Flüchtlingsdebatte: Am Ende muss man mit Diktatoren reden

Ist auch wieder da: Baschar al Assad. Bild: hanohiki, Shutterstock.com

Die Pläne der Bundesregierung für Zurückweisungen an den Grenzen sorgen derzeit für heftige Debatten. Vor allem SPD und Grüne drohen Schaden zu nehmen. Dabei liegt eine Lösung auf der Hand.

Manche Online-Medien schrieben es ganz oben, neben ihren Namen. Andere sprühten es an Wände, schrieben es auf Twitter: "Refugees welcome!" Natürlich murrten einige, vielleicht sogar viele, aber der moralische Kompass in den Redaktionen, in den sozialen Netzwerken war fest eingestellt. "Wir schaffen das", ließ die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel die Kritiker in Politik und Gesellschaft wissen. 2015 war das.

Heute, fast zehn Jahre später, hat sich der Wind gedreht. Twitter heißt jetzt X, gehört Elon Musk und damit gefühlt den Rechten. Bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen ist die AfD stärkste Kraft geworden. In Solingen ermordet ein Islamist drei Menschen auf einem Fest.

Die Politik ist in Aufruhr. Was, wenn es in einem Jahr, bei der nächsten Bundestagswahl, so läuft wie in Sachsen, Thüringen oder demnächst wohl in Brandenburg und die AfD ganz oben landet?

Harte Maßnahmen haben die Willkommenskultur abgelöst: Grenzkontrollen, Zurückweisungen, Leistungseinschränkungen. Und auch: Gespräche mit den Führungen der Herkunftsländer fordern inzwischen ziemlich viele, auch in den Ampelparteien.

Nur sind das oft genug Diktaturen. Syrien zum Beispiel, das Land, aus dem der Attentäter kam, der am 23. August in Solingen drei Menschen erstochen hat. Oder Afghanistan, wo inzwischen wieder die Taliban regieren.

Die Fälle Syrien und Afghanistan

Die deutschen Botschaften in beiden Ländern sind geschlossen, offizielle Kontakte zu den dortigen Machthabern gibt es wegen der Menschenrechtslage nicht. Sollte man also mit Präsident Baschar al Assad, mit den Taliban über die Rücknahme von Flüchtlingen sprechen?

Lange, bevor die Forderung auch in Deutschland laut wurde, hatten Österreich, Polen, Zypern, Tschechien, Dänemark, Italien und Malta im Mai eine Neubewertung der Lage in Syrien gefordert und dafür vor allem von der Bundesregierung ein klares Nein kassiert.

Doch nun wird immer klarer: Entweder es gelingt, die Bedeutung des Asylrechts, die Grundwerte der Bundesrepublik wieder ins gesellschaftliche Bewusstsein zu rücken, oder man muss tatsächlich Kontakte in die Hauptstädte der Diktaturen dieser Welt aufnehmen und anerkennen, dass in Ländern wie Syrien oder Afghanistan auf absehbare Zeit nicht einmal ansatzweise demokratische Werte gelten werden, so hart das auch ist.

Beides kostet Geld, viel Geld. Es ist davon auszugehen, dass sich die Führungen dieser Länder ihre Kooperation fürstlich bezahlen lassen und auch politisch einen hohen Preis verlangen. Aber auch die moralischen Kosten werden enorm sein.

Hilfe für Bedürftige? Kein Konsens mehr!

Dass Deutschland Verfolgte aufnimmt, dass man in der Bundesrepublik dafür sorgt, dass jeder genug zu essen und ein Dach über dem Kopf hat, sind Werte, die jahrzehntelang elementarer Bestandteil der Bundesrepublik waren, auch wenn sie in der Praxis nicht immer gut funktioniert haben.

Doch nun geht es in die andere Richtung: Die AfD treibt die CDU vor sich her, die CDU treibt die Ampel vor sich her. Leistungskürzungen, Zurückweisungen und Grenzkontrollen bedeuten aber auch, dass das Nein zu Kontakten mit den Machthabern in Syrien und Afghanistan nicht mehr funktioniert, dass man diese Regime legitimieren wird und dass man am Ende mit diesem harten Kurs möglicherweise mehr verliert als gewinnt.

