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Flüchtlingsbekämpfung: Die Schrauben werden angezogen

Björn Hendrig

Migration und Asyl: Es geht nicht um Aufnehmen können, sondern um Aufnehmen wollen. Einwurf zur Debatte.

"Strikt sein, klar sein, aber ohne Schaum vorm Mund": So lautet die neue Haltung von Bundeskanzler Olaf Scholz zu den steigenden Flüchtlingszahlen. Also eiskalt die Leute drangsalieren, abschieben und abschrecken, die Deutschland nicht haben will?

Da ist sie wieder, die Flüchtlingskrise in Deutschland. Nicht zu verwechseln mit den Krisen, die die Geflüchteten aus ihren Heimatländern vertrieben haben, und mit ihrer verzweifelten Lage. Nein, mit "Flüchtlingskrise" gemeint ist die Aufregung der Politik über zu viele Menschen, die ungefragt nach Deutschland kommen. Für Elendsgestalten mit unpassender Ausbildung haben die hiesige Herrschaft und die Unternehmen nun einmal keine Verwendung.

Für IT-Spezialisten aus Indien schon – wie überhaupt für Fachkräfte aus aller Welt, die dem Mangel in einigen Berufen abhelfen. Diese Leute liegen außerdem dem Staat nicht auf der Tasche, sondern arbeiten brav für den Profit der Wirtschaft und zahlen Steuern.

Ausländer ist halt nicht gleich Ausländer. Ein kapitalistisch hochentwickelter Staat wie Deutschland sucht sich sehr genau die Menschen aus, die er für sich und seine Wirtschaft benötigt. Und hält möglichst alle ab, die in dieses Raster nicht passen.

Die neuen Bestimmungen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes [1] erleichtern den Zuzug für jene, die über einen in ihrer Heimat anerkannten Berufsabschluss verfügen, mindestens zwei Jahre bereits in ihrem Beruf gearbeitet haben – und natürlich hierzulande einen Arbeitgeber finden, der sie einstellt.

Politisches Asyl: Verfeindeter Staat? Ja! Befreundeter? Nein!

Diese Menschen sind also hochwillkommen. Es gibt allerdings auch solche, die nichts mitbringen außer ihrer Verzweiflung, und dennoch die Grenze passieren und hier einstweilen bleiben dürfen. Sie können einen Antrag auf Asyl stellen, das ist im Grundgesetz verankert. Allerdings kann sich darauf nicht jeder Flüchtling berufen:

(…) Wer aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist

GG Art. 16 A, Abs.2

, zählt nicht zum Kreis der Asylberechtigten. Ferner können durch Gesetz weitere Staaten bestimmt werden,

(...) bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet.

GG Art. 16 A, Abs. 3

Kurz gesagt: Deutschland beurteilt die anderen Staaten stets aktuell darauf, inwiefern sie mit ihren Völkern so umspringen, wie es sich nach den eigenen Maßstäben gehört. Die heißen dann "sichere Herkunftsländer".

Dies gilt indes nicht prinzipiell, sondern unterliegt dem Stand des deutschen Interesses an den Beziehungen zu den jeweiligen Nationen. Da kann beispielsweise Saudi-Arabien Grundfreiheiten mit Füßen treten und erniedrigende Bestrafung praktizieren.

Wenn es außenpolitisch geboten erscheint, gelangt dieser Staat nicht auf die Liste der Länder, aus denen man mit einem sicheren Anspruch auf Asyl fliehen darf. Von dort kommt viel Öl, demnächst vielleicht sogar grüner Wasserstoff [2], dorthin liefert Deutschland Waffen, und generell strebt Berlin engere Wirtschaftsbeziehungen an.

Syrien, Afghanistan: Deutschland sorgt für Fluchtgründe

Anders im Fall Syrien: Wer vor dem Bürgerkrieg flieht, hat hierzulande gute Chancen, im Asylbewerber-Verfahren anerkannt zu werden. Schließlich herrscht dort ein Regime, das weg gehört, weil es stört: nämlich die Befriedung des Nahen Ostens durch eine von den USA und seinem Statthalter Israel dekretierte Ordnung.

