Fed öffnet die Schleusentore
Mit der aktuellen Leitzinssenkung beginnt die US-Notenbank Fed die "dritte Phase" des aktuellen Kreditzyklus, die durch negative Realzinsen charakterisiert ist
Seit Dienstag sind die Realzinsen in den USA wieder negativ. Mit nur zwei Gegenstimmen hatte das zuständige „Federal Open Market Comitee“ (FOMC) am Dienstag die Leitzinsen auf nur noch 2,25 Prozent gesenkt, die somit bereits jetzt mehr oder weniger deutlich unter den meisten veröffentlichten US-Inflationswerten liegt. So sind gerade die Februar-Produzentenpreise mit 2,4 % herausgekommen und Ende 2007/Anfang 2008 hatten die Konsumentenpreissteigerungen sogar bei vier Prozent gelegen, Preisrückgänge bei Energie und besonders tiefe Preise im Winterschlussverkauf hatten die Rate im Februar aber auf 2,3 Prozent zurückgebracht.
Die Fed meinte in ihrem Statement zur Zinssenkung, sie gehe zwar davon aus, dass die derzeit erhöhte Inflationsrate geringer wird „weil die Steigerungen bei Energie und Rohstoffpreise abflachen („leveling-out“) und die Ressourcenauslastung zurückgeht“, gestand aber steigende Unsicherheiten ein, die sich auch im Widerspruch zweier FOMC-Mitglieder ausdrücken, die eine weniger „aggressive“ Zinssenkung bevorzugt hätten.
Negative US-Realzinsen wurden zuletzt im voran gegangenen Kreditzyklus erreicht, als die Fed nach 9/11, Börsenkrise und Wachstumseinbruch bis Juni 2003 die Federal Funds Rate auf ein Prozent reduziert hatte und ein Jahr lang auf diesem Stand beließ. Das brachte die Immobilienblase in Schwung, die sich auch nicht sofort einbremsen ließ, als die Leitzinsen von 30. Juni 2004 bis 29. Juni 2006 alle sechs Wochen in „Trippelschritten“ jeweils um 0,25 Prozentpunkte bis auf 5,25 Prozent angehoben wurden. Das kann nach der 2006 gemessenen Inflationsrate von 3,34 % mit einem Realzinssatz von 1,9 % als durchaus restriktiv bezeichnet werden - und zeigte auch Wirkung. So tauchten ab Mitte 2006 erste Probleme an den Eigenheim-Immobilienmärkten auf, wo die Preissteigerungen zum Stillstand kamen und ab Anfang 2007 immer schneller zurückgingen.
Mit der virulent werdenden Kreditkrise an den Finanzmärkten endete der alte Zyklus im Sommer 2007 und begann laut Morgan Stanley die „ersten Phase“ des aktuellen Kreditzyklus. Sie dauerte bis Dezember, in dieser Zeit hatte die Fed die Leitzinsen von „restriktiven“ 5,25 % auf „neutrale“ 4,0 % reduziert. Die weiteren Reduktionen im Januar und Februar auf 3 Prozent - die 2. Phase - hätten die US-Geldpolitik wieder „expansiv“ gemacht und nun werden in der 3. Phase die „Schleusentore geöffnet“. Denn nun werden die inflationsbereinigten Realzinsen laut MS zuerst auf Null Prozent und dann noch weiter gesenkt, was die Wall Street-Ökonomen spätestens 2009 wieder mit steigenden Preisen bei Anlagegütern rechnen lässt.
Die Bernanke-Fed schreite damit nicht nur schneller gegen eine drohende Rezession ein als alle anderen Notenbanken, sie sei auch schneller als jede US-Notenbank vor ihr. Immerhin sind die USA offiziell noch nicht in einer Rezession. Nun erwarten die MS-Analysten von den G10-Zentralbanken, dass die Bank of Japan sowie die Britische und die Kanadische Zentralbank eher früher im Jahresverlauf den Geldhahn ebenfalls weit aufdrehen werden, danach ebenso die Schwedische und die Australische Zentralbank, woraufhin sich dann selbst die Schweizerische Notenbank und die EZB einer Zinssenkung nicht mehr werden verschließen können.