Denn es ist zu bezweifeln, dass die Kernwählerschaft von Sozialdemokraten und Grünen es besonders goutieren wird, wenn diese beiden Parteien einen Großteil ihrer traditionellen Werte einfach über Bord werfen.

Aber vielleicht ist genau das der Punkt, an dem die deutsche, die europäische Außenpolitik neu justiert werden muss. An dem man darüber nachdenkt, wie man dazu beitragen kann, in den Herkunftsländern lebenswerte Verhältnisse zu schaffen, auch wenn diese Länder wahrscheinlich noch lange Diktaturen bleiben werden. Denn Deutschland, ja die gesamte Europäische Union ist nicht allein,

Auch in der Türkei, im Libanon und in Jordanien werden die Forderungen immer lauter, den Dialog mit Assad zu beginnen. Die drei Länder haben zusammen mehrere Millionen Flüchtlinge aufgenommen, mehr als die Staaten der Europäischen Union.

Nun wird der wirtschaftliche Druck unerträglich: In den Flüchtlingslagern an der jordanisch-syrischen Grenze können die Menschen kaum noch versorgt werden, es fehlt an Geld. Und der Libanon steckt in einer tiefen wirtschaftlichen und sozialen Krise; vor wenigen Wochen wurde sogar das letzte noch funktionierende Kraftwerk des Landes abgeschaltet.

In den vergangenen Jahren war die Rechnung in der Europäischen Union einfach: Man zahlte Staaten wie der Türkei, dem Libanon oder Jordanien mehrere Milliarden Euro, damit sie die Flüchtlinge versorgen und davon abhalten, sich auf den Weg nach Europa zu machen.

Das funktionierte eher mäßig, für manche Regierungen wurden die Flüchtlinge geradezu zum Druckmittel. Die ägyptische Führung zum Beispiel hat sich den Ruf erworben, die Flüchtlingsströme mal mehr, mal weniger zu regulieren, je nachdem, wie zahlungskräftig sie ist.

Gleichzeitig ist Präsident Abd al-Fattah as-Sisi ein Paradebeispiel dafür, wie schnell man in Europa den moralischen Kompass per Hand neu ausrichtet, wenn es darauf ankommt. Mitte 2013 putschte sich Sisi an die Macht, wochenlang herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände, Tausende starben.

Der Arabische Frühling, der 2011 mit dem Rücktritt des langjährigen Diktators Hosni Mubarak begann, ist in einen ägyptischen Winter umgeschlagen, in dem Massenverhaftungen, Folter und Unfreiheit an der Tagesordnung sind.

Doch die Verurteilung durch die internationale Gemeinschaft währte in diesem Fall nur kurz: Schon wenige Monate nach dem Umsturz wurde al-Sisi zu einem Partner, von dem man sich einiges gefallen lassen muss. Denn er herrscht über den Suezkanal, kann Flüchtlingsströme regulieren und ist zudem ein strategischer Partner für Israel.

An Gesprächen führt kein Weg vorbei

Soll man also auch mit dem syrischen Diktator verhandeln, mit den Taliban und ihren Kollegen in anderen diktatorisch regierten Herkunftsländern? Wenn man sich die Dinge genauer anschaut, wird schnell klar, dass man daran nicht vorbeikommt. Wenn man es nicht selbst tut, werden es andere machen müssen.

Denn Länder wie der Libanon, die Türkei, Jordanien können so nicht weitermachen. Die wirtschaftlichen und sozialen Probleme sind einfach zu groß geworden. Für die Geflüchteten gibt es deshalb nur zwei Richtungen: zurück in die Heimat oder weiter nach Europa.

Wenn die Bundesregierung jetzt tatsächlich Grenzkontrollen einführt und mit Zurückweisungen beginnt, wird das wahrscheinlich eine Kette von Grenzkontrollen entlang der Flüchtlingsrouten auslösen. Bis am Ende die Reise der Menschen bereits an den Außengrenzen der Europäischen Union endet, was dann auch bedeutet: ein verschärftes Vorgehen gegen Bootsflüchtlinge, Pushbacks, all das, was vorwiegend die Wähler der Grünen verachten. Am Ende der Ampel-Pläne wird die Empörung der Kernwählerschaft stehen; das Scheitern ist programmiert.