Entsprechend gehen diese beiden Staaten gegen die Regierung von Assad in Damaskus vor, unterstützt von Saudi-Arabien und mit militärischen Einsätzen von Frankreich und vor allem der Türkei. Die Bundesregierung mischt ebenfalls mit, wenn auch in Ermangelung militärischer Mittel nur diplomatisch.

Da äußert sich eine Außenministerin Baerbock aber schon einmal sehr deutlich, wenn ihr etwas nicht gefällt: Im Mai warnte sie die Arabische Liga, einen losen Zusammenschluss von 20 Staaten, vor der Wiederaufnahme von Syrien. Eine "bedingungslose Normalisierung" der Beziehungen dürfe es nicht geben.

Die Zahl der syrischen Asylbewerber erreichte ihren Höhepunkt 2016: 266.250 Anträge wurden in Deutschland gestellt. Im selben Jahr kamen außerdem sehr viele Flüchtlinge aus Afghanistan, 127.012 stellten einen Antrag (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Das Bundesamt in Zahlen 2022 [3]).

Insgesamt lagen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge damals 745.545 Asylanträge zur Bearbeitung vor. Man erinnert sich: die erste Flüchtlingskrise, und das Merkel-Zitat: "Wir schaffen das".

Tatsächlich schaffte man das: Wir sind schließlich die Guten in der Welt – und somit zuständig für die von uns zertifizierten Leidgeplagten dieser Welt und können deshalb anderen Staaten Vorschriften machen, wie sie mit ihnen umzugehen haben. Das heißt nicht, dass wir alle Flüchtlinge anerkennen. Schlichte Wirtschaftsflüchtlinge interessieren Deutschland eben nicht.

Zuständig für die Leidgeplagten ist Deutschland in der Tat, allerdings in einem anderen Sinn: Nicht nur in Syrien unterstützt es die Zerrüttung des Staates, weil das Assad-Regime stürzen soll. In Afghanistan war es Teil der US-amerikanischen Invasion und Besetzung, mit den entsprechenden Folgen der Fluchtbewegungen von dort, bis heute.

Das ganz normale Elend der Globalisierung

Aber man muss gar nicht auf die großen Kriege schauen, um die Fluchtgründe der Menschen zu benennen, die aus dem Nahen Osten kommen, aus Afghanistan oder aus Afrika.

Die ganz normalen Wirtschaftsbeziehungen des Westens mit den Staaten dort und deren daraus folgende armselige Beschaffenheit sorgen zuverlässig seit Jahrzehnten dafür, dass es viele Menschen nicht mehr aushalten und alles aufgeben: Denn überall kann es nur besser sein als in ihrer Heimat.

Die Staaten in der sogenannten Dritten Welt schaffen es in den meisten Fällen schlicht nicht, eine konkurrenzfähige Wirtschaft aufzubauen – die auf einer ähnlich profitablen Ausbeutung von abhängig Beschäftigten beruht wie in der erfolgreichen Ersten Welt.

Ob Maschinenbau, IT, Energie, Autoindustrie, Stahlproduktion, Chemie und Pharmazie, Kunststoffe und Lebensmittel, oder wie die maßgeblichen Branchen der beherrschenden Nationen alle heißen: Überall sind Kapitalgröße, Effizienz und Profitabilität derart überlegen, dass Newcomer kaum eine Chance haben. Einzig China hat es geschafft, in diese Phalanx einzubrechen. Wie, das steht auf einem anderen Blatt (siehe dazu beispielsweise Renate Dillmann: China – ein Lehrstück [4]).

Die meisten Staaten der Dritten Welt verbleiben im Status von Lieferländern für diverse Rohstoffe und als Anbaugebiete für Lebensmittel, die exportiert werden. Das Land wird dafür hergerichtet. Für den Abbau von Erzen in Minen beispielsweise werden Stämme aus ihren Gebieten vertrieben, weil sie dem im Wege stehen, und damit ihrer Existenzgrundlage beraubt.