Die leidlich bekannten Kehrseiten des „great monetary easing“ sei allerdings, dass die USA dadurch nur noch mehr Inflation exportieren; und dies vor allem in viele asiatische Länder und in den Mittleren Osten, die bereits jetzt über hohen Inflationsraten leiden, wofür die im Februar auf 8,7 Prozent angestiegene Inflationsrate Chinas ein Beispiel ist. Nicht zuletzt dürften die weltweiten Zinssenkungen auch weitere Spekulationsblasen aufblühen lassen, womit der Keim künftiger Finanzkrisen bald wieder gelegt sein wird.
Diese in fernerer Zukunft liegenden Probleme sind für die Fed offenbar weniger bedrohlich als der „beträchtliche Stress“ an den Finanzmärkten, die sie um jeden Preis vor einem Zusammenbruch bewahren will. Allerdings kann heute niemand sagen, wie ein solcher Zusammenbruch aussehen wird und welche realwirtschaftlichen Folgen er haben könnte.
Die Finanzkrise hat mit dem Zusammenbruch der Top-US-Brokerfirma Bear Sterns jedenfalls einen dramatischen Höhepunkt erreicht. Immerhin ist kein Top-Wertpapierhaus mehr zusammengebrochen, nachdem im Jahr 1991 die auf Junkbonds und feindliche Übernahmen spezialisierte Wall-Street-Bank Drexel Lambert Pleite gegangen war. Damals hatte das Finanzsystem allerdings mehrere Jahre Zeit gehabt, sich auf den absehbaren Konkurs vorzubereiten und die Risikopositionen zu reduzieren. Auch das Vertrauen an den Finanzmärkten war nicht so gering wie heute und der seinerzeit amtierende US-Finanzminister hatte zudem noch eine alte Rechnung mit der aggressiven Investmentbank offen, so dass es tatsächlich zu einer für die Finanzmärkte weitgehend folgenlosen Pleite kommen konnte.
Derartiges ist diesmal – obwohl Fed-Gouverneure zuletzt von der Möglichkeit gesprochen haben, dass durchaus mehrere kleinere Banken pleite gehen könnten - bei systemisch wichtigen Instituten kaum denkbar. Denn während die Fed die Märkte einerseits sogar enttäuschte – diese hatten laut den Derivativmärkten mit 86-prozentiger Wahrscheinlichkeit auf eine 1-prozentige Senkung gesetzt –, hatte sie schon mit Wirkung am Montag ihre allerstärksten Mittel eingesetzt, um die Finanzmärkte zu stabilisieren.
Über das Wochenende hatte die Fed den Diskontsatz um weitere 0,25 Prozentpunkte abgesenkt. Zu diesem Satz konnten Geschäftsbanken, die Mindestreservepflichten zu erfüllen haben, bisher unbegrenzt Kredite gegen erstklassige Sicherheiten erhalten. Nur lag der Diskontsatz noch vergangenen Sommer um einen ganzen Prozentpunkt über dem offiziellen Leitzins, was als Strafzins für unvorsichtige Banken betrachtet wurde und zudem als so anrüchig, dass seriöse Banken sich nur im äußersten Notfall bei dieser Fazilität bedienten, einfach weil dies im Markt als Signal dafür aufgefasst würde, dass das Institut sich in einer Schieflage befände.
Dieses Fenster wurde zudem auch für die „Primary Dealer“ geöffnet, die als Händler von Staatsanleihen direkt mit der Fed handeln dürfen. Damit wird auch den Brokerfirmen direkter und unbegrenzter Zugang zu Zentralbankgeld eingeräumt, dies zudem zu einem Diskontpreis. Denn der Diskontsatz liegt jetzt nur noch einen Viertel Prozentpunkt über der Federal Funds Rate. So war der Aufschlag auf die Federal Funds Rate nach dem Ausbruch der Finanzkrise bereits auf einen halben und nun auf einen viertel Prozentpunkt gesenkt worden. Angesichts der aktuell herrschenden Risikoaufschläge im Interbankenmarkt von je nach Laufzeit zuletzt bis zu 2,0 Prozentpunkten ist das jetzt aber eine echte Okkasion. Dies um so mehr, weil die Fed eine breite Palette an Sicherheiten zulässt, die nun auch private Hypothekaranleihen umfassen.
