Flüchtlingsbekämpfung: Die Schrauben werden angezogen

Migration und Asyl: Es geht nicht um Aufnehmen können, sondern um Aufnehmen wollen. Einwurf zur Debatte.

"Strikt sein, klar sein, aber ohne Schaum vorm Mund": So lautet die neue Haltung von Bundeskanzler Olaf Scholz zu den steigenden Flüchtlingszahlen. Also eiskalt die Leute drangsalieren, abschieben und abschrecken, die Deutschland nicht haben will?

Da ist sie wieder, die Flüchtlingskrise in Deutschland. Nicht zu verwechseln mit den Krisen, die die Geflüchteten aus ihren Heimatländern vertrieben haben, und mit ihrer verzweifelten Lage. Nein, mit "Flüchtlingskrise" gemeint ist die Aufregung der Politik über zu viele Menschen, die ungefragt nach Deutschland kommen. Für Elendsgestalten mit unpassender Ausbildung haben die hiesige Herrschaft und die Unternehmen nun einmal keine Verwendung.

Für IT-Spezialisten aus Indien schon – wie überhaupt für Fachkräfte aus aller Welt, die dem Mangel in einigen Berufen abhelfen. Diese Leute liegen außerdem dem Staat nicht auf der Tasche, sondern arbeiten brav für den Profit der Wirtschaft und zahlen Steuern.

Ausländer ist halt nicht gleich Ausländer. Ein kapitalistisch hochentwickelter Staat wie Deutschland sucht sich sehr genau die Menschen aus, die er für sich und seine Wirtschaft benötigt. Und hält möglichst alle ab, die in dieses Raster nicht passen.

Die neuen Bestimmungen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes erleichtern den Zuzug für jene, die über einen in ihrer Heimat anerkannten Berufsabschluss verfügen, mindestens zwei Jahre bereits in ihrem Beruf gearbeitet haben – und natürlich hierzulande einen Arbeitgeber finden, der sie einstellt.

Politisches Asyl: Verfeindeter Staat? Ja! Befreundeter? Nein!

Diese Menschen sind also hochwillkommen. Es gibt allerdings auch solche, die nichts mitbringen außer ihrer Verzweiflung, und dennoch die Grenze passieren und hier einstweilen bleiben dürfen. Sie können einen Antrag auf Asyl stellen, das ist im Grundgesetz verankert. Allerdings kann sich darauf nicht jeder Flüchtling berufen:

(…) Wer aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist

GG Art. 16 A, Abs.2

, zählt nicht zum Kreis der Asylberechtigten. Ferner können durch Gesetz weitere Staaten bestimmt werden,

(...) bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet.

GG Art. 16 A, Abs. 3

Kurz gesagt: Deutschland beurteilt die anderen Staaten stets aktuell darauf, inwiefern sie mit ihren Völkern so umspringen, wie es sich nach den eigenen Maßstäben gehört. Die heißen dann "sichere Herkunftsländer".

Dies gilt indes nicht prinzipiell, sondern unterliegt dem Stand des deutschen Interesses an den Beziehungen zu den jeweiligen Nationen. Da kann beispielsweise Saudi-Arabien Grundfreiheiten mit Füßen treten und erniedrigende Bestrafung praktizieren.

Wenn es außenpolitisch geboten erscheint, gelangt dieser Staat nicht auf die Liste der Länder, aus denen man mit einem sicheren Anspruch auf Asyl fliehen darf. Von dort kommt viel Öl, demnächst vielleicht sogar grüner Wasserstoff, dorthin liefert Deutschland Waffen, und generell strebt Berlin engere Wirtschaftsbeziehungen an.

Syrien, Afghanistan: Deutschland sorgt für Fluchtgründe

Anders im Fall Syrien: Wer vor dem Bürgerkrieg flieht, hat hierzulande gute Chancen, im Asylbewerber-Verfahren anerkannt zu werden. Schließlich herrscht dort ein Regime, das weg gehört, weil es stört: nämlich die Befriedung des Nahen Ostens durch eine von den USA und seinem Statthalter Israel dekretierte Ordnung.

Entsprechend gehen diese beiden Staaten gegen die Regierung von Assad in Damaskus vor, unterstützt von Saudi-Arabien und mit militärischen Einsätzen von Frankreich und vor allem der Türkei. Die Bundesregierung mischt ebenfalls mit, wenn auch in Ermangelung militärischer Mittel nur diplomatisch.

Da äußert sich eine Außenministerin Baerbock aber schon einmal sehr deutlich, wenn ihr etwas nicht gefällt: Im Mai warnte sie die Arabische Liga, einen losen Zusammenschluss von 20 Staaten, vor der Wiederaufnahme von Syrien. Eine "bedingungslose Normalisierung" der Beziehungen dürfe es nicht geben.

Die Zahl der syrischen Asylbewerber erreichte ihren Höhepunkt 2016: 266.250 Anträge wurden in Deutschland gestellt. Im selben Jahr kamen außerdem sehr viele Flüchtlinge aus Afghanistan, 127.012 stellten einen Antrag (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Das Bundesamt in Zahlen 2022).

Insgesamt lagen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge damals 745.545 Asylanträge zur Bearbeitung vor. Man erinnert sich: die erste Flüchtlingskrise, und das Merkel-Zitat: "Wir schaffen das".

Tatsächlich schaffte man das: Wir sind schließlich die Guten in der Welt – und somit zuständig für die von uns zertifizierten Leidgeplagten dieser Welt und können deshalb anderen Staaten Vorschriften machen, wie sie mit ihnen umzugehen haben. Das heißt nicht, dass wir alle Flüchtlinge anerkennen. Schlichte Wirtschaftsflüchtlinge interessieren Deutschland eben nicht.

Zuständig für die Leidgeplagten ist Deutschland in der Tat, allerdings in einem anderen Sinn: Nicht nur in Syrien unterstützt es die Zerrüttung des Staates, weil das Assad-Regime stürzen soll. In Afghanistan war es Teil der US-amerikanischen Invasion und Besetzung, mit den entsprechenden Folgen der Fluchtbewegungen von dort, bis heute.

Das ganz normale Elend der Globalisierung

Aber man muss gar nicht auf die großen Kriege schauen, um die Fluchtgründe der Menschen zu benennen, die aus dem Nahen Osten kommen, aus Afghanistan oder aus Afrika.

Die ganz normalen Wirtschaftsbeziehungen des Westens mit den Staaten dort und deren daraus folgende armselige Beschaffenheit sorgen zuverlässig seit Jahrzehnten dafür, dass es viele Menschen nicht mehr aushalten und alles aufgeben: Denn überall kann es nur besser sein als in ihrer Heimat.

Die Staaten in der sogenannten Dritten Welt schaffen es in den meisten Fällen schlicht nicht, eine konkurrenzfähige Wirtschaft aufzubauen – die auf einer ähnlich profitablen Ausbeutung von abhängig Beschäftigten beruht wie in der erfolgreichen Ersten Welt.

Ob Maschinenbau, IT, Energie, Autoindustrie, Stahlproduktion, Chemie und Pharmazie, Kunststoffe und Lebensmittel, oder wie die maßgeblichen Branchen der beherrschenden Nationen alle heißen: Überall sind Kapitalgröße, Effizienz und Profitabilität derart überlegen, dass Newcomer kaum eine Chance haben. Einzig China hat es geschafft, in diese Phalanx einzubrechen. Wie, das steht auf einem anderen Blatt (siehe dazu beispielsweise Renate Dillmann: China – ein Lehrstück).

Die meisten Staaten der Dritten Welt verbleiben im Status von Lieferländern für diverse Rohstoffe und als Anbaugebiete für Lebensmittel, die exportiert werden. Das Land wird dafür hergerichtet. Für den Abbau von Erzen in Minen beispielsweise werden Stämme aus ihren Gebieten vertrieben, weil sie dem im Wege stehen, und damit ihrer Existenzgrundlage beraubt.

Plantagen für Palmöl dehnen sich auf Kosten von Kleinbauern aus. Hinzu kommen für die heimische Wirtschaft ruinöse Importe von konkurrenzlos billigen Waren wie Hühnerfleisch und Schlachtabfälle aus Europa.

Und sogar der Fischfang bleibt vielen Küstennationen nicht als Einnahmequelle: Westliche Fangflotten demonstrieren auch hier die Überlegenheit eines Kapitals, das sich mit großer und hochmoderner Technik durchsetzt. Den örtlichen Fischern bleibt dann nicht mehr viel übrig.

Flucht aus den Verliererstaaten der Weltwirtschaft

Die einheimische Bevölkerung kann daher nur hoffen, einige der wenigen und schlecht bezahlten Jobs zu bekommen, um das Geschäft des auswärtigen Kapitals zu bedienen. Die andere Möglichkeit: Teil der Herrschaftselite zu werden, als Beamter, Soldat oder Politiker. Diese Leute partizipieren nämlich von den Exporteinnahmen und finanzieller Unterstützung der Ersten Welt.

Sie sind die einzigen, die über ein halbwegs geregeltes Einkommen verfügen. Entsprechend hart und gewalttätig gerät die Konkurrenz um diese wenigen Möglichkeiten, Bürgerkriege sind an der Tagesordnung. Der Rest des Volks muss schauen, wie es überlebt. Oder das Weite suchen. Da kratzen dann Familien alle Mittel zusammen, um ihre jungen Töchter und Söhne aus dieser Misere zu bringen.

Die reichen Länder im Norden sind das Ziel. Und zwar für immer mehr Menschen. Offenbar haben die freie Weltwirtschaft und Jahrzehnte der westlichen Entwicklungshilfe es nicht geschafft, die Verhältnisse in der Dritten Welt zu verbessern.

Im Gegenteil, die Zahl der Flüchtlinge wächst stetig, was ja gerade das große Problem sein soll. Nein, nicht für die Menschen, die hier stranden. Auch nicht für die Staaten, denen Teile ihres Volks verloren gehen. Sondern das Problem hat Deutschland. Denn so war das nicht gedacht. Das in den fernen Kontinenten geschaffene Elend sollte bitte schön dort bleiben und nicht an der hiesigen Haustür anklopfen.

Unbrauchbare, Unbotmäßige, Unpassende: Europa macht dicht

Den hier landenden Leuten schlägt deshalb eine – vorsichtig formuliert – ziemlich schlechte Stimmung entgegen. Bundeskanzler Olaf Scholz will "endlich im großen Stil abschieben", sagt er dem Spiegel.

Da brauchen in Zukunft die Ausländerbehörden die Abschiebung nicht mehr drei Monate vorher ankündigen, "wenn ein Asylbewerber länger als ein Jahr in Deutschland geduldet wurde und keine Kinder unter zwölf Jahren hat".1

Also den Menschen einfach sofort festnehmen und in den Flieger packen. Genauso überfallartig darf die Polizei nun die Gemeinschaftsunterkünfte der Asylbewerber durchsuchen – nach Dokumenten zur Identität oder "falls sie einen Abschiebekandidaten dort vermuten".2

Die Liste der Verschärfungen geht noch weiter, beispielsweise können Asylbewerber sofort abgeschoben werden, wenn konkrete Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass sie in Kontakt mit organisierter Kriminalität sind. Beweise braucht es keine, selbst ein eingestelltes Ermittlungsverfahren schützt nicht, eine noch nicht rechtskräftige Verurteilung ebensowenig.

Das rabiatere Verfahren hilft allerdings nur, wenn der Herkunftsstaat auch die Abzuschiebenden aufnehmen will. Bei der souveränen Gewalt der Gegenseite hört die Abschiebemacht Deutschlands nun einmal auf. Viele Staaten wollen ihre tatsächlichen oder vermeintlichen Bürger gar nicht zurück haben.

Sie haben schließlich keine Verwendung für sie, deshalb flohen sie doch. Und wer ohne Pass ist, kann nicht sicher nachweisen, dass er wirklich einer ist, der zu der potenziellen Empfängernation gehört. Womöglich handelt man sich Leute ein, die nicht zum Staatsvolk gehören, also Fremde! Und denen begegnet jeder Staat mit gehörigem Misstrauen.

Wenn beispielsweise Nigeria nicht bereit ist, die aus dem Land Geflüchteten wieder aufzunehmen, bleiben die rund 12.000 Nigerianer erst einmal bis auf Weiteres hier. Doch daran arbeitet die Bundesregierung selbstverständlich. Beim Besuch von Bundeskanzler Scholz ging es daher dort zwar vornehmlich um Erdgas und profitable Gelegenheiten fürs deutsche Kapital.

Aber auch um das Thema Migration. So erklärte Nigerias Präsident Bola Tinubu3:

Wir sind bereit, eine Partnerschaft zu machen, um die Migration zu verbessern ... Okay, wir sind bereit, sie (die nigerianischen Flüchtlinge, Eunf. d. A) anzunehmen, soweit sie sich gut benommen haben.

Und soweit die Bundesregierung Unternehmen wie Siemens und Volkswagen dazu bringt, mehr in Nigeria zu investieren, und Berlin das Land finanziell für die kommenden verheerenden Folgen des Klimawandels entschädigt.4

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sekundiert dem Bundeskanzler:

Mehr Kontrolle, mehr Steuerung und schnelle Asylverfahren an den EU-Außengrenzen ermöglichen eine menschenwürdige Versorgung der Geflüchteten und entlasten die Kommunen in Deutschland.

Er bezieht sich dabei auf eine weitere Verschärfung des Umgangs mit Flüchtlingen: die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (Geas) nach der Einigung innerhalb der Europäischen Union:

Zunächst soll dieses Grenzverfahren nur bei Menschen aus Ländern angewendet werden, die im EU-Schnitt eine Anerkennungsquote von unter 20 Prozent haben. Das trifft etwa auf Migranten aus der Türkei, Indien, Tunesien, Serbien oder Albanien zu.

Ihr Asylantrag soll in den Zentren geprüft werden. Bis zu zwölf Wochen sollen sie dafür unter haftähnlichen Bedingungen dort festgehalten werden können. Menschen, bei denen festgestellt wird, dass keine Aussicht auf Asyl besteht, sollen umgehend zurückgeschickt werden.

Wer für die EU keinen politischen Nutzen (Flucht aus einem verfeindeten Staat) hat, für den besteht "keine Aussicht auf Asyl". Wenn also mit der Türkei oder Indien Einvernehmen über viele gedeihliche Wirtschaftsbeziehungen und außenpoltische "Schnittmengen" herrscht (Nato-Mitglied Türkei, Indien als Gegenpol zu China), können auch dort keine unaushaltbaren Lebensbedingungen geschweige denn Verfolgung zu finden sein.

Kurz: Wer keine Aussicht auf Asyl hat, weil die EU das für das jeweilige Herkunftsland des Flüchtlings so beschließt, hat keine Aussicht auf Asyl. Eine bestechende Logik.

Dumm gelaufen: Kein Asyl bei Einreise über "sicheren Drittstaat"

Die EU zieht eine weitere Barriere ein5:

Der Mehrheit der Flüchtlinge, die versuchen, nach Europa zu gelangen – etwa aus Syrien, Afghanistan oder dem Sudan – soll weiter das Recht auf ein normales Verfahren in einem EU-Land gewährt werden.

Allerdings soll bei den Asylverfahren an der EU-Außengrenze eine Drittstaatenregelung greifen. Das heißt, wer über einen sogenannten sicheren Drittstaat bis an die EU-Grenze gereist ist, kann sein Recht auf Asyl wegen politischer Verfolgung mit großer Wahrscheinlichkeit nicht geltend machen.

Demnach ist Vorsicht geboten: Beispielsweise schließt die Einreise aus einem sicheren Drittstaat wie der Türkei das Recht auf Asyl in der EU aus. Schwacher Trost: Das würde ohnehin nicht funktionieren. Die Europäische Union bezahlt schließlich die Türkei mit einigen Milliarden Euro eben dafür, dass sie Flüchtlinge festhält beziehungsweise zurücknimmt.

Mit Tunesien, wohl auch irgendwie ein sicherer Drittstaat – Diktatur hin, Folter her – will die EU eine ähnliche Vereinbarung schließen.

Doch der Migrationspakt ist in Gefahr. Tunesiens Präsident Kais Saied sagte Anfang Oktober: Sein Land "nimmt nichts an, was Gnaden oder Almosen ähnelt".

Wenn's weiter nichts ist: Für ein paar Euros mehr und einen respektvolleren Titel des europäischen Sponsorings wird Tunesien schon die Flüchtlinge auf dem Weg nach Norden stoppen.