Plantagen für Palmöl dehnen sich auf Kosten von Kleinbauern aus. Hinzu kommen für die heimische Wirtschaft ruinöse Importe von konkurrenzlos billigen Waren wie Hühnerfleisch und Schlachtabfälle aus Europa.

Und sogar der Fischfang bleibt vielen Küstennationen nicht als Einnahmequelle: Westliche Fangflotten demonstrieren auch hier die Überlegenheit eines Kapitals, das sich mit großer und hochmoderner Technik durchsetzt. Den örtlichen Fischern bleibt dann nicht mehr viel übrig.

Flucht aus den Verliererstaaten der Weltwirtschaft

Die einheimische Bevölkerung kann daher nur hoffen, einige der wenigen und schlecht bezahlten Jobs zu bekommen, um das Geschäft des auswärtigen Kapitals zu bedienen. Die andere Möglichkeit: Teil der Herrschaftselite zu werden, als Beamter, Soldat oder Politiker. Diese Leute partizipieren nämlich von den Exporteinnahmen und finanzieller Unterstützung der Ersten Welt.

Sie sind die einzigen, die über ein halbwegs geregeltes Einkommen verfügen. Entsprechend hart und gewalttätig gerät die Konkurrenz um diese wenigen Möglichkeiten, Bürgerkriege sind an der Tagesordnung. Der Rest des Volks muss schauen, wie es überlebt. Oder das Weite suchen. Da kratzen dann Familien alle Mittel zusammen, um ihre jungen Töchter und Söhne aus dieser Misere zu bringen.

Die reichen Länder im Norden sind das Ziel. Und zwar für immer mehr Menschen. Offenbar haben die freie Weltwirtschaft und Jahrzehnte der westlichen Entwicklungshilfe es nicht geschafft, die Verhältnisse in der Dritten Welt zu verbessern.

Im Gegenteil, die Zahl der Flüchtlinge wächst stetig, was ja gerade das große Problem sein soll. Nein, nicht für die Menschen, die hier stranden. Auch nicht für die Staaten, denen Teile ihres Volks verloren gehen. Sondern das Problem hat Deutschland. Denn so war das nicht gedacht. Das in den fernen Kontinenten geschaffene Elend sollte bitte schön dort bleiben und nicht an der hiesigen Haustür anklopfen.

Unbrauchbare, Unbotmäßige, Unpassende: Europa macht dicht

Den hier landenden Leuten schlägt deshalb eine – vorsichtig formuliert – ziemlich schlechte Stimmung entgegen. Bundeskanzler Olaf Scholz will "endlich im großen Stil abschieben" [5], sagt er dem Spiegel.

Da brauchen in Zukunft die Ausländerbehörden die Abschiebung nicht mehr drei Monate vorher ankündigen, "wenn ein Asylbewerber länger als ein Jahr in Deutschland geduldet wurde und keine Kinder unter zwölf Jahren hat".1 [6]

Also den Menschen einfach sofort festnehmen und in den Flieger packen. Genauso überfallartig darf die Polizei nun die Gemeinschaftsunterkünfte der Asylbewerber durchsuchen – nach Dokumenten zur Identität oder "falls sie einen Abschiebekandidaten dort vermuten".2 [7]

Die Liste der Verschärfungen geht noch weiter, beispielsweise können Asylbewerber sofort abgeschoben werden, wenn konkrete Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass sie in Kontakt mit organisierter Kriminalität sind. Beweise braucht es keine, selbst ein eingestelltes Ermittlungsverfahren schützt nicht, eine noch nicht rechtskräftige Verurteilung ebensowenig.

Das rabiatere Verfahren hilft allerdings nur, wenn der Herkunftsstaat auch die Abzuschiebenden aufnehmen will. Bei der souveränen Gewalt der Gegenseite hört die Abschiebemacht Deutschlands nun einmal auf. Viele Staaten wollen ihre tatsächlichen oder vermeintlichen Bürger gar nicht zurück haben.