Damit dürfte sichergestellt sein - und das war vermutlich eine Bedingung des Fed-Direktoriums, um diese Finanzierungsmöglichkeiten zuzulassen -, dass die großen Geschäftsbanken, und Wertpapierhäuser die Positionen ihrer Kunden wieder etwas sorgloser finanzieren. Denn zu den Wirren und der Pleite mehrerer Hedge Fonds und einer großen Investmentbank war es gekommen, weil die Broker immer höhere Sicherheitsabschläge („Haircuts“) auf die Sicherheiten ihrer mit „Leverage“ investierenden Kunden verlangt hatten, woraus Nachschussforderungen und Notverkäufen resultierten.
Stärkt das Eingreifen der Fed den langjährigen Aufwärtstrend?
Genau das hatte schon 1987 geholfen, als der dramatische Börsencrash – minus 21,6 Prozent des DJIA allein am „Schwarzen Montag“, dem 19. Oktober – erst beendet werden konnte, als die Fed-Direktoren die wichtigsten Banker einzeln bekniet hatten, die Positionen ihrer Kunden unbedingt weiter zu finanzieren; denn man werde sie ja keinesfalls im Regen stehen lassen.
Erst als die fremdfinanzierten Marktteilnehmer wieder auf die Unterstützung ihrer Financiers bauen konnten, wurde der Teufelskreis aus Kursverlusten, „Margin-Calls“ (Nachschussforderungen für fremdfinanzierte Positionen), dadurch erzwungenen Verkäufen und weiteren Kursverlusten durchbrochen. Die Märkte fassten daraufhin wieder Vertrauen und bis 1990 hatten die Börsen die weltweit insgesamt rund 40-prozentigen Kursverluste wieder vollständig aufgeholt. Im Nachhinein zeigt der Kursverlauf der New Yorker Aktienbörse (hier gezeigt am berühmten Aktienindex DJIA, der die 20 wichtigsten US-Unternehmen abbildet), dass der Crash nur die überfällige Korrektur eines Ausbruchs aus einem langjährigen Aufwärtstrend gewesen war, der um 1981 begonnen hatte. Zuvor hatten die Kurse allerdings fast 15 Jahre lang stagniert und jetzt stellt sich die Frage, ob dieser aktuelle Aufwärtstrend gerade zu Ende geht oder ob er weiter anhält - und das vielleicht in alle Ewigkeit.
Wenn es der Fed neuerlich gelingen sollte, die Finanzmärkte bei aller Schwäche der Realwirtschaft auf Kurs zu bringen, dann sollte das besser jetzt geschehen sein. Denn mehr, als sie jetzt getan hat, ist kaum mehr möglich, und das ist für die Weltbevölkerung über die absehbar steigende Inflation langfristig wohl ohnehin kostspielig genug
An den Märkten zeigte man sich angesichts der am Dienstag veröffentlichten und besser als erwartet ausgefallenen Ergebnisse der Investmentbanken Lehman und Goldman Sachs bereits recht beruhigt. Am Mittwoch meldete auch Morgan Stanley passable Ergebnisse und einige Markteilnehmer erklärten gegenüber Bloomberg, dass das Ausbleiben echter Panik am Montag (an den US-Märkten, in Europa und Asien war durchaus von Panik die Rede) ein deutliches Anzeichen für eine Trendwende sein könnte.
Hysterie ein ständiger Begleiter der Finanzmärkte
So hatte am Dienstag an den Aktienmärkten schon den ganzen Tag über gute Stimmung geherrscht und der DJIA war im Tagesverlauf schon vor der Bekanntgabe der Zinssenkung zeitweise mit 300 Punkten im Plus. Weil viele Marktteilnehmer auf eine sogar 1-prozentige Senkung spekuliert hatten, sackte der Index, nachdem der Zinsentscheid bekannt wurde, zwar kurz um 150 Punkte ab. Bis zum Handelsschluss wurde es aber dennoch der höchste Tagesgewinn der Wall Street seit fünf Jahren, der die Verluste von laut Bloomberg 766 Mrd. USD der beiden vorangegangenen Tage egalisierte.
