Feindbild Linksextremismus: Aufgelöste RAF macht weiter Furore
Demo mit knapp 50 Teilnehmern wird bundesweit zum Aufreger. Ging es ernsthaft um Solidarität mit der RAF, oder wird hier ein Popanz aufgebaut? Ein Kommentar.
Die meisten Linken, die im bürgerlichen Spektrum als "radikal" durchgehen, würden sich momentan nicht als sehr wirkmächtig einschätzen. Viele von ihnen kämpfen angesichts der politischen Großwetterlage eher mit Ohnmachtsgefühlen. Gemessen daran reagieren Staatsapparate und bürgerliche Parteien auf sie fast schon panisch.
Polizei und BKA im Kampf gegen das Gespenst des Linksextremismus
Während der Chef des Bundeskriminalamts vor einer wachsenden Gefahr durch Linksextremismus warnt, sah sich die CDU am Wochenende veranlasst, auf eine Kundgebung von wenigen Dutzend Personen aus dem linken Spektrum in Vechta mit einer Gegendemo zu reagieren. Damit sollte ein Zeichen gegen "Solidarität mit Terroristen" gesetzt werden.
Es waren knapp 50 Menschen, die am Sonntagnachmittag vor der Justizvollzugsanstalt für Frauen in Vechta "Freiheit für alle politischen Gefangenen" riefen. Die Polizei konstatierte einen friedlichen Verlauf. Selbst der Verkehr verlief störungsfrei.
Die RAF als unsterbliches Phantom im deutschen Justizsystem
Trotzdem war die kleine Manifestation im beschaulichen Vechta, wo Kirchen und Gefängnisse zumindest architektonisch eine Symbiose eingehen, bundesweit ein Aufreger. Denn in der JVA Vechta ist das mutmaßliche Ex-RAF-Mitglied Daniela Klette inhaftiert. So wurde die Kundgebung in vielen Medien als Unterstützungsaktion für die vor knapp 26 Jahren aufgelöste RAF gewertet.
Kollateralschaden der politischen Meinungsäußerung
Das hatte auch Folgen für die Anmelderin. Der Krankenschwester Ariane Müller wurde bereits vergangene Woche ihr Status als freigestellte Betriebsrätin am Klinikum Bremen-Mitte entzogen. Auch der Klinikverbund Gesundheit Nord hat sich in einer Erklärung von dem Vorgang distanziert und prüft sogar ein rechtliches Vorgehen gegen die langjährig dort beschäftigte Krankenschwester.
Die Bremer FDP fordert mittlerweile, dass Müller eine Auszeichnung der Stadt Bremen, die ihr für ihr jahrelanges ehrenamtliches Engagement verliehen wurde, wieder aberkannt werden soll. "Ich trenne mein politisches Engagement von meiner beruflichen und gewerkschaftlichen Tätigkeit" betont Ariane Müller, die in einem Interview mit der jungen Welt ihre Motivation für die Anmeldung so begründete:
Es geht um die praktische Solidarität mit Daniela Klette, die am 26. Februar in Berlin verhaftet worden ist. Sie ist eine von drei Gesuchten, die angeblich Mitglieder in der Roten Armee Fraktion, RAF, waren, die sich 1998 aufgelöst hat.
Sie, Ernst Volker Straub und Burkhard Garweg wurden schon seit über 30 Jahren gesucht. Jetzt ist Daniela verhaftet worden und sitzt in Vechta ein. Deshalb haben wir die Gruppe "Solidarität mit Daniela" gegründet. Es war daher für uns naheliegend, zum Tag der politischen Gefangenen, der jährlich am 18. März begangen wird, eine Kundgebung anzumelden.
Ariane Müller
Der Tag der politischen Gefangenen und seine Bedeutung
Genau dieser Zusammenhang wird in der aufgeheizten Medienreaktion vergessen. Der 18. März als Tag für die politischen Gefangenen wurde Anfang der 1920er-Jahre von der Gefangenensolidaritätsorganisation Rote Hilfe begründet und wurde dann erst in den 1970er-Jahren und dann 1996 von unterschiedlichen linken politischen Zusammenhängen wiederentdeckt.
Dabei geht es nicht darum, die politischen Zusammenhänge zu unterstützen, denen die Inhaftierten tatsächlich oder vermeintlich angehören.
Das betonten auch mehrere Rednerinnen und Redner am Sonntag auf der Kundgebung von Vechta. Wie kann man auch eine gar nicht mehr existente Organisation unterstützen?
Unschuldsvermutung: Ein Grundrecht, auch für RAF-Verdächtige
Bedenklich ist auch, dass fast alle Medien vom RAF-Mitglied Daniela Klette bzw. der Terroristin Klette schreiben, obwohl es noch kein rechtskräftiges Urteil gegen sie gibt. Also müsse auch für sie die Unschuldsvermutung gelten. Wenn ein Politiker wegen Korruption angeklagt wird, würde er alle Medien verklagen, die ihn ohne Urteil als Korrupten bezeichnen.
Dieser Anspruch müsste auch für Klette gelten. Zudem ist auch fraglich, warum die Anmeldung einer völlig friedlich verlaufenden Kundgebung fast in die Ecke der Kriminalität gerückt wird.