Sie haben schließlich keine Verwendung für sie, deshalb flohen sie doch. Und wer ohne Pass ist, kann nicht sicher nachweisen, dass er wirklich einer ist, der zu der potenziellen Empfängernation gehört. Womöglich handelt man sich Leute ein, die nicht zum Staatsvolk gehören, also Fremde! Und denen begegnet jeder Staat mit gehörigem Misstrauen.

Wenn beispielsweise Nigeria nicht bereit ist, die aus dem Land Geflüchteten wieder aufzunehmen, bleiben die rund 12.000 Nigerianer erst einmal bis auf Weiteres hier. Doch daran arbeitet die Bundesregierung selbstverständlich. Beim Besuch von Bundeskanzler Scholz ging es daher dort zwar vornehmlich um Erdgas und profitable Gelegenheiten fürs deutsche Kapital.

Aber auch um das Thema Migration. So erklärte Nigerias Präsident Bola Tinubu3 [8]:

Wir sind bereit, eine Partnerschaft zu machen, um die Migration zu verbessern ... Okay, wir sind bereit, sie (die nigerianischen Flüchtlinge, Eunf. d. A) anzunehmen, soweit sie sich gut benommen haben.

Und soweit die Bundesregierung Unternehmen wie Siemens und Volkswagen dazu bringt, mehr in Nigeria zu investieren, und Berlin das Land finanziell für die kommenden verheerenden Folgen des Klimawandels entschädigt.4 [9]

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sekundiert dem Bundeskanzler [10]:

Mehr Kontrolle, mehr Steuerung und schnelle Asylverfahren an den EU-Außengrenzen ermöglichen eine menschenwürdige Versorgung der Geflüchteten und entlasten die Kommunen in Deutschland.

Er bezieht sich dabei auf eine weitere Verschärfung des Umgangs mit Flüchtlingen: die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems [11] (Geas) nach der Einigung innerhalb der Europäischen Union:

Zunächst soll dieses Grenzverfahren nur bei Menschen aus Ländern angewendet werden, die im EU-Schnitt eine Anerkennungsquote von unter 20 Prozent haben. Das trifft etwa auf Migranten aus der Türkei, Indien, Tunesien, Serbien oder Albanien zu.

Ihr Asylantrag soll in den Zentren geprüft werden. Bis zu zwölf Wochen sollen sie dafür unter haftähnlichen Bedingungen dort festgehalten werden können. Menschen, bei denen festgestellt wird, dass keine Aussicht auf Asyl besteht, sollen umgehend zurückgeschickt werden.

Wer für die EU keinen politischen Nutzen (Flucht aus einem verfeindeten Staat) hat, für den besteht "keine Aussicht auf Asyl". Wenn also mit der Türkei oder Indien Einvernehmen über viele gedeihliche Wirtschaftsbeziehungen und außenpoltische "Schnittmengen" herrscht (Nato-Mitglied Türkei, Indien als Gegenpol zu China), können auch dort keine unaushaltbaren Lebensbedingungen geschweige denn Verfolgung zu finden sein.

Kurz: Wer keine Aussicht auf Asyl hat, weil die EU das für das jeweilige Herkunftsland des Flüchtlings so beschließt, hat keine Aussicht auf Asyl. Eine bestechende Logik.

Dumm gelaufen: Kein Asyl bei Einreise über "sicheren Drittstaat"

Die EU zieht eine weitere Barriere ein5 [12]:

Der Mehrheit der Flüchtlinge, die versuchen, nach Europa zu gelangen – etwa aus Syrien, Afghanistan oder dem Sudan – soll weiter das Recht auf ein normales Verfahren in einem EU-Land gewährt werden.