Bloomberg gegenüber erklärten etliche Marktteilnehmer daraufhin den „Run“ auf die US-Investmentbanken, unter dem neben Bear Sterns vor allem Lehman betroffen war, für beendet – womit sie allerdings den anhaltenden Stresssignalen am Interbankenmarkt widersprachen. Dort wurde die Zinsdifferenz zwischen den dort herrschenden Zinsen und jenen von Staatsanleihen mit gleicher Laufzeit Anfang der Woche noch höher und ging auch nach den Zinssenkungen nicht zurück. Dazu dürfte zwar auch die Knappheit an kurzfristigen Staatspapieren beigetragen haben, Marktteilnehmer nannten laut Bloomberg aber auch umlaufende Sorgen um europäische Banken als Begründung für das weiter sinkende Vertrauen der Banken untereinander.
Allerdings ist Hysterie ein ständiger Begleiter der Finanzmärkte und so könnten die Optimisten diesmal vielleicht nicht ganz falsch liegen. Denn jetzt können die Banken viele Anleihen, die am freien Markt derzeit nur sehr billig oder gar nicht verkäuflich sind und als Kreditsicherung hohe Abschläge verlangen, ohne Abschlag und zu günstigen Zinsen zur Notenbank verlagern, was sie auch davor bewahrt, darauf in ihrer nächsten Bilanz dafür Wertberichtigungen zu verbuchen, bzw. Zuschreibungen einzustreifen, sollten sie darauf bereits Abschreibungen vorgenommen haben.
Am Mittwoch wurden zudem regulative Erleichterungen bekannt gegeben, die den beiden riesigen „State Sponsored Agencies“, den Hypothekenbanken Fannie May und Freddie Mac, eine massive Aufstockung ihrer Portfolios erlauben. Diese haben bereits jetzt zusammen mehr als 40 Prozent aller US-Hypotheken entweder in den Büchern oder wenigstens garantiert, waren zuletzt aber an regulative Grenzen gestoßen. Laut dem Chef der Wohnbauaufsichtsbehörde OFHEO werde durch die Erleichterungen jetzt sofort der Kauf von 200 Mrd. USD an Hypothekaranleihen ermöglicht und im Jahresverlauf sollte die (indirekte) Vergabe von Eigenheimhypotheken ein Volumen von zwei Billionen Dollar erreichen.
Etwas pikant dabei ist, dass die Behörden vergeblich auf strengere Regelungen für die Agencies gedrängt hatten, nachdem vor drei Jahren umfangreiche Bilanzfälschungen bekannt wurden; und auch Notenbanker sahen in den gewaltigen Hypotheken- und Derivativportfolios und der geringen Kapitalausstattung der Agencies eine ernsthafte Bedrohung des Finanzsystems. Zwar verlangen die Behörden nun, dass die Agencies ihre Kapitalbasis stärken sollen, von bindenden Zusagen ist dahingehend aber noch nichts bekannt geworden.
Dass es an den Börsen nun wieder nachhaltig aufwärts gehen werde, hatten die Börsianer im letzten halben Jahr bereits nach zwei US-Leitzinssenkungen gehofft, bislang allerdings vergebens. Wenn die weiter offenen Geldschleusen der Fed nun tatsächlich eine Trendwende zustande bringen, wäre dies zumindest eine Wiederholung der jüngeren Börsengeschichte und eine daraus in Zukunft resultierende Krise wird vermutlich neuerlich mit Geld zugeschüttet werden.
In der Frage, ob auf den langen Aufwärtstrend an den Börsen nun wieder eine lange Stagnationsphase folgt, könnte sich zumindest, was den Kurs-Chart betrifft, nun eine entscheidende Phase anbahnen. Denn selbst bei großzügiger Gestaltung des Trendkanals dürfte dieser jedenfalls bald eindeutig nach unten durchbrochen sein, geht es nicht rasch wieder nach oben. Das wäre dann übrigens das erste Mal seit 25 Jahren.