Folternde Kopfgeldjäger im Wilden Osten
Ein Pentagon-Bericht sieht in den Misshandlungen von afghanischen und irakischen Gefangenen nur bedauerliche und isolierte Vorfälle; Probleme könnte es noch mit dem privaten Foltergefängnis eines Amerikaners in Kabul geben
Das Pentagon wählte vermutlich die Zeit passend für die Bekanntgabe des Berichts über Misshandlungen von irakischen und afghanischen Gefangenen durch US-Soldaten. Zumindest geschah dies am selben Tag, als auch die 9/11-Kommission ihren Bericht veröffentlichte, der natürlich ungleich mehr Aufmerksamkeit auf sich zog. Nicht verwunderlich ist das Ergebnis des Berichts, der dem Senatsausschuss für die Streitkräfte vorgelegt wurde.
Die Misshandlungen in Abu Ghraib seien isolierte Vorfälle gewesen, überhaupt habe man keine Hinweise auf systematische Probleme finden können. Untersucht wurden 94 Fälle, bei denen Gefangene getötet oder sexuell oder körperlich misshandelt wurden. 31 Fälle möglicher Misshandlungen würden noch überprüft. Angesichts der 50.000 Gefangenen, die seit dem Herbst 2001 durch amerikanische Lager oder Gefängnisse gegangen sind oder sich noch immer in Haft befinden, wären diese Zahlen relativ klein. Allerdings wurde auch schon die Zahl der untersuchten Vorfälle sicherheitshalber minimiert, da man zahlreiche Misshandlungen in Abu Ghraib zu einem Vorfall kondensierte - wodurch man erst einmal unter der Schwelle von 100 bleiben konnte.
Die untersuchten Misshandlungen könnten freilich nur die Spitze des Eisbergs sein, zumal die Behandlung der "feindlichen Kämpfer", aber auch der Gefangenen im Irak, als Feinde oder Verdächtige ohne jede Rechte das Fundament des Unrechts bleibt, das vom Pentagon, dem Justizministerium und dem Weißen Haus gelegt wurde. Die vom Pentagon genehmigte Bedrohung von Gefangenen mit scharfen Hunden, die diese teilweise auch verletzten, lässt man damit wie andere gängige Praktiken auch als "systematische" Androhung von Gewalt unter den Tisch fallen.
Das Pentagon freilich sieht die Schuld an den Abirrungen einzelner Menschen, weswegen man selbst damit eigentlich nichts zu tun hat, auch wenn der von Generalleutnant Paul T. Mikolashek vorgestellte Bericht Die falsche einige Empfehlungen zur künftigen Vermeidung von Missbrauch gibt. Zudem sei die Hälfte der Misshandlungen bei der Gefangennahme erfolgt. Da sei die Kontrolle der Soldaten "über ihre Umgebung" am geringsten. Man spricht im Pentagon von einigen "bad apples", mangelnder Aufsicht, zu wenig Personal, mangelnder Ausbildung und "bedauerlichen" Vorfällen. Ansonsten würden die Misshandlungen auf "unautorisierte Handlungen" zurückgehen, "die von einigen Individuen ausgeführt wurden, verbunden mit dem Fehler weniger Führungskräfte, eine angemessene Überwachung, Supervision und Führung dieser Soldaten sicher zu stellen".
Der Bericht kam bei den Senatoren natürlich je nach politischem Lager anders an. Der Republikaner James Talent sah in ihm die Bestätigung dafür, dass "unmenschliche und grausame Behandlung von Gefangenen" niemals von höheren Angehörigen der Streitkräfte oder von der Administration toleriert würden. Demokraten wie der Senator Jack Reed kritisierten, dass für den Bericht höhere Führungsebenen des Militärs ausgeklammert wurden. Auch hätte man einige der Vorfälle, die im Taguba-Bericht erwähnt wurden, nicht behandelt. So seien beispielsweise die "ghost detainees" außen vor geblieben, die das Militär heimlich von Gefängnis zu Gefängnis verschoben hatte, damit sie das Internationale Rote Kreuz nicht zu Gesicht bekommt. Immerhin schloss sich auch der republikanische Senator John McCain an und fragte, was sonst nicht untersucht worden sei, wenn man schon eine so schwerwiegende Verletzung wie diese nicht erwähnt. Hillary Clinton hielt sich bedeckt und monierte vor allem, dass man die Vorfälle in Abu Ghraib nur als "bedauerlich" bezeichnet: "Ich denke, das vermittelt die falsche Botschaft."
"Er hat nicht für uns gearbeitet"
Die falsche Botschaft vermitteln sicherlich aber auch die US-amerikanischen Kopfjäger in Afghanistan, die offenbar unbehelligt vom US-Militär ihrer Jagd auf angebliche al-Qaida- oder Taliban-Angehörige nachgegangen sind und ein eigenes Gefängnis mitten in Kabul betrieben haben. Wie sich nun herausstellt, hat das US-Militär von Jonathan Idema, einem ehemaligen Green Beret, und seinen zwei amerikanischen und vier afghanischen Mitstreitern sehr wohl Kenntnis gehabt.
Idema versicherte nach seiner Festnahme durch afghanische Polizisten, dass er in Afghanistan mit der Zustimmung von hohen Angehörigen des Pentagon tätig gewesen sei. Er habe regelmäßig Kontakt mit dem Büro von Verteidigungsminister Rumsfeld gehabt. Er könne dies durch Emails, Fax-Sendungen und Tonbandaufzeichnungen auch beweisen. Das Pentagon habe ihm sogar einen Vertrag angeboten, den er aber abgelehnt haben will, weil man dann nicht mit den Angehörigen der Nordallianz hätte zusammen arbeiten können.
Bislang hatte man beim US-Militär jede Verbindung mit Idema abgestritten. Nun räumte auch Major John Siepman, ein Sprecher des Militärs ein, dass man Anfang Mai einen Afghanen von Idema übernommen hat, der ihn als von den US-Streitkräften gesuchten Terroristen bezeichnete. Nach Verhören wurde er dann angeblich nach einem Monat wieder frei gelassen.
Ganz offensichtlich war Idemas Unternehmung auf das Kassieren von Kopfgeldern ausgerichtet. Allein auf Bin Laden sind 25 Millionen Dollar ausgesetzt. Und man muss davon ausgehen, dass der private Antiterrorkampf der Amerikaner dem US-Militär nicht ganz verborgen geblieben sein dürfte. Vermutlich ging man davon aus, dass dies in dem noch immer nicht befriedeten Land nicht weiter schlimm sei, handelt es sich doch nur um Terroristen und Aufständische. Siepman versicherte, dass Idema nicht im Auftrag und nicht mit Billigung des US-Militärs handelte, was aber nicht unbedingt heißt, dass man seine Menschenjagd nicht zuließ. Da Idema wegen Folter, Waffenschmuggel und ungenehmigter Einreise bis zu 20 Jahren Haft in einem afghanischen Gefängnis droht, darf man annehmen, dass er alles in Bewegung setzen wird, die Kenntnis des Pentagon von seinen Unternehmungen zu beweisen.
Die afghanische Polizei hatte am 5. Juli in Kabul das von Idema gemietete Haus durchsucht und dabei eine Art Gefängnis entdeckt, in dem 8 Afghanen eingesperrt waren. Einige der Männer gaben an, sie seien tagelang ohne ausreichende Nahrung festgehalten und geschlagen worden. Man habe über sie heißes Wasser geschüttet und ihre Köpfe wiederholt in einen Wassereimer getaucht (eine Folter, die angeblich auch bei Verhören der Streitkräfte angewendet wurde). Idema wollte vermutlich durch Folter Informationen über Personen erhalten, um an deren Festnahme zu verdienen.
Idema und seine Leute sind mit amerikanischen Uniformen in Afghanistan herumgelaufen. ISAF-Angehörige gaben an, dass sie im Frühjahr diesen bei Durchsuchungen geholfen hätten, weil sie dachten, es seien US-Soldaten (was allerdings auch heißt, dass alles recht informell dort zugeht). Auch die afghanischen Behörden scheinen mit Idema zusammen gearbeitet zu haben. So sit die Rede von mehreren Gefangenen, die von ihm festgenommen wurden und noch immer in Haft seien. Idema rühmt sich auch, mehrere Anschläge auf Mitglieder der afghanischen Regierung vereitelt zu haben.
Idema, 1998 wegen Betrugs verurteilt, ist bereits kurz nach dem 11. September 2001 nach Afghanistan gegangen. Er lebte bei der Nordallianz und bot seine Dienste als Sicherheitsexperte an. Angeblich hat er mit der Nordallianz auch gegen die Taliban gekämpft. Er muss auch regelmäßig Informationen an das FBI gegeben haben, beispielsweise im Frühjahr dieses Jahres über den angeblichen Plan von al-Qaida-Angehörigen, in die USA einzureisen und in verschiedenen Städten Terroranschläge durchzuführen. Angaben über seine Informanten wollte er jedoch nicht machen, waren sie doch sein Geschäftskapital. Sein Verteidiger John E. Tiffany nimmt an, dass unter anderem deswegen seine Festnahme jetzt erfolgte. Eine Woche zuvor war ein "Wanted"-Poster in Kabul mit dem Text zirkuliert: "Jonathan Keith Idema. Armed & Dangerous. Security forces should detain if encountered. Wanted for interfering with military ops/force protection.'' Tiffany ist überhaupt der Meinung, dass Idema ein Held und wirklicher Patriot sei, der nur den Terrorismus bekämpfen wollte.