Allerdings soll bei den Asylverfahren an der EU-Außengrenze eine Drittstaatenregelung greifen. Das heißt, wer über einen sogenannten sicheren Drittstaat bis an die EU-Grenze gereist ist, kann sein Recht auf Asyl wegen politischer Verfolgung mit großer Wahrscheinlichkeit nicht geltend machen.

Demnach ist Vorsicht geboten: Beispielsweise schließt die Einreise aus einem sicheren Drittstaat wie der Türkei das Recht auf Asyl in der EU aus. Schwacher Trost: Das würde ohnehin nicht funktionieren. Die Europäische Union bezahlt schließlich die Türkei mit einigen Milliarden Euro eben dafür, dass sie Flüchtlinge festhält beziehungsweise zurücknimmt.

Mit Tunesien, wohl auch irgendwie ein sicherer Drittstaat – Diktatur hin, Folter her [13] – will die EU eine ähnliche Vereinbarung schließen.

Doch der Migrationspakt ist in Gefahr. Tunesiens Präsident Kais Saied sagte Anfang Oktober [14]: Sein Land "nimmt nichts an, was Gnaden oder Almosen ähnelt".

Wenn's weiter nichts ist: Für ein paar Euros mehr und einen respektvolleren Titel des europäischen Sponsorings wird Tunesien schon die Flüchtlinge auf dem Weg nach Norden stoppen.

Unerwünschte und genehme Flüchtlinge

Europa und ganz vorn Deutschland handelt also. "Endlich" lautet die herrschende öffentliche Meinung.

Als wenn die bis Ende des Jahres vielleicht 300.000 Flüchtlinge tatsächlich Deutschland an den Rand des Ruins und des Chaos brächten.

In einem Land mit 80 Millionen Einwohnern, die brav und erfolgreich für jede Menge kapitalistischen Reichtum arbeiten oder arbeiten lassen, begleitet von einer die Interessensgegensätze regulierenden überragenden Gewalt, befürchtet das auch niemand ernsthaft.

Und wenn Flüchtlinge genehm sind, machen selbst eine Million von ihnen nichts aus, wie das Beispiel Ukraine zeigt. Dann mangelt es an nichts und jeder Euro für sie ist gut ausgegeben. Sie fliehen eben vor einem ausgemachten Feind, also sind sie im Unterschied zu ihren Leidensgenossen aus den anderen Ländern hier sehr willkommen.

Die Politiker sehen sich bemüßigt, gegen "irreguläre Migration", also gegen die unerwünschten Einwanderer, vorzugehen. Bei dem Thema werden sie offenbar prinzipiell und handeln nach dem Motto "Wehret den Anfängen".

Denn sie wissen genau, dass die Flüchtlingsströme in den kommenden Jahren nicht abebben werden. Dafür kennen sie zu gut die verheerenden Verhältnisse in den Staaten. Mit denen pflegen sie schließlich ein einträgliches Ausbeutungsverhältnis mit den entsprechenden Folgen für den größten Teil der dortigen Bevölkerung. Und das wird, wie es aussieht, nicht besser.

Auch wenige hunderttausend Flüchtlinge sind zu viel, wenn die Politik nicht mehr Herr des Verfahrens ist. Sie bestimmt, wer zum Volk gehört. Für jeden Staat ist das keine Kleinigkeit, sondern eine existenzielle Frage. Denn mit diesem Volk hat er ja eine Menge vor.

Es soll maximal viel Geldreichtum erwirtschaften, dabei sich möglichst wenig gegenseitig an die Gurgel gehen, sich fleißig vermehren, in schweren Zeiten zusammenstehen und auch Kriegsdienst leisten, wenn es sein muss. Wer dazu gehört, ist daher für eine Regierung ein sehr entscheidendes Thema.

Menschen, die von irgendwoher aus Not weglaufen, keine brauchbare Ausbildung haben und womöglich noch dem entflohenen Staat verbunden bleiben, erfüllen diese Anforderungen erst einmal nicht. Sie sind unsichere Kantonisten, bringen kein Geld, sondern kosten.

