Flunkern mit Zahlen: Ist die Enteignung von Wohnungskonzernen unfinanzierbar?
Initiative widerspricht Berliner Senat: Das Grundgesetz erlaube im Interesse der Allgemeinheit auch eine Entschädigung deutlich unter dem Marktwert
Erwartungsgemäß konnte sich der "rot-rot-grüne" Berliner Senat nicht dazu durchringen, das Volksbegehren "Deutsche Wohnen & Co. enteignen!" in einer gemeinsamen Stellungnahme zu begrüßen. Die Linke wäre dazu bereit gewesen, die Grünen bedingt - aber mit dem Seniorpartner SPD war es nicht zu machen. Die geforderte Vergesellschaftung wird als zu teuer dargestellt - die Initiatoren des Volksbegehrens werfen allerdings dem Senat vor, mit falschen Zahlen zu argumentieren.
Betroffen wären rund 226.000 Wohnungen, die Konzernen mit einem Bestand von jeweils mehr als 3.000 Wohneinheiten gehören. Der Senat verwies in seiner Stellungnahme auf angeblich zwingend anstehende Entschädigungsleistungen, die er auf 29 bis 39 Milliarden Euro beziffert.
"Das ist falsch", erklärte dazu die Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen: Das Grundgesetz erlaube eine Entschädigung deutlich unter Marktwert. Wörtlich heißt es in Artikel 14, der Enteignungen zum Wohle der Allgemeinheit erlaubt: "Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen". Im Streitfall stehe der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.
"Keine Information, sondern Desinformation"
Die 29 Milliarden, von denen der Senat spreche, seien "keine Information, sondern Desinformation", erklärte der Mietrechtsaktivist Ralf Hoffrogge. Die Zahlen seien "überhöht und veraltet". Weil der Senat sich nicht einigen könnte, würden den Wahlberechtigten falsche Zahlen präsentiert. Die Initiative geht zwar auch von einer Milliardensumme aus, die als Entschädigung fällig werden könnte - allerdings nicht im zweistelligen, sondern im hohen einstelligen Bereich.
Fachlichen Rückenwind dafür gibt es: "Ein pauschaler Verweis auf eine Verkehrswertentschädigung ist eine unzulässige, systemwidrige Vereinfachung, die weder in der Sache gerechtfertigt noch verfassungsrechtlich gefordert ist", hatten dazu Fabian Thiel, Professor für Immobilienbewertung an der Frankfurt University of Applied Sciences, und die Juristin und Ex-Juso-Chefin Franziska Drohsel in einem Thesenpapier erklärt.
Der Berliner Senat war an diesem Dienstag in seiner Stellungsnahme sichtlich bemüht, die Wogen zu glätten. Mieterinnen und Mieter ganz im Regen stehenzulassen, gilt in der Hauptstadt mittlerweile als riskant. So erklärten alle drei Regierungsparteien: "Das grundsätzliche Ziel, den gemeinwirtschaftlichen Anteil an Wohnungen zu erhöhen, unterstützen Senat und Land Berlin." Aktuell erfolge dies durch Ankäufe und Neubau von Wohnungen durch städtische Wohnungsbaugesellschaften sowie die Förderung des sozialen Wohnungsbaus und von Genossenschaften. Außerdem würden "rechtliche und städtebauliche Instrumente zur Dämpfung der Mietenentwicklung genutzt".
So soll beispielsweise ganz Berlin als "Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt" ausgewiesen werden. Dadurch stünde die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen unter Genehmigungsvorbehalt - außerdem würde berlinweit die "Mietpreisbremse" greifen.
Das besagte Volksbegehren sei aber im Erfolgsfall für den Senat rechtlich unverbindlich, da es "keinen konkreten Gesetzentwurf zum Gegenstand" habe, stellten die Regierenden klar. Das geforderte Vergesellschaftungsgesetz wäre "juristisches Neuland" - die Entscheidung darüber obliege dem Abgeordnetenhaus, falls beim Volksentscheid, der am 26. September parallel zur Bundestags- und zur Berliner Abgeordnetenhauswahl stattfindet, eine Mehrheit dafür votiert.