Folter in Coesfeld?

Soldaten misshandeln Untergebene - Anmerkungen zu Gewalt und Gesellschaft

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Soldaten haben andere Soldaten misshandelt, gedemütigt, zumindest aber ihre Stellung als deren Ausbilder und Vorgesetzte missbraucht. Der Verteidigungsminister hält diese Männer nicht für würdig, eine Uniform zu tragen, Politiker regen sich auf, sind empört, wollen Aufklärung. Einzelfälle - offenbar nicht. Gerüchteweise sollen auch andere Standorte betroffen sein. Es werden Antworten gesucht. Sind die Soldaten im Auslandseinsatz verroht? Hat die Dienstaufsicht versagt? Warum haben alle - auch die Gepeinigten - geschwiegen?

Die Rechtslage scheint klar, sollten sich die Vorwürfe erhärten und die Beteiligten gestehen. Sind aber auch die Ursachen klar?. Oder werden einfach die falschen Fragen gestellt und fälschlicherweise der "Staatsbürger in Uniform" für mehr gehalten, als er ist.

Ob als Einzelfälle wahrgenommen oder nicht - die eigentlichen Fragen sollten sich auf die Rolle von Gewalt in den Streitkräften und in der sie umgebenden Gesellschaft konzentrieren. Gewalt steht nicht außerhalb der Gesellschaft, sondern entsteht in ihrer Mitte, hat Funktion, Formen und einen Sinn. Die Frage nach dem "Warum" ist weniger wichtig als die Frage nach dem "Wie" und den Maßnahmen der Kontrolle.

Gewalt entsteht in der Mitte der Gesellschaft

Der Berliner Ethnologe Georg Elwert hat für vormoderne Gesellschaften festgehalten, dass Gewalt dort sozial eingebettet ist und durch Regeln begrenzt ist. Als Teil des gesellschaftlichen Lebens, ausgelebt in Ritualen und legitimiert von Mythen und Codes, schafft sie einen Sinn, strukturiert Identität und regelt den sozialen Zusammenhalt. So kann die Zugehörigkeit zu einer Gruppe über gewalttätige Erfahrungen gesteuert werden - es handelt sich dann um sogenannte Initiationsrituale. Sie schaffen über den Schmerz den Gruppenzusammenhalt. Das bedeutet aber auch, dass in Gesellschaften oder in gesellschaftlichen Gruppen Gewalt zum geregelten sozialen Alltag gehört,

Für die Bundeswehr als ein in sich geschlossener Apparat, dessen zentrale Aufgabe die Anwendung von Gewalt ist, ist es schwer, zwischen den verschiedenen Formen der Gewalt zu unterscheiden. Gewalt ist hier nicht nur ein Teil des sozialen Kontextes, sondern das verbindende Element schlechthin. Gewalt entsteht in der Mitte dieser Gruppe. Und auch wenn moderne Armeen hochrationale und bürokratische Institutionen sind, so bleibt immer ein archaischer vormoderner Kern bestehen.

Die Unterwerfung durch Gewalt, das Aufzwingen der ungeschriebenen Gesetze auf die neuen Rekruten - Initiationsriten in die harte Welt der Soldaten sind überall auf der Welt Teil von Armeen. Sie unterscheiden sich nur in dem Ausmaß, solche nicht geplanten, aber aus den Strukturen und Funktionen der Armeen, konsequenterweise folgenden Taten zu kontrollieren. Bereits Franz Kafka hat diese Form der Gewalt in sehr deutlichen Sprachbildern in der "Strafkolonie" wiedergegeben - Gewalt als Mittel, das Gesetz über den Körper auf den Menschen einzuschreiben. In einer Institution, die auf Gewaltausübung hin ausrichtet ist, ist dies die folgerichtige Maßnahme, denn sie entsteht in ihrer Mitte und ist von diesem Standpunkt aus keine Entgleisung. Wohl aber von dem einer modernen Hightech-Armee.

Diskussion über Gewalt wird verhindert

Wenn sich nun die Politiker, Wehreauftragten und die Menschen im Lande wundern, empören und nach Gerechtigkeit rufen, verkennen sie, dass die Bundeswehr Teil dieser Gesellschaft ist. Zwar mit speziellen Regeln, aber auch in dieser Gesellschaft verankert. Es ist daher etwas kurzsichtig, eine Armee zu wollen, die Konsequenzen aber nicht zu ertragen. Die Armee kann nicht Soldaten ausbilden und dann erwarten, dass sie jederzeit umschalten können zwischen dem Leben im Zivilen und dem als Soldaten - besonders nicht nach Adrenalin-fördernden Auslandseinsätzen.

Die Taten als Einzeltaten abzutun und die Täter als fehlgeleitet, verpasst die Chance, über Gewalt in der Gesellschaft zu sprechen. Gewalt muss als solche benannt werden. Nur dann kann sie auch einer gesellschaftlichen Kontrolle unterliegen. Die Suche nach den Ursachen weicht aber dem eigentlichen Problem aus: Gewalt als solche zu benennen und sich mit ihrem Ausmaß in der Gesellschaft und somit auch der Bundeswehr auseinander zu setzen. Und so wird nach Gründen gesucht, die jenseits davon liegen - und die eigentliche Diskussion verfehlt.

Das Ideal einer Armee von Staatsbürgern hinkt noch an einer anderen Stelle. In einer Radiosendung des NDR vom 24. November merkte ein ehemaliger höherrangiger Militär zu Recht an, dass die Qualität der Rekruten und Soldaten hinsichtlich ihrer Bildung zunehmend zu wünschen übrig lässt. Der Verweis auf vorhandene Konzepte der inneren Führung, der Möglichkeiten von Beschwerden innerhalb der Armee klingt hohl und wirklichkeitsfremd. Hier werden die Realitäten der Bundeswehr ausgeblendet. Zusammen mit der Verweigerung, Gewalt als Teil jeder Armee zu diskutieren, wird wohl auch dieses Mal das Problem als Einzelfall gelöst und die notwendige Diskussion über Gewalt als Teil der Gesellschaft verschoben.

Nils Zurawski ist Ethnologe und Soziologe an der Universität Hamburg.