Aber vielleicht kann man aus einigen doch brauchbare Bürger machen? Darüber denkt die Politik tatsächlich nach. Einige Flüchtlinge haben ja wirklich Fuß gefasst und haben eine Arbeit. Das sind dann die Erfolgsgeschichten, die Medien erzählen.

Der Vorstellung einer regulären Migration entspricht dies jedoch nicht. Deutschland will selbst auswählen, wen es über die Grenze lässt, weil die Person von Nutzen ist. Und den Rest abweisen. Am liebsten schon, bevor die Flucht beginnt.

Aufnehmen können und Aufnehmen wollen

Die Frage ist eben nicht, wie viele Flüchtlinge Deutschland aufnehmen kann. Die schiere Menge ist nicht entscheidend, siehe das Beispiel Ukraine. Sondern die Regierenden wollen eine bestimmte Sorte Flüchtlinge schlicht nicht. Jeder Euro für hier unbrauchbare Leute ist ihnen einer zu viel.

Die Lösung lautet daher: Sie abschrecken und abwehren. Wenn sie es irgendwie doch auf deutschen Boden geschafft haben, erst einmal kasernieren und unter Kontrolle halten. Und dann schauen, was man vielleicht doch mit dem einen oder anderen anfangen kann – für Billigjobs oder in einigen wenigen Fällen sogar zur Behebung von Fachkräftemangel, zum Beispiel in der Pflege.

Der Rest hat hier nichts zu suchen oder taugt zumindest als politischer Faustpfand gegenüber unliebigen Staaten wie Russland oder Syrien.

In diese Politik stimmen sehr viele Bürger ein. Aufrechte Deutsche sind so stolz darauf, in dieses Land zufällig hineingeboren zu sein und für den Erfolg ihres Staates den Rücken krumm zu machen, dass sie dieses "Privileg" allen anderen ohne deutschen Pass nicht gönnen.

Sie setzen sogar ihre Regierung unter Druck, weil sie nicht resolut genug gegen die Flüchtlinge vorgeht. Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit und Verarmung kommen diesen Leuten auf einmal sehr kritisch in den Sinn: Ausgerechnet die Flüchtlinge sind dann für noch schlimmere Verhältnisse zuständig, wenn man die Welle nicht stoppt.

Zu wenig bezahlbarer Wohnraum, Wegfall der Existenzgrundlage und Entwertung des bisschen Geldes, von dem man leben muss – einen guten Deutschen lässt das nicht irre werden am Handeln seines Staates und der zugehörigen Wirtschaft.

Wenn es ihn selber trifft, fallen ihm zig Gründe ein, warum es leider so gekommen ist. Dass sich das Geschäft mit dem Wohnen für den Besitzer lohnen muss, entsprechend hoch die Miete ausfällt; dass Unternehmer nun einmal nur Menschen beschäftigen, deren Arbeit sich für sie in Profit verwandelt; dass die Inflation von der Verschuldung des Staates und den Preiserhöhungen des Kapitals getrieben wird und vor allem einen wie ihn trifft, der Monat für Monat von der Hand in den Mund leben muss – all dies fällt dem aufrechten Deutschen nicht ein.

Ungerechtigkeit, ein rätselhafter Vorgang namens "Wirtschaftskrise" und eigenes Verschulden zählen dagegen zu den einschlägigen Antworten. "Flüchtlinge" ergänzen das Ensemble um eine weitere falsche Erklärung.

Die eher verständige Fraktion im deutschen Volk gibt es natürlich auch. Sie beklagt die regelmäßig anfallenden Toten im Mittelmeer, die Pushbacks an den europäischen Grenzen und will ganz generell einen humaneren Umgang mit den Flüchtlingen.

Der Standpunkt, hierher gehören nur welche, die der deutsche Staat gebrauchen kann, bleibt bestehen.

Nur soll die Sortierung nicht so brutal verlaufen und den Flüchtlingen in Deutschland mehr Chancen gegeben werden, sich nützlich zu machen. Das "Problem Flüchtlinge" teilen auch sie. Es muss halt geregelt werden, so kann es nicht weitergehen.

