Fischerei am Abgrund - Klimawandel und Überfischung gefährden Bestände

Susanne Aigner

Die EU-Kommission will umweltschädliche Fangmethoden wie Schleppnetze verhindern. Krabbenfischer sehen ihre Existenz bedroht. Auch erhöhte Wassertemperaturen setzen Meerestieren zu.

Ursprünglich war ein Verbot der Fischerei mit Grundschleppnetzen in Schutzgebieten bis spätestens 2030 geplant. Erste Maßnahmen sollen bereits Ende März 2024 in Kraft treten. Bereits im Februar hatte die EU-Kommission an ihre Mitgliedstaaten appelliert, mit nationalen Maßnahmen in ihren Meeresschutzgebieten die Fischerei mit Grundschleppnetzen einzustellen. Dagegen formierte sich nun Widerstand. Bei einem Treffen aller Agrarminister in Büsum an der Nordseeküste protestierten zahlreiche Krabbenfischer gegen das geplante Aus von Grundschleppnetzen.

Das geplante Totalverbot gehe zu weit, weil damit die Krabbenfischerei komplett oder weitgehend abgeschafft würde – mit dieser Begründung wies Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) einen aktuellen Aktionsplan der EU-Kommission zur Einschränkung der Fischerei mit Grundschleppnetzen zurück. Auch die Agrarminister der Länder unterstützen ihn im Kampf gegen ein pauschales Schleppnetzverbot.

Es gehe nicht nur um wirtschaftliche Existenzen, sondern auch um Tradition, Tourismus, Heimat. Man müsse ökologische Interessen vertreten und gleichzeitig der Fischerei eine Zukunft bieten, erklärte Özdemir. Wie die Tradition fortgesetzt werden soll, was die Touristen essen und wie unsere Heimat aussehen soll, wenn die Meere leergefischt sind, dazu äußerte er sich nicht. Keinen Hinweis darauf, was Krabbenfischer fangen sollen, wenn es keine Fische, Krabben oder andere Meerestiere mehr gibt.

In der deutschen Nordsee werden Grundschleppnetze vor allem beim Fang von Krabben, Plattfischen, Garnelen, Schollen oder bodennah lebenden Fischen wie Kabeljau eingesetzt. Beim Ostsee-Dorsch (Kabeljau) sind die Bestände bereits aufgrund jahrelanger Überfischung zusammengebrochen.

Die gigantischen trichterförmigen Netze, die von Fischkuttern über den Meeresboden gezogen werden, richten irreparable ökologische Schäden an. Mit Metallplatten und Holz beschwerte Netze pflügen den Boden regelrecht um. Bei der Jagd auf Schollen und Seezungen in der offenen Nordsee schrammen schwere Ketten und Geschirr mit kleinmaschigen Netzen über den Untergrund.

Dabei werden Laichplätze aufgewühlt, Fische aufgescheucht, Pflanzen entwurzelt. Der Meeresboden wird verschlammt, versandet und verwüstet, tausende Meerestiere und Organismen getötet. Würde Ähnliches auf dem Land passieren, wäre das so, als würden riesige Bulldozer alles plattmachen, weiß Rainer Froese vom Geomar Helmholtz-Zentrum in Kiel.

Vor 150 Jahren waren die südliche Nordsee und die Deutsche Bucht ein riesiges Austernfeld, erklärt der Geomar-Eperte. Am Meeresgrund gab es jede Menge Leben. Heute gibt es hier nur noch verschlammte Nordsee. In der gesamten EU gebe es kaum ein Schutzgebiet, in dem die Fischerei verboten ist, klagt der Meeresökologe. Mehr als ein Drittel der weltweiten Fischbestände zu stark befischt, die meisten Meeresregionen innerhalb der EU.

Im Nordpazifik nahe der chinesischen und japanischen Küste, im Atlantik sowie in Westafrika und Indonesien werden die Meere seit Jahren von Industriefischern aus Europa und China illegal befischt. Mehr als 50 Prozent der Fischbestände werden hier größtenteils von ausländischen Flotten befischt. In der EU sind vor allem die Nord- und Ostsee von akuter Überfischung betroffen. Gerade mal acht Prozent der Weltmeere sind geschützt, selbst in ausgewiesenen Schutzzonen wird gefischt. Nur etwa ein Prozent der Schutzgebiete seien auch wirklich frei von Fischereibooten.

Grundschleppnetzfischerei bedroht das Klima

Die martialischen Fangmethoden bedrohen nicht nur die biologische Vielfalt der Meere. Glaubt man einer Studie, die 2021 im Fachmagazin Nature veröffentlicht wurde, setzt das Aufwühlen des Meeresbodens durch schweres Gerät jedes Jahr durchschnittlich eine Gigatonne Kohlendioxid frei. Das ist mehr als der Flugzeugverkehr weltweit emittiert.

In den aufgewühlten Sedimenten werden organische Kohlenstoffverbindungen freigesetzt und zu klimaschädlichem Kohlendioxid umgewandelt. Infolgedessen versauern die Ozeane und die Meere nehmen weniger Kohlendioxid aus der Luft auf. Das wiederum verstärkt den Treibhauseffekt. So greift das kohlensäurehaltige Wasser Meerestiere wie Korallen oder kalkhaltige Kleintiere wie Muscheln an.

Weil all dies unter Wasser passiert, bekommen weder Touristen noch Einwohner davon etwas mit. Hier helfen keine Schutzgebiete, sondern nur eine drastische Verringerung des klimarelevanten Treibhausgase. Wie der aktuelle Ozeanbericht des Weltklimarats zeigt, leiden die Meere ohnehin unter steigenden Temperaturen, Sauerstoffknappheit, dem Sterben bzw. Abwandern von Meerestieren.

Mit der Erwärmung der Ozeane verlagern sich die marinen Arten in höhere Breiten und tiefere Gewässer. Die Fischbestände gehen zurück oder werden großflächig umverteilt. Dies trifft besonders tropische Länder, die von Fischproteinen abhängig sind. Auch in europäischen Gewässern löst die Verschiebung der Arten Konflikte aus, so beispielsweise um den norwegischen Heringsbestand, der im Frühjahr laicht.

Das bedroht nicht nur die marinen Ökosysteme und die schwindenden Wirbeltierpopulationen, sondern auch Millionen Menschen, die von Fischerei und Aquakultur leben.

Nachhaltige Kriterien beim Fischfang

Gemeinsam mit NABU, Deutscher Umwelthilfe, WWF und Geomar veröffentlichte die Verbraucherzentrale eine Liste, die zwischen gutem Fisch und bedingt empfehlenswerten Fisch unterscheidet

Maßgeblich sind vor allem Herkunft, Art und Fangmethode:

• Die Bestandsgrößen müssen nachweisbar und aktuell über dem Mindestwert liegen, der den maximalen Dauerertrag produzieren kann. Der Fischereidruck muss nachweisbar und aktuell kleiner sein als der, der den maximalen Dauerertrag produzieren kann.

• Die mittlere Körpergröße im Fang muss deutlich über derjenigen liegen, bei der die Tiere geschlechtsreif werden.

• Die Fangmethoden sollen die Umwelt, andere Arten und die natürliche Größenstruktur des Bestandes möglichst wenig beeinträchtigen. Maschenweiten müssen so groß sein, dass Jungfische und kleinere Arten hindurchschlüpfen können. Beim Einsatz von Schleppnetzen darf der Meeresgrund nicht berührt werden. Grundschleppnetze, Dredgen und Fischsammler (FAD's) sind ausgeschlossen.

Einige Fischbestände verfehlten Kriterien wie ausreichende Bestandsgröße, Vermeidung von Beifang oder Einsatz schonender Fangmethoden nur knapp und wurden daher nur mit dem Zusatz "bedingt empfehlenswert" aufgenommen. Eine gute Klimabilanz habe Fisch aus lokaler Zucht, wie etwa Forelle oder Karpfen.

Er muss weder weit transportiert noch lange gelagert werden, wodurch Treibhausgase eingespart werden. Auch lokale Arten können überfischt sein und mit umweltschädigenden Methoden gezüchtet oder gefangen werden. Kabeljau gilt nur als nachhaltig, wenn er in den Gewässern um Spitzbergen, der Barentssee oder der Norwegischen See gefangen wurde.

Welcher Fisch ist wirklich nachhaltig?

Wer nachhaltig gefangenen Fisch kaufen will, sollte sich nicht auf das Siegel der Organisation Marine Stewardship Council (MSC) verlassen. Denn dieser zertifiziert auch Fischereiflotten, die mit zerstörerischen Fangmethoden arbeiten oder auf deren Schiffen Menschen ausgebeutet werden, kritisiert Greenpeace-Meeresbiologe Thilo Maack. Die Organisation zertifiziert industrielle Groß-Fischereien, die zerstörerische Grundschleppnetze einsetzen. Auch massive Beifänge an Haien, Schildkröten oder bedrohten Seevogelarten wie Albatrossen schließt die Vergabe des Siegels nicht aus.

Einem Bericht der französischen NGO Bloom zufolge kommen 83 Prozent der MSC-zertifizierten Fischfänge aus zerstörerischer, industrieller Fischerei. Wer solche Praktiken nicht unterstützen möchte, greift am besten zu heimischem Bio-Fischprodukten. Vertrauenswürdige Siegel sind Naturland, Followfood oder Wild Ocean.

Bioland und Naturland legen Wert auf eine nachhaltige Nutzung der Ressourcen – in ökologischer, sozialer und ökonomischer Hinsicht. Das EU-Bio-Logo kennzeichnet vor allem Fischprodukte aus ökologischer Aquakultur, die den EU-Standards zur ökologisch-biologischen Bewirtschaftung entsprechen. Stammt Zuchtfisch aus Ländern mit eher niedrigen Sozialstandards, sollte er besser zusätzlich durch den Aquaculture Stewardship Council (ASC) und/oder Naturland zertifiziert sein.

Häufig gibt es Zuchtfisch aus kleinen regionalen Aquakulturen, die nicht zertifiziert sind, aber trotzdem nachhaltig und ökologisch wirtschaften. Generell sind pflegeleichte Friedfische wie Karpfen den Raubfischen vorzuziehen.

Meerestiere brauchen Rückzugsräume

Die Meere bedecken 70 Prozent der Erde. Unter der Wasseroberfläche befinden sich felsige Gebirge, Vulkane, Algenwälder und Millionen Lebewesen vielfältigster Arten. Für meisten Menschen unsichtbar schreitet hier das Artensterben voran. Um Licht ins Dunkel der Weltmeere zu bringen, kartierten Umweltforscher und Biologen der australischen Universität Queensland erstmals besonders sensible Zonen der Ozeane, die ihrer Ansicht nach möglichst schnell zu Schutzgebieten erklärt werden sollten, um zu verhindern, dass noch mehr Unterwassertiere und mit ihnen ganze Landschaften aussterben.

Wir brauchen Gebiete, die frei von menschlichen Einflüssen wie Fischerei, Handelsschifffahrt oder Pestizidabfluss sind, erklärt Studienautor Kendall Jones. Um Wasservögel, Fische und Meeressäuger ausreichend zu schützen, müssten ihm zu Folge 26 bis 41 Prozent der Weltmeere unter Schutz gestellt werden. Gemeinsam mit seinem Team bestimmte Jones für jede Art den minimalen Platz, den diese zum Überleben benötigt.

Anfang März einigten sich die Vereinten Nationen nach fünfzehnjährigen Verhandlungen überraschend auf ein Abkommen zum Schutz der Hohen See. Es ist völkerrechtlich bindend und soll fast 60 Prozent der Weltmeere abseits von Staatsgrenzen schützen. Demnach sollen wirtschaftliche Aktivitäten fernab der Küsten auf ihre Umweltverträglichkeit hin geprüft, Gewinne sollen fair zwischen den Ländern des globalen Südens und Nordens geteilt werden.

Das Abkommen folgt damit auf das Weltnaturschutzabkommen von Montréal vom Dezember 2022. Umweltverbände wie der NABU drängen nun auf seine schnelle und wirksame Umsetzung. Schutzgebiete werden in Deutschland fatalerweise zuallererst als Wirtschaftsraum gesehen, lautet die Kritik. Das müsse sich grundlegend ändern. Ausgewiesene Schutzgebiete müssen frei von menschlicher Nutzung bleiben, auch frei von Tiefseebergbau.

In seinem Zehn-Punkte-Plan zeigt NABU konkrete Schritte zur Umsetzung der Meerespolitik. Das dürfte auch im Sinne von Greenpeace sein, denn seit Langem fordert die Organisation ein echtes Meeresschutzabkommen.