Einschüchterungstaktik des Staates und Niedriglohnsektor Knast
Das ist eine tatsächliche Einschüchterung, weil es natürlich Menschen abschreckt, Veranstaltungen anzumelden, die dann entweder gar nicht stattfinden oder von der Polizei aufgelöst werden können. Trotz dieser Drohkulisse haben auf der Kundgebung Rednerinnen und Redner die unterschiedlichsten Gründe benannt, sich daran zu beteiligen.
Die Klimaaktivistin Hanna Poddig schilderte, wie sie selbst wegen einer antimilitaristischen Blockadeaktion für kurze Zeit in der JVA Vechta inhaftiert war. Sie wolle mit der Teilnahme an der Kundgebung vor allem den Gefangenen Grüße von draußen vermitteln. Zudem wies sie auf den Niedriglohnsektor Gefängnis hin.
"Arbeit im Gefängnis ist eine besondere Form von Ausbeutung", betonte Poddig. Sie knüpfte damit an die Forderungen der Gefangenengewerkschaft an, die Bezahlung nach Tarif für Lohnarbeit im Gefängnis und die Einbeziehung der arbeitenden Gefangenen in die Kranken- und Rentenversicherung fordern. Bisher fehlte der gesellschaftliche Druck, um die Forderungen durchzusetzen.
Schon Tage zuvor hatte von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) eine friedliche Demonstration durch Berlin-Kreuzberg mit Bezug zur Verhaftung von Klette mit scharfen Worten verurteilt.
Faeser unterstellt indirekt Verklärung von RAF-Morden
Indirekt unterstellte Faeser, deren Parteifreund Otto Schily in den 1970er-Jahren selbst Angeklagte in RAF-Prozessen anwaltlich vertreten hatte und später Bundesinnenminister geworden war, den Teilnehmern der Berliner Demonstration die Verklärung von RAF-Anschlägen mit Todesopfern.
"Die RAF hat 34 Menschen brutal ermordet. Da gibt es nichts, aber auch gar nichts zu verklären", sagte Faeser dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Anschläge dieser Art werden Klette und den Gesuchten aber von der Bundesanwaltschaft gar nicht vorgeworfen. Die RAF hatte schon Jahre vor ihrer Selbstauflösung mit Attentaten auf Funktionsträger von Staat und System aufgehört. Der letzte Anschlag dieser Art hatte 1991 stattgefunden, als der Präsident der Treuhandanstalt, Detlev Karsten Rohwedder erschossen worden war.
Daniela Klette, Volker Staub und Burkhard Garweg gehörten damals auch nach Einschätzung der Behörden noch nicht zum harten Kern der Gruppe, die nach dem Rohwedder-Attentat von solchen Aktionen Abstand genommen und sich 1998 aufgelöst hatte.
Protest gegen rabiates Vorgehen der Polizei, nicht für die RAF
Gleichwohl wurde vergangene Woche auch in Berlin von einer Solidaritätsdemonstration mit der RAF gesprochen. Tatsächlich richtete sich die Demonstration gegen den massiven Polizeiaufmarsch und das rabiate Vorgehen der Sicherheitskräfte nach der Verhaftung von Daniela Klette.
Über mehrere Tage war ein Bauwagenplatz durchsucht worden. Vor den Eingängen standen bewaffnete Polizisten, während sich andere in weißen Vollkörperanzügen auf Spurensicherung begaben. In der Folge wurden noch weitere Wohnungen in der Umgebung durchsucht.
Der massive Aufmarsch der Staatsmacht erinnerte manche an den Deutschen Herbst 1977, nur dass die RAF damals noch hochaktiv war.
Wenn nun alle, die hier Widerspruch gegen die staatlichen Maßnahmen äußern, in die Nähe der nicht mehr existenten RAF gerückt werden, ist tatsächlich die Parallele zum Deutschen Herbst sehr berechtigt.
Absagen und Anfeindungen: Das RAF-Gespenst wirkt
Das bekam auch die Gefangenen-Solidaritätsorganisation Rote Hilfe nach der Verhaftung von Klette zu spüren, indem eine Ausstellung zu deren 100-jährigem Bestehen in Göttingen abgesagt wurde. Das Kulturzentrum, in dem sie stattfinden sollte, hatte sich an der Erklärung der Organisation zur Verhaftung von Klette gestört.
Es wäre nicht nur eine Aufgabe von Linken, sondern auch von Bürgerrechtsgruppen und Liberalen, sich dagegen zu wehren, dass 26 Jahre nach der Auflösung der RAF der Deutsche Herbst zurückkehrt. Welche Folgen das hat, zeigt sich auch am Sonntag in Vechta.
Ein Mann sagte, dass "die Terroristen", wenn es nach ihm ginge, auf dem elektrischen Stuhl landen würden. Todesstrafe für die RAF-Mitglieder – das war auch eine oft geäußerte Forderung von "Volkes Stimme" im deutschen Herbst 1977.
Redaktionelle Anmerkung: Nicht Otto Schily ist inzwischen verstorben, sondern sein damaliger Anwaltskollege Hans-Christian Ströbele. Wir bitten insbesondere den Betroffenen, den Fehler in der zuerst veröffentlichten Version zu entschuldigen.