Als ob Otto Normalbürger in seinem Alltag als Untertan vor der immer schwierigeren Aufgabe stünde, Flüchtlinge unterzubringen beziehungsweise abzuwehren. Das Problem hat der Staat. Nur der sieht es natürlich allzu gern, wenn ihm sein Volk ideologisch zur Seite steht.

Neu bei der Flüchtlingsbekämpfung: Wagenknechts BSW

Eine weitere Unterstützung tritt nun auf den Plan: das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Auch das BSW sorgt sich um das Flüchtlingsproblem. Und ihre Gallionsfigur hat konstruktive Vorschläge6 [15]:

Im optimalen Fall einigt sich Europa endlich, dass die Asylverfahren an den Außengrenzen stattfinden. Aber darauf dürfen wir nicht warten. Deutschland sollte sich an Dänemark orientieren und die Anreize minimieren. Wenn man nicht die Hoffnung hat, in Deutschland auch dann bleiben zu können, wenn kein Asylanspruch besteht, und selbst dann im europäischen Vergleich weit überdurchschnittliche Leistungen erhält, werden nicht mehr so viele kommen.

Alles drin: Flüchtlinge an den Außengrenzen abfertigen und zurückschicken, keine Duldung des Aufenthalts, sondern abschieben, und die Versorgung der dennoch Angekommenen so reduzieren, dass sie es bereuen, geflohen zu sein – da klappt das vielleicht wirklich, mit dieser neuen Partei der politischen Konkurrenz bei den nächsten Wahlen Stimmen abzunehmen.

Wagenknecht hat zwar die AfD hauptsächlich im Auge. Aber keine Sorge, von SPD, CDU, FDP und Bündnis 90/Grüne ist da sicher auch eine Menge zu holen. So einig wie die alle sind, die Flüchtlingskrise zu lösen.

Fußnoten

[16] [1] Constanze von Bullion: Jetzt soll es ganz schnell gehen, in: Süddeutsche Zeitung, 24.10.2023

[17] [2] ebenda

[18] [3] Nicolas Richter: In aller Freundschaft, in: Süddeutsche Zeitung, 31. Oktober 2023

[19] [4] Paul Munzinger: Selbstbewusste Gastgeber, in: Süddeutsche Zeitung, 31. Oktober 2023

[20] [5] Deutschlandfunk [21]

[22] [6] "Natürlich nicht rechts", Interview mit Sahra Wagenknecht, in: Süddeutsche Zeitung, 26. Oktober 2023


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[1] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/arbeit-und-soziales/fachkraefteeinwanderungsgesetz-2182168
[2] https://www.tagesschau.de/ausland/asien/baerbock-saudi-arabien-zusammenarbeit-100.html
[3] https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Statistik/BundesamtinZahlen/bundesamt-in-zahlen-2022-asyl.html?view=renderPdfViewer
[4] https://diebuchmacherei.de/produkt/china-ein-lehrstueck/
[5] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/olaf-scholz-ueber-migration-es-kommen-zu-viele-a-2d86d2ac-e55a-4b8f-9766-c7060c2dc38a
[6] #anchor_fussnote_1
[7] #anchor_fussnote_2
[8] #anchor_fussnote_3
[9] #anchor_fussnote_4
[10] https://www.fdp.de/mehr-ordnung-der-migrationspolitik
[11] https://www.deutschlandfunk.de/eu-asylrechtsreform-flucht-migration-europa-100.html
[12] #anchor_fussnote_5
[13] https://www.srf.ch/news/international/neun-jahre-nach-der-revolution-in-tunesien-ist-folter-an-der-tagesordnung
[14] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/tunesien-europaeische-union-finanzhilfe-migration-100.html
[15] #anchor_fussnote_6
[16] 
[17] 
[18] 
[19] 
[20] 
[21] https://www.deutschlandfunk.de/eu-asylrechtsreform-flucht-migration-europa-100.html
[22]