zurück zum Artikel

Fossile Überproduktion: Über einen bedrohlichen Abgrund

Jutta Blume

Bild: Production Gap Report

Studie zeigt: Förderpläne für Kohle, Öl und Gas sind viel zu hoch, um Erde stabil zu halten. Doppelt so viel würde damit emittiert wie noch erträglich. Was ist zu tun?

Die jüngst veröffentlichten Klimadaten zeigen [1], dass die Welt sich auf einem schnellen Erwärmungskurs befindet. Dennoch tun Regierungen noch immer viel zu wenig, um von ihnen versprochene Emissionsreduktionsziele auch konkret und zügig umzusetzen, und das, obwohl die selbst gesteckten Reduktionsziele, wie an dieser Stelle berichtet, bei Weitem nicht ausreichen, um die globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad oder idealerweise auf 1,5 Grad zu beschränken.

Bei einem schnell schrumpfenden Emissionsbudget wird die Zeit zum Handeln dabei immer kürzer.

Doch die Klimaschutzlücke klafft nicht nur zwischen nationalen Reduktionszielen und dem Pariser Klimaschutzabkommen. Sie tritt auch deutlich zutage, wenn die in den nächsten Jahren bis Jahrzehnten geplante Förderung fossiler Rohstoffe betrachtet und ins Verhältnis zu einem Paris-kompatiblen Emissionsbudget gesetzt wird.

Dies tut der kürzlich erschienene "Production Gap Report" [2], herausgegeben von Stockholm Environment Institute, Climate Analytics, E3G, International Institute for Sustainable Development und United Nations Environment Programme (UNEP).

Laut diesem Bericht wird die Welt im Jahr 2023 noch mehr als doppelt so viele fossile Brennstoffe fördern, wie mit dem 1,5-Grad-Ziel, genauer gesagt, dessen Einhaltung mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit, vereinbar wäre. Und auch um das Zwei-Grad-Ziel einzuhalten, sind die Förderpläne für das Jahr 2030 noch um 69 Prozent zu hoch.

Für diese Prognose wurden die aktuellen Pläne der 20 größten Förderländer fossiler Energieträger ausgewertet, wobei letztlich nur die Pläne aus 19 Ländern einflossen, da für Südafrika keine aktuellen Daten verfügbar waren.

Nach der Analyse sind die Förderabsichten für Kohle bis 2030 um 460 Prozent zu hoch, für Erdöl um 29 Prozent und für Erdgas um 82 Prozent. Diese Verteilung kommt zustande, da der schnelle und fast vollständige Kohleausstieg Bestandteil aller Klimaszenarien des IPCC zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels ist.

Die Diskrepanz zwischen Förderabsichten und Klimazielen wächst bis zum Jahr 2050 den Zahlen des Reports zufolge weiter an, sodass die Gesamtförderung im Jahr 2050 um 350 Prozent zu hoch, die Kohleförderung sogar um 2400 Prozent zu hoch wäre.

Budget könnte noch niedriger sein

Diese den Klimaschutzzielen völlig konträr gegenüberstehenden Pläne sind auch eine Folge einer fehlgeleiteten Politik in den Förderländern, wird in dem Bericht betont:

Zwar haben sich 17 der 20 untersuchten Länder dazu verpflichtet, Netto-Null-Emissionen zu erreichen, und viele haben Initiativen zur Verringerung der Emissionen aus der Produktion fossiler Brennstoffe eingeleitet, doch die meisten fördern, subventionieren und unterstützen weiterhin die Ausweitung der Produktion fossiler Brennstoffe und planen deren Ausbau.

Indien sticht dabei besonders mit seinen Plänen hervor, die Kohleförderung auszuweiten, ist aber nicht das einzige Land mit dieser Absicht. Die Russische Föderation setzt dem Bericht zufolge auf eine ausgeweitete Förderung aller drei fossiler Energieträger.

Aber auch die USA, Saudi-Arabien, Brasilien und Kanada wollen die Förderung von Öl und Gas erheblich steigern.

In Deutschland spielt die Öl- und Gasförderung ohnehin nur eine marginale Rolle und die Kohleförderung wird in dem Report als rückläufig gesehen. Kritisiert wird aber, dass Deutschland mit Hermesbürgschaften und Krediten der KfW weiterhin die Förderung fossiler Energien im Ausland unterstützt.

Explizit bemängelt wird auch das Abweichen Deutschlands von der Erklärung von Glasgow:

Auf der COP26 im Jahr 2021 hat Deutschland die Erklärung von Glasgow unterschrieben, in der es sich verpflichtet, die internationale öffentliche Finanzierung für Projekte für fossile Brennstoffe bis Ende 2022 zu beenden. Ein von der deutschen Exportkreditagentur im Juli 2023 veröffentlichter Richtlinienentwurf zeigt, dass die Agentur plant, die Entwicklung neuer Gasfelder und der dazugehörigen Transportinfrastruktur bis 2025 zu unterstützen, wenn dies im Sinne der nationalen Sicherheit gerechtfertigt ist und mit den Zielen des Pariser Abkommens vereinbar.

Der Production Gap Report wurde erstmals 2019 veröffentlicht. Seither sei die Lücke zwischen fossiler Förderung und nötiger Emissionsreduktion annähernd gleichgeblieben, so der Bericht.

Die Berechnung des Emissionsbudgets beruht auf den Szenarien des 6. Sachstandsberichts des IPCC, der zwischen 2021 und 2023 entstanden ist. Dabei wurden Szenarien gewählt, die möglichst keine temporäre Überschreitung des 1,5- bzw. 2-Grad-Ziels enthalten und auch nur in relativ geringem Umfang unterirdische Kohlendioxidspeicherung (CCS) einkalkuliert haben.

Mit den zugrundeliegenden Szenarien ist der Bericht eventuell nicht mehr ganz auf dem aktuellsten Stand, denn das verbleibende Emissionsbudget könnte nach neuesten Berechnungen noch niedriger sein [3].


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9529104

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.telepolis.de/features/Rekord-Temperaturen-Auf-dem-Weg-in-die-Heisszeit-9432767.html
[2] https://doi.org/10.51414/sei2023.050
[3] https://www.telepolis.de/features/Ist-das-CO2-Budget-der-Menschheit-in-sechs-Jahren-ausgeschoepft-9349277.html