Astronaut oder Kosmonaut? Wie der Westen Deutungshoheit erzwingt

Christiane Voges
Raumfahrerin im All mit einem Smartphone, das sie betrachtet

Bild: Supamotionstock /Shutterstock.com

Astronaut, Kosmonaut oder Taikonaut? Westliche Medien bevorzugen oft den US-Begriff, auch wenn Raumfahrer aus anderen Ländern stammen. Kommentar.

Sprache ist Teil unserer Wirklichkeit. Wir sollten sie vernünftigerweise weder unter- noch überschätzen. Sondern mit ihr entsprechend verkehren, sie als Werkzeug und Spielzeug sinnvoll nutzen.

Und zugleich selbstkritisch damit umgehen, inwieweit sie immer auch Herrschaftsinstrument ist, ein oft über- oder aber unterschätztes Machtmittel also.

Wie Menschen nennen, die in den Weltraum starten?

Ein nur scheinbar belangloses Beispiel: Wie nennen wir Menschen, die in den Weltraum starten? Genauer: Wie werden sie öffentlich in Nachrichten benannt, hierzulande und dabei mit Bezug auf Menschen aus anderen Ländern, in diesem Falle z.B. aus Russland, den USA und China?

These: Das ist kaum ein herrschaftsfreier Diskurs. Sondern auch hier werden Interessen, Ideologien und Machtverhältnisse vermittelt.

Es gibt das kurze, einfache und treffende deutsche Wort "Raumfahrer" (oder eben "Raumfahrerin").

Erste