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Fleisch und sein wahrer Preis: Schockvideos aus Mastställen und gefährliche Keime

Screenshot aus einem Video der Albert-Schweitzer-Stiftung aus einem Maststall in Niedersachsen.

Lidl-Lieferanten fielen durch brutalen Umgang mit Tieren auf. Während Aldi mehr Tierwohl-Produkte ankündigt, will Lidl den Anteil pflanzlicher Produkte erhöhen.

Im Sommer filmte ein Team der Albert-Schweitzer-Stiftung in vier EU-Ländern in den Mastställen großer Lidl-Lieferanten. Auf dem Portal Lidl-Fleischskandal [1] wurden es die Ergebnisse der Undercover-Recherchen veröffentlicht. Die Aufnahmen zeigen kranke und verletzte Hühner, wie hier in einem Stall in Niedersachsen [2].

Die Hühner, die darauf gezüchtet sind, so schnell wie möglich zu wachsen, nehmen innerhalb kürzester Zeit so schnell an Körpermasse zu, dass Knochen und Organe der Tiere überlastet sind und die Tiere ihr eigenes Körpergewicht kaum tragen können. Sie leiden unter Schmerzen, Deformationen und Organversagen.

Beine und Rücken sind häufig deformiert, die Brustmuskulatur ist unnatürlich groß. Die Hühner haben kahle Stellen, oder ihre Brust entzündet sich, weil sie in den eigenen Fäkalien liegen müssen. Ständig atmen sie ätzendes Ammoniak ein.

Einige leiden erkennbar durch seitliches Liegen, schweres Atmen und apathisches Verhalten. Viele können sich nicht mehr auf den Beinen halten und kippen um. Manche Tiere sitzen mit ausgestreckten Beinen auf dem Boden und können nicht mehr aufstehen. Häufig sind die Kloaken verklebt - ein Hinweis auf Durchfall.

Qualzucht, Platzmangel und der ständige Stress machen die Tiere anfällig für Infektionen. Viele verenden qualvoll, noch bevor sie zum Schlachthof transportiert werden. Andere entwickeln neurologische Störungen etwa durch Verdrehen des Halses. Viele verhungern einfach auf dem Rücken liegend. In einem italienischen Mastbetrieb werden Küken, die im Alter von wenigen Tagen ankommen, mehrere Meter weit aus den Transportkisten geschleudert. Sie fallen zum Teil auf Küken, die zuvor heruntergeworfen wurden [3].

Ähnlich sind die Aufnahmen aus einem spanischen Hähnchenmaststall [4]: Auch hier werden die Küken mit Schwung aus den Transportkisten geschüttet, ohne Rücksicht darauf, ob sie sich verletzen könnten. Eine Szene zeigt, wie ein Arbeiter auf ein Huhn einschlägt. Verletzte Küken werden gegen einen Eimer geschlagen bis sie tot sind. Tote Tiere werden Hunden zum Fraß vorgeworfen.

Diejenigen, die überlebt haben, werden brutal in Käfige auf einen Transporter gestopft, der sie zum Schlachthof fährt. Tote Tiere sind von vornherein eingeplant: Die Betriebe kalkulieren mit rund fünf Prozent Verlust noch vor der Schlachtung.

In einem AMA-Mastbetrieb im österreichischen Bundesland Steiermark [5] werden Hühner rücksichtslos von einem Traktor mit Hänger überfahren. Auch hier liegen sterbende Hühner am Boden. Nachdem die Tiere in Transportkisten gestopft und abtransportiert wurden, werden die nächsten Kisten mit Küken auf den Stallboden entleert – das Elend beginnt von Neuem. Die brutalen Methoden erzeugen unnötige Schmerzen und unaussprechliches Leid. Damit verstoßen sie eindeutig gegen europäisches Tierschutzrecht.

Multiresistente Keime in Mastbetrieben

Zur Gewaltanwendung in den Mastställen kommt ein Problem, das auch Menschen gefährlich werden kann: antibiotikaresistente Keime in der Tierhaltung. So entdeckte die Deutsche Umwelthilfe bei Testkäufen in Discountern kürzlich in mehr als einem Viertel der getesteten Putenfleisch-Produkte antibiotikaresistente Keime. Einige waren sogar resistent gegen Reserve-Antibiotika.

Glaubt man den europäischen Gesundheits- und Lebensmittelbehörden, so ist der umstrittene Medikamenteneinsatz in der Nutztierhaltung tendenziell rückläufig. Auch der Einsatz von Antibiotika sei angeblich zurückgegangen [6].

Erkranken massenweise Tiere oder befinden sich in einem schlechten Zustand, könnte dies an den Haltungsbedingungen liegen, erklärt Constanze Rubach. Bakterien, die gegen viele Antibiotika widerstandsfähig sind, könnten "zu einem ernsten Gesundheitsrisiko für den Menschen [7] werden".

Die Verbraucherschützerin kritisiert die durch den Handel eingeführte vierstufige Haltungskennzeichnung – denn die garantiere nicht, dass es den lebenden Tieren wirklich gut gehe. Das System sei nicht gesetzlich definiert, werde aber vielfach werblich genutzt, um eine tierwohlorientierte Landwirtschaft zu suggerieren, kritisiert die Projektleiterin beim Verbraucherschutz in Niedersachsen. Mehr Platz und Beschäftigungsmaterial im Stall bedeuten nicht automatisch mehr Tierwohl. Deswegen spricht sie sich für eine gesetzliche Regelung aus.

Vermarktet wird das Fleisch der gequälten Masthühner bei Lidl unter dem Tierwohl-Siegel – Haltungsform 2 (Stallhaltung Plus), das auch Qualzuchten erlaubt [8]. Solchermaßen gelabelt, denken ahnungslose Kunden, sie fördern mit ihrem Kauf das Tierwohl, stattdessen stammt das Fleisch von Tieren aus industrieller Haltung.

Lidl-Lieferanten weisen Vorwürfe zurück

Man setze alles daran, die Vorwürfe der Tierschutzorganisationen zu überprüfen, erklären Lidl-Vertreter, die mit den Videos konfrontiert wurden. Man werde intensiv daran arbeiten, das Sortiment in Zusammenarbeit mit Partnern und Lieferanten entlang der gesamten Lieferkette und mit Blick auf die Kundenbedürfnisse tierwohlgerechter zu gestalten.

Zwar lägen ihnen keine Hinweise zu Tierschutzverletzungen vor, doch habe man wegen der Vorwürfe eine zusätzliche unabhängige Prüfung durch externe Sachverständige veranlasst. Die Einhaltung des Tierschutzes liege in der Verantwortung der Landwirte. Diese würden regelmäßig "von unabhängigen, externen Auditoren im Rahmen der QS-Anerkennung" überprüft. So werde ein Sachkundenachweis für den Umgang mit Masthähnchen [9], Vorgaben zur Tierkontrolle sowie allgemeine Haltungsanforderungen mit kranken und verletzten Tieren gefordert.

Wenn die Arbeiter mit Erwerb ihres Sachkundenachweises Vögel durch die Gegend werfen, sie mit Füßen treten oder im Dreck verhungern lassen, benötigen sie vielleicht weniger Sach- und dafür mehr Tierkunde. Wie wäre es mit mehr Wissenstransfer zu artgerechter Hühnerhaltung? Und was das QS-Siegel [10] angeht, so braucht es nicht viel, um dieses zu erwerben. So ziemlich jeder Betrieb bekommt es. Die Kontrollen sind lasch, bei Missständen werden alle Augen zugedrückt.

"Die Masse der Tiere in der industriellen Tierhaltung lassen Menschen schnell vergessen, dass es sich bei jedem einzelnen Huhn um ein leidensfähiges Lebewesen handelt", bemerken die Tierschützer der Albert-Schweitzer-Stiftung. Wer im agrarindustriellen Kontext so mit Tieren umgeht, ist auch menschlich verroht. Es drängt sich die Frage auf: Auf welche Hinweise warten Lidl & Co. noch? Wenn die genannten Aufnahmen die Verantwortlichen nicht erschüttern, was soll sie dann aufschrecken?

Mehr Veganes, mehr Tierwohl-Produkte – wie Discounter an ihrem Image feilen

Aldi Nord und Süd kündigte bereits vor zwei Jahren an, bei frischem Fleisch für mehr Tierwohl sorgen zu wollen. Nun soll dieses Versprechen auch für Salami, Kochschinken, Wiener Würstchen und Bacon gelten. Der Discounter will nicht nur neue Absatzmöglichkeiten für Landwirtschaft und Lieferanten schaffen, sondern auch das Tierwohl-Sortiment für seine Kundinnen und Kunden erweitern. Steige die Nachfrage nach Produkten aus tiergerechterer Haltung, bedeute dies für heimische Höfe mehr Planungssicherheit.

Momentan allerdings dominiert in vielen Supermärkten Fleisch aus der Haltungsform 2. Für Stufe 3 oder 4 muss den Tieren mehr Frischluft, Auslauf und Beschäftigungsmaterial geboten werden. Dafür müssen die Bauern ihre Ställe allerdings kostenaufwändig umbauen.

Gegen Krankheit und Elend von Millionen Tieren helfe keine irreführende Haltungskennzeichnung, sondern nur lückenlose Gesetze für mehr Tiergesundheit, erklärt Annemarie Botzki von der Verbrauchschutz-Organisation Foodwatch.

Sie bezweifelt, dass dieser "Haltungswechsel" von Aldi das Tierwohl nachhaltig verbessert. Damit wir unsere Klimaziele erreichen, müssen wir auch an den Fleischsektor ran, ist sie überzeugt. Die Tierhaltung müsse stark heruntergefahren werden. Vor diesem Hintergrund sei die Ankündigung von Lidl, insgesamt weniger Fleischprodukte anzubieten, ein Schritt in die richtige Richtung.

Lidl hingegen plant, Fleisch durch mehr pflanzliche Produkte ersetzen. Ob Seitan-Schnitzel, Soja-Hackfleisch, Mortadella aus Erbsenproteinen – nach eigenen Angaben will das Unternehmen den Anteil pflanzenbasierter Proteinquellen im Sortiment bis 2025 deutlich erhöhen [11].

Foodwatch fordert eine Reduktion der Tierzahlen um mindestens die Hälfte und begrüßt daher den Vorstoß von Lidl, das Sortiment umzustellen. Weitere Stellschrauben für mehr Klimaschutz wären zudem mehr regionale und saisonale Produkte anzubieten.

Fleischprodukte aus höheren Haltungsformen seien die Zukunft, erklärt Cem Özdemir. Der Fleischkonsum sinke beständig. Gleichzeitig wollen die Verbraucherinnen und Verbraucher, dass Tiere besser gehalten werden. Das stimmt nur teilweise. Zwar ging der Fleischkonsum in den vergangenen Jahren zurück, doch lag der Verzehr 2021 laut Angaben der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung immer noch bei durchschnittlich 55 Kilogramm pro Kopf.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-8964560

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.lidl-fleischskandal.de/
[2] https://www.youtube.com/watch?v=kvcW38t2yEo
[3] https://www.youtube.com/watch?v=ZUdEs5xqNjU
[4] https://www.youtube.com/watch?v=2xF9_apVPP8
[5] https://www.youtube.com/watch?v=Od8Muw-rdSA
[6] https://www.zeit.de/wirtschaft/2021-08/deutsche-umwelthilfe-antibiotikaresistente-keime-bakterien-gefluegel-pute-supermarkt-discounter?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F
[7] https://www.t-online.de/region/hannover/id_100071454/qualzucht-vorwuerfe-bei-lidl-zulieferer-keine-gesundheitsgefahren-laut-discounter--10427777.html
[8] https://www.lidl.de/p/metzgerfrisch-frische-haehnchen-unterkeulen/p65256
[9] https://www.focus.de/finanzen/schwere-vorwuerfe-lidl-zulieferer-laesst-masthuehner-elendig-verenden_id_169810769.html
[10] https://www.q-s.de/qs-system/wofuer-steht-das-qs-pruefzeichen.html
[11] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/lidl-sortimentumstellung-101.html