Fernweh
Ausschnitt einer DDR-Briefmarke von 1961. Bild: Public Domain
Die sowjetische/russische Raumfahrt hat nicht nur in ihrer heroischen Phase erstaunliche Dinge vollbracht. Das Online-Überbleibsel von einer Moskauer Ausstellung aus dem letzten Jahr erinnert daran.
Die Amerikaner ("die Amis" ) haben im "space race" zuerst geschlafen, dann aber immer konsequenter ihren Hang zur neuesten Technologie ausgespielt. Den Sowjets (den "Russen") ist aufgrund ihrer technologischen Rückständigkeit immer nur ihre Rücksichtslosigkeit und ihr genialer Sinn für Improvisation geblieben. Die Kombination aus beidem hat ihnen am Anfang Vorteile verschafft; letztendlich ist aber das Wettrennen durch die überlegene Technologie entschieden worden, siehe Apollo 11.
So oder ähnlich wurde die Geschichte immer wieder erzählt. Sie wimmelte von Stereotypen; gerne versuchte man einen "russischen Nationalcharakter" (leidenschaftlich, tollkühn, leicht fanatisierbar) gegen "typisch Amerikanisches" (technisch brillant, arrogant und reich, immer auf Show aus) in Stellung zu bringen.
Das Anderssein der Anderen
Dass diese Art von karikaturistischer Überzeichnung noch hier und da von den Propagandamustern der Frontberichterstattung geprägt war, fiel wahrscheinlich den Wenigsten auf; erstens nahmen beide Sorten Deutschland an diesem Krieg weitestgehend nur als parteiische Zuschauer teil, zweitens schienen die Stilisierungen ein Körnchen Wahrheit zu enthalten, waren doch die technologischen und strategischen Unterschiede beim Agieren der beiden Supermächte im Weltraum mit Händen zu greifen.
Die Landungen der Wiedereintritskapseln in der Steppe, das andere Design der Raketen und Raumgefährte, der große "CCCP"-Schriftzug auf den Helmen des Kosmonauten: Das waren alles bekannte Differenzen. Aber ich kann mich noch an den einen angeblichen Fakt erinnern, der mir das Anderssein der Anderen schlagartig deutlich zu machen schien.
Irgendwo las ich, die Sohlen eines weit fortgeschrittenen Raumanzug-Prototyps für das gescheiterte Vorhaben einer bemannten sowjetischen Mondlandung seien aus Holz gewesen. Ob es stimmt oder nicht (eine Bestätigung dafür kann ich heute nicht mehr finden) - die Vorstellung, dass beinahe jemand mit hölzernen Sohlen auf dem Mond herumgelaufen wäre, war mir schwer fassbar.
Die Geburt eines neuen Zeitalters
Aber warum? Holz ist ein erstaunlicher Werkstoff, und wenn er in Kosmonautenschuhen funktioniert hätte, warum hätten die Sowjets ihn nicht einsetzen sollen? Genau diese Haltung prägt auch die Artefakte in der Online-Ausstellung "Cosmos: Birth of a New Age" des Polytechnischen Museums in Moskau.
Russische Raumfahrt (11 Bilder)

Viele der sowjetischen und russischen Weltraumartefakte in dieser Ausstellung sind gewissermaßen randvoll mit "Warum nicht?" Sie wirken heute "veralteter" als das, was uns von den gleichzeitigen amerikanischen Raumfahrtprogrammen in Museen oder Videos präsentiert wird.
Es ist eine andere Designsprache, die da gesprochen wurde und wird, man denke nur an die Lunochod-Mondfahrzeuge, die Wostok, oder das Raumschiff von Walentina Tereschkowa, der ersten Frau im All. Die Liste der Erstleistungen, die mit Hilfe dieser Designsprache und -philosophie erbracht wurden, ist lang. Manchmal sind es auch die weniger bekannten Missionen, die noch heute Erstaunen auslösen.
Zum Beispiel Lunik 3. Lunik 1, die erste sowjetische Mondsonde, hatte den Mond umrunden sollen - ein Ziel, das verfehlt wurde, aber das kleine Raumschiff war immerhin der erste Raumflugkörper außerhalb des Erdorbits. Lunik 2 lieferte auf dem Flug ein paar wissenschaftliche Erkenntnisse, schlug dann geplant auf dem Mond auf und diente dadurch auch als Demonstration militärischer Möglichkeiten.
Wer den Mond erreichte, konnte (theoretisch) auch jeden Punkt auf der Erde erreichen. Lunik 3 umrundete den Mond nicht nur, sondern fotografierte seine Rückseite, entwickelte die (qualitativ sehr bescheidenen) Bilder an Bord, funkte sie zur Erde und verglühte dann beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre. Alle drei Lunik-Missionen fanden im Jahr 1959 statt.
Luna 9: Die erste weiche Landung auf dem Mond
Das Schicksal von Laika, dem ersten Hund im Weltraum, ist bekannt. Belka und Strelka hingegen überlebten ihren Flug in (Sputnik 5, 1960) und waren damit die ersten Lebewesen, die heil aus dem All zurückkehrten (zusammen mit Mäusen, Ratten und Fliegen, die auch in die Erdumlaufbahn geschickt wurden). Die Hunde Tschernuschka und Swjosdotschka überlebten ihre Flüge mit Sputnik 9 (Korabl-Sputnik 4) und Sputnik 10 (Korabl-Sputnik 5) im Jahr 1961 ebenso.
1966 schaffte Luna 9 die erste weiche Landung auf dem Mond und damit auf einem fremden Himmelskörper überhaupt. Lunochod 1 war er erste Rover, der einen anderen Himmelskörper erforschte (17. 11.1970 - 4.10.1971). Heute würde man wahrscheinlich eher von einer fahrenden Drohne sprechen; das Fahrzeug wurde von einem fünfköpfigen Team von der Erde aus gesteuert. Lunochod 2, auf dem Mond gelandet im Januar 1973, hielt bis zum Juli 2014 den Rekord für die längste auf einem anderen Himmelskörper gefahrene Strecke.
Von diesen und vielen anderen Missionen berichtet die Ausstellung des Polytechnischen Museums anhand der Artefakte, die sie zurückgelassen haben. Es sind auch viele Gegenstände des kosmonautischen "Alltags" dabei, wie Essensrationen und Werkzeuge zur Arbeit im freien Raum. Galina Balaschowa, die maßgebliche "Innenarchitektin" der sowjetischen/russischen Raumfahrzeuge von 1963 bis 1991(!), wird erwähnt.
Die Sterne vom Himmel holen
Dankenswerterweise sind auch ein paar Exponate aus der rein experimentellen Vorzeit der sowjetischen Raumfahrt zu sehen, zum Beispiel ein Modell zu den Raketenträumen Konstantin Ziolkowskys und einige Raketentriebwerke aus den 1930ern. Oft werden nur Modelle gezeigt; sie sind aber sehr detailliert und aus verschiedenen Perspektiven fotografiert.
Echos der alten Propaganda finden sich in den Begleittexten durchaus. Über den einzigen Rockstar, den die Sowjetunion je hervorgebracht hat, heißt es:
War es das Lächeln von Juri Gagarin, das den endlosen Raum öffnete, indem es blendend helle Strahlen in die finsterste Dunkelheit sandte?
Die Sowjetunion selbst wird zwar als autoritäres Regime bezeichnet, aber für die Texter der Ausstellung holte sie dennoch die Sterne vom Himmel:
Ein Land, dessen ökonomische Entwicklung kaum dazu ausreichte, die Bevölkerung mit Konsumgütern zu versorgen, definierte die Vision vom Universum mit größter Entschlossenheit und Eleganz.
Allzu viele Details von den Desastern und Fragwürdigkeiten der sowjetischen/russischen Raumfahrt erfährt man nicht. Dass die Gagarin-Verehrung bizarre Ausmaße annehmen konnte, wird zwar dokumentiert. Zond 7 war eine Mission zur Mondumrundung (7. - 14.8.1969), die die Niederlage im Wettrennen um die erste bemannte Mondlandung ein wenig kaschieren sollte.
An Bord des Sojus 7K-L1-Raumschiffs befand sich auch eine Puppe ("FM-2"), die mit Dosimetern zur Messung der kosmischen Strahlung ausgerüstet war - und sie trug die Gesichtszüge von Juri Gagarin. Auf die Peinlichkeit dieser Farce weisen die Begleittexte der Ausstellung lieber nicht hin.
Die völlig überflüssige Nedelin-Katastrophe, der Tod Wladimir Komarows, die jämmerlichen Umstände, die zum Tod Gagarins führten, das Sojus 11-Desaster- all das wird nicht oder nicht zu deutlich erwähnt. Stattdessen allgemeine Phrasen:
Die Sowjetunion öffnete die Tür zur Ära der Raumfahrt, Russland führt die Mission fort. Der Weg war voller Triumphe; es gab das Glück erstaunlicher Errungenschaften, es gab Tragödien und zeitweilige Rückschläge.
Astronautix
Da ist es dann schon sinnvoll, auch auf Informationen aus anderen Quellen zurückzugreifen, wie zum Beispiel die extrem ausführliche und detaillierte Online-Enzyklopädie astronautix. Während die militärische Seite der sowjetischen/russischen Raumfahrt in der Ausstellung eindeutig unterbelichtet ist, findet man dort mühelos Informationen über das Almaz-Programm der Sowjets.
Astronautix berichtet, dass mindestens eine dieser militärischen Raumstationen (unter dem Tarnnamen Saljut 3) mit einer Maschinenkanone ausgerüstet war, die auch erfolgreich gegen einen Zielsatelliten getestet wurde.
Obwohl die Online-Ausstellung Mängel aufweist, lohnt es sich, ihre Bildstrecken durchzuklicken, und nicht nur für Technikbegeisterte. Die Website, die ja schon selbst wieder so etwas wie eine moderne Ruine ist, gibt einen einzigartigen Blick auf die teilweise höchst lebendigen Ruinen und Überbleibsel eines sehr ambitionierten Raumfahrtprogramms frei.
Man kann beim Besichtigen dieser Ruinen entdecken, welch komplexe Probleme die Raumfahrt bereit hält. Vielleicht sollten wir eines Tages alle verschiedenen Formen technologischer Kreativität zusammenbringen, um die Erforschung des Weltalls im großen Maßstab neu zu denken.