Fortgesetzter Kolonialismus: Warum London und Washington Palästina als UN-Mitglied verhindern

USA stimmen gegen UN-Vollmitgliedschaft Palästinas

Die USA und Großbritannien haben im 20. Jahrhundert zur Zerstörung des Nahen Ostens beigetragen. Sie haben unlängst die Chance verpasst. EIn Kommentar.

Jeffrey D. Sachs hat den folgenden Text zusammen Sibyl Fares, einer Spezialistin und Beraterin für Nahostpolitik und Mitarbeiterin beim SDSN, verfasst.

Die USA und Großbritannien haben unlängst die Chance verpasst, Jahrzehnte ihrer eklatanten geopolitischen Fehler im Israel-Palästina-Konflikt zu korrigieren, indem sie Palästina als 194. Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen willkommen heißen.

Mehr als jedes andere Land haben die USA und Großbritannien den Nahen Osten durch ihre jahrzehntelange ständige Einmischung und imperiale Arroganz ruiniert. Diese Woche haben sie die Chance zur Wiedergutmachung.

Mehrheit der UN-Mitglieder ist für die Aufnahme von Palästina

Insgesamt 139 Länder erkennen den Staat Palästina bereits an, mehr als zwei Drittel der UN-Mitgliedsstaaten. Mehrere europäische Staaten werden sich demnächst der Liste anschließen.

Dennoch haben die USA bisher die Mitgliedschaft Palästinas in den Vereinten Nationen blockiert, wobei das Vereinigte Königreich sich in seinem Abstimmungsverhalten immer nahe an der Führung der USA orientiert hat.

Aktive Unterstützung für Israel

Beide Staaten haben Israels Apartheid-Herrschaft über Palästina unerbittliche Rückendeckung gegeben und unterstützen derzeit aktiv Israel bei seiner schrecklichen Zerstörung des Gazastreifens.

Diese Woche, höchstwahrscheinlich am Freitag, wird der UN-Sicherheitsrat für die UN-Mitgliedschaft Palästinas stimmen – wenn die USA und Großbritannien diese nicht erneut mit ihrem Veto blockieren.

Im Jahr 2011 hatte Palästina die mehrheitliche Unterstützung des UN-Sicherheitsrats für die Mitgliedschaft. Aber die USA haben damals die Palästinenser gezwungen, stattdessen einen "Beobachterstatus" zu akzeptieren. Sie versprachen ihnen, dass die Vollmitgliedschaft bald folgen würde. Das war jedoch eine Täuschung.

Großbritannien, die USA und der Ruin des Nahen Ostens

Die Hauptrolle hat sicherlich Großbritannien gespielt, dessen imperiale Machenschaften in der Region bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen und bis heute andauern.

Großbritannien hat Ägypten jahrzehntelang unter seiner Fuchtel gehabt, von den 1880er bis in die 1950er-Jahre.

Während des Ersten Weltkriegs versprachen die Briten in betrügerischer Weise sich überlappende Teile des osmanischen Nahen Ostens an die Franzosen (im Sykes-Picot-Abkommen), die Araber (in der McMahon-Hussein-Korrespondenz) und die Zionisten (in der Balfour-Deklaration) und verteilten damit Länder, über die sie zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht verfügen konnten.

Mandatsgebiet Großbritanniens

Nach dem Ersten Weltkrieg übernahm Großbritannien Palästina unter einem sogenannten Mandat des neu gegründeten Völkerbundes, während Frankreich ein Mandat über den Libanon und Syrien erhielt.

Großbritannien hinterließ in Palästina 1947 ein Trümmerhaufen, setzte aber seine unerbittliche Einmischung fort, indem es sich 1956 mit Frankreich und Israel zusammentat, um in Ägypten einzumarschieren.

Die Einmischung Großbritanniens hat auch zu den späteren Zerstörungen der Gesellschaften im Jemen, im Irak und in vielen anderen Teilen des Nahen Ostens beigetragen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg machten die USA dort weiter, wo Großbritannien aufgehört hatte.

London und die CIA

Zuerst schlossen sie sich Großbritannien beim Sturz des iranischen Premierministers Mohammad Mosaddegh durch den MI6 und die CIA im Jahr 1953 an. Dann begannen sie eine lange Reihe von CIA-geführten Operationen zum Regimewechsel, darunter in Afghanistan, im Irak, in Syrien und in Libyen, um nur einige zu nennen.

Während der gesamten Nachkriegszeit waren die USA führend an der betrügerischen Vermittlung im Konflikt zwischen Israel und Palästina beteiligt, indem sie etwa die palästinensischen Parlamentswahlen im Jahre 2006 unterstützten, dann aber die Hamas boykottierten und versuchten, sie zu stürzen, als diese die Wahlen gewonnen hatte.

Im Jahr 2011, als Palästina die Mitgliedschaft in der UNO beantragte und die Unterstützung des Mitgliedschaftsausschusses des UN-Sicherheitsrats erhielt, rieten die USA Palästina dazu, abzuwarten und stattdessen einen "Beobachterstatus" (Ergänzung KDK: wie der Vatikan) zu akzeptieren, und versprachen, dass die Vollmitgliedschaft bald folgen würde. Das war eine weitere Lüge.

Ablehnung der Zwei-Staaten-Lösung der UN

Trotz zahlloser Resolutionen des UN-Sicherheitsrats im Laufe der Jahre, die eine Zwei-Staaten-Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts forderten, haben die israelischen Regierungen unter Benjamin Netanjahu einen unabhängigen Staat Palästina unverhohlen abgelehnt.

Dem aktuellen Kabinett Netanjahu gehören Rechtsextremisten wie Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir an, die offen zur ethnischen Säuberung des Westjordanlandes und des Gazastreifens aufrufen, um ein Großisrael vom Jordan bis zum Mittelmeer zu schaffen.

Doch trotz Israels unerbittlicher Provokationen, der routinemäßigen Tötung von Palästinensern, die mit dem zynischen Begriff des "Rasenmähens" bekannt geworden ist, wiederholter Verstöße gegen Beschlüsse des UN-Sicherheitsrats und des jetzigen Gemetzels in Gaza sind die USA und Großbritannien bei ihrer Politik geblieben, indem sie Israel bedingungslos unterstützen und Palästina bekämpfen, als ob das in Ordnung wäre.

Doch Israel ist heute isolierter und gefährdeter als je zuvor

Die Frage ist, ob die USA und Großbritannien für diese Politik ein Mindestmaß an Verstand und Anstand für sich beanspruchen können. Deren Politiker mögen denken, dass sie Israel unterstützen, indem sie Palästinas UN-Mitgliedschaft blockieren, aber Tatsache ist, dass Israel aufgrund des Extremismus der israelischen Regierung, ihrer schockierenden Gewalt gegen das palästinensische Volk und ihrer Apartheid-Herrschaft isolierter und gefährdeter ist als je zuvor.

Seit Beginn des Krieges im vergangenen Herbst wurden offiziell 33.000 Palästinenser getötet, doch die tatsächliche Zahl der Todesopfer dürfte weitaus höher sein, wobei Zehntausende weiterer Opfer unter den Trümmern ihrer Häuser begraben oder an extremem Mangel an Nahrung, Wasser und fehlender medizinischer Versorgung verstorben sind.

Doppelmoral und Lügen der USA und Großbritanniens

In den letzten Tagen sind die bedauerliche Doppelmoral und die Lügen der USA und Großbritanniens wieder in vollem Umfang zutage getreten. Die USA und Großbritannien haben sich hartnäckig geweigert, Israels schamlos illegale Bombardierung des iranischen Diplomatengeländes in Damaskus, Syrien, die am 1. April erfolgt ist, zu verurteilen. Dann haben sie aber den Iran lautstark verurteilt, als er zwei Wochen später zum Gegenangriff überging.

Diese absurde Doppelmoral lässt die USA und Großbritannien in den Augen des Rests der Welt wie krasse Tyrannen aussehen.

Nach mehr als einem Jahrhundert der Einmischung Großbritanniens und der USA in den Nahen Osten ist es an der Zeit, ehrlich über die Fakten der Vergangenheit und gerechte Lösungen für die Zukunft zu sprechen.

Am wichtigsten ist: Die Aufnahme Palästinas als UN-Mitgliedsstaat und die Umsetzung der Zwei-Staaten-Lösung im Einklang mit dem Völkerrecht sind der Weg zu Frieden, Gerechtigkeit und Sicherheit sowohl für Israel als auch für Palästina.

Der größte Teil der Welt unterstützt diese Lösung mit großem Engagement. Die Frage ist nur, ob Großbritannien und die USA ihr Veto einlegen werden.

Es ist höchste Zeit, dass die beiden Mächte, die am meisten dazu beigetragen haben, den Nahen Osten zu ruinieren, den wahren Weg zum Frieden unterstützen, indem sie Palästina jetzt als souveränen UN-Mitgliedsstaat willkommen heißen, und nicht in einer sagenumwobenen Zukunft, die für immer von israelischen Hardlinern blockiert wird.

Jeffrey Sachs (1954, Detroit, Michigan) ist ein US-amerikanischer Ökonom und Professor. Er promovierte an der Harvard University in Wirtschaftswissenschaften im Jahr 1980. Sachs' Karriere ist geprägt von verschiedenen akademischen Positionen sowie Beratertätigkeiten für bedeutende internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen, den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Weltbank.

Telepolis hat von Sachs eine Reihe von Artikeln über Hintergründe, Verlauf und Auswirkungen des Ukraine-Kriegs und des Israel Kriegs veröffentlicht.

Als Direktor des Center for Sustainable Development an der Columbia University und als Professor setzt er sich intensiv für nachhaltige Entwicklung ein. Besonders bekannt ist Sachs für seine maßgebliche Rolle bei der Entwicklung von Wirtschaftspolitiken in Osteuropa während des Übergangs vom Kommunismus zum Kapitalismus. Er gilt als Verfechter globaler Armutsbekämpfung.

Sachs' Leistungen in der Wirtschaftswissenschaft brachten ihm zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen ein. Sein Werk und sein Einsatz für eine gerechtere Weltwirtschaft haben seinen Einfluss weit über die Grenzen der akademischen Welt hinaus ausgedehnt. In "The Price of Civilization: Reawakening American Virtue and Prosperity" (2011) setzt er sich mit Fragen der US-Gesellschaft und Wirtschaft auseinander.

Sibyl Fares ist Beraterin für Nahostpolitik und Mitarbeiterin beim SDSN.

Der vorliegende Text erschien zuerst auf der Website Common Dreams auf Englisch. Er wurde für das deutsche Publikum leicht bearbeitet und die Zwischenüberschriften ergänzt.

Übersetzer: Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin – Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Seit 1978 ist er als medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig. Zudem arbeitet er in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit. E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de