Forscher entsetzt über Folgen der Erderhitzung – und viel mehr in Pipeline
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Ellen Thomas von der Yale University und viele ihrer Kollegen sind vor allem besorgt über das Tempo der Veränderungen. Die Folgen hätten drastische Effekte auf die menschlichen Infrastrukturen. Autobahnen, Bahngleise und Gebäude könne man eben nicht so einfach verlegen.
Professor Camille Parmesan vom Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung und Autorin beim IPCC weist gegenüber Bloomberg darauf hin, dass sie seit 20 Jahren auf die Folgen aufmerksam gemacht habe. Diese werden sich weiter ausbreiten, wenn der Gebrauch von fossilen Brennstoffen und die Erzeugung von Treibhausgasen nicht schnell auf null gefahren werden, so Parmesan.
James Hansen, oft als Urvater der Klimawissenschaften bezeichnet, erklärt gegenüber dem britischen Guardian, dass wir auf ein überhitztes Klima zusteuern, weil "wir verdammte Narren sind" und nicht früher gehandelt haben. "Wir müssen es zu spüren bekommen, um es zu glauben". Er fügte hinzu:
Es ist noch viel mehr in der Pipeline, wenn wir die Treibhausgasmengen nicht reduzieren. Diese Superstürme sind ein Vorgeschmack auf die Stürme meiner Enkelkinder. Wir steuern wissentlich auf die neue Realität zu – wir wussten, dass sie kommen würde.
Die Auswirkungen nähmen nicht linear zu, jedes Jahr am gleichen Platz etwas mehr, sondern bewegten sich in Wellen, aber insgesamt immer schlimmer werdend. Hansen und seine Kollegen sagen voraus, dass wir auf eine neue Grenze des globalen Klimas zusteuern.
Auch Al Gore, der seit den 1980er-Jahren versucht, politisch Aufmerksamkeit auf den Klimawandel zu lenken, ist beunruhigt über das, was stattfindet. In einem Interview mit der New York Times sagte er:
Überall auf der Welt haben die Extreme jetzt scheinbar ein neues Niveau erreicht. Die Temperaturen im Nordatlantik und der noch nie dagewesene Rückgang des antarktischen Meereises, beides gleichzeitig. Wir sehen es in New York, wir sehen es in Vermont, wir sehen es in Süd-Japan, wir sehen es in Indien. Wir sehen es in der beispiellosen Dürre in Uruguay und in Argentinien.
Zugleich warnen Forscher, dass die Hitzewelle in den Meeren und an Land die Nahrungsmittelversorgung weltweit gefährden. Das Lebensmittelsystem sei global, betont John Marsham, Professor für Atmosphärenwissenschaften an der Universität von Leeds in England.
Es besteht ein wachsendes Risiko, dass es in verschiedenen Regionen der Welt gleichzeitig zu großen Ernteausfällen kommt, was sich auf die Verfügbarkeit von Lebensmitteln und die Preise auswirken wird. Das ist noch nicht der Fall, aber in den kommenden Jahrzehnten ist das etwas, vor dem ich wirklich Angst habe.
Aufgrund von Hitze und Dürren im letzten Jahr kam es zu Ernteausfällen in China, Europa, Indien, und am Horn von Afrika, die zusammen mit den reduzierten Getreidelieferungen aus der Ukraine und Russland im Zuge des Ukraine-Kriegs zu einer Eskalation des globalen Hungers geführt haben.
Auch die marinen Ökosysteme sind von der Erderhitzung stark betroffen. Sie versorgen ein Fünftel der Erdbevölkerung mit Proteinen. Vor zwei Jahren löschte eine Hitzewelle eine Milliarde sogenannter Gezeitentiere (also Schnecken, Muscheln, Krabben usw.) vor der kanadischen Pazifikküste in British Columbia aus.
In einem Artikel in Nature wird davor gewarnt, dass bisher in Szenarien die Gefahren extremer Wetterlagen im Zuge der weiteren Erderhitzung für die Nahrungsmittelversorgung unterschätzt werden. Wenn mehrere Regionen gleichzeitig getroffen würden, hätte das katastrophale Folgen.
Die Wissenschaftler:innen fordern vor diesem Hintergrund die Regierungen auf, endlich die Nutzung fossiler Energien so schnell wie möglich zu reduzieren. Es sei alarmierend, dass weiter nichts oder viel zu wenig geschehe, während fossile Konzerne, die im letzten Jahr enorme Profite mit Öl und Gas machen konnten, planen, die Förderung sogar noch auszuweiten.
Der Umweltjournalist George Monbiot vom Guardian bezeichnet das Ringen darum, systematischen Kollaps zu verhindern, daher als einen "Kampf zwischen Demokratie und plutokratischer Reichenherrschaft".