldaten ist. Seine Leistung wird in ihrer kraftvollen Präsenz der Bedeutung der Figur gerecht.

Regisseur und Drehbuchautor David O. Russell ist seit Jahren ein Magnet für Stars. Seine letzten fünf Filme wurden insgesamt für 26 Oscars nominiert, zwölf davon für die Schauspieler. Melissa Leo und Christian Bale wurden 2011 für "The Winner" (2011) ausgezeichnet, und Jennifer Lawrence 2012 für "The Good Side of Life".

Ebenfalls ungewöhnlichen Erfolg hatten "Three Kings", "Silver Linings Playbook" und "American Hustle". Alles Filme, die in Deutschland zwar leider kaum wahrgenommen wurden, aber den guten Ruf dieses Regisseurs leicht erklären.

Russell war schon immer ein ungewöhnlicher Regisseur in Hollywood. Kompromisslos in seiner Handschrift und den persönlichen Interessen hat er sich immer wieder in Projekte gestürzt, die manchmal völlig aussichtslos schienen, aber durch seine Beharrlichkeit zu preisgekrönten Filmen wurden.

Entschuldigung für Denkfaulheit

Die deutsche Filmkritik kann, wie die in den USA, mit "Amsterdam" nicht viel anfangen. Was da dann immer alles so geschrieben wird: "Der verworrene Plot lässt das Interesse erlahmen."

Wäre es nicht Aufgabe von Filmkritik, die Verworrenheit ein wenig zu mindern, indem man sie für die Leser entschlüsselt? Oder indem man ihnen seine Interpretation für die Verworrenheit liefert? Anstatt den Lesern einfach eine Entschuldigung für ihre Denkfaulheit zu geben?

Eigentlich sagt die Autorin dieses Satzes nichts anderes, als dass sie selbst den Film nicht verstanden oder sich nicht wirklich dafür interessiert hat.

Einen Satz wie – "Wer nach über zwei Stunden Laufzeit den Überblick behalten will, muss sich sehr konzentrieren. Die Irrungen und Wirrungen, die sich aus der Hin und Her pendelnden Zickzack-Dramaturgie ergeben, machen es dem Publikum schwer, bei der Sache zu bleiben." – könnte man über jeden Robert-Altman-Film formulieren. Aber wer war noch mal Robert Altman? So gesehen ist der Umgang mit "Amsterdam" ein Exempel über Verfallserscheinungen unserer gegenwärtigen Filmkultur.

"Faschismus ist das zentrale Thema von 'Amsterdam'"

Das Gegenbeispiel für derlei Befindlichkeitskritik bietet ein Text von Bert Rebhandl [1] in der FAS. Darin heißt es unter anderem:

Faschismus ist das zentrale Thema von 'Amsterdam', auch wenn man das nicht sofort bemerkt. Denn David O. Russell steuert sein Anliegen auf komplizierten Umwegen an, und er tut es mit einer filmischen Erzählweise, die man zumindest als schräg oder merkwürdig oder exzentrisch bezeichnen müsste. ... Gerade in dieser im Detail ungeheuer präzise choreographierten Unfertigkeit liegt das Genie von 'Amsterdam'.

'Amsterdam' ist aber alles andere als ein politischer Traktat. Es ist vielmehr ein Beweis dafür, dass zwischen all den Superheldenfilmen und viel dramatischer Dutzendware immer noch genuine Begabungen im amerikanischen Kino existieren. Es sieht allerdings so aus, als wäre David O. Russell dieses Mal mit seinem Hang zum hintersinnigen Humor ein wenig zu weit gegangen.

Die Filmkritik in den USA konnte mit 'Amsterdam' nicht viel anfangen. Vor allem wurde bemängelt, dass die Geschichte nie so richtig auf einen Punkt komme. Gerade das aber sollte man unbedingt als Vorzug sehen. David O. Russell hat die vielen Anspielungen auf moderne Kunst in seinem Film sicher mit Bedacht gesetzt; er wollte wohl gerade eines nicht: eine klassische Komödie, wie sie in den Dreißigerjahren so zahlreich entstanden sind.

'Amsterdam' ist eine moderne Komödie, ein großartiges Spiel mit der Form, auch ein lustvolles Versagen vor der unlösbaren Aufgabe, den heutigen politischen Verhältnissen in Amerika gerecht zu werden. Ein Akt von Zivilcourage vielleicht sogar, dabei im Detail in jeder Sekunde unterhaltsam, und immer wieder richtig große Kunst.

Charmantes Laissez-faire und großes Kinovergnügen

"Amsterdam" ist ein sehr kluges Spiel mit dem Medium Film. Auf der Leinwand wechseln ständig die verschiedenen Objektive, die das Bild verzerren, die Handlung springt in der Zeit vor und zurück, von wechselnden Voice-overs gelenkt. Alles dies macht den außergewöhnlichen Charakter dieses Films deutlich.

Dies ist ein Film, der Aussehen und Look wichtiger findet als Handlung. Manche bemerken da "eine geradezu provokante Form des Laissez-faire". Sie ist aber nicht provokant, sondern charmant und kunstvoll übersprudelnd.

"Amsterdam" ist der ehrgeizige Versuch einer Art Film-Noir-Komödie mit satirischen Elementen. Nicht alles gelingt vielleicht, aber insgesamt ist dies ein großes Kinovergnügen, das zu den besonderen Filmen des Jahres gehört.


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kino/amsterdam-von-david-o-russel-ist-ein-echtes-kinomeisterwerk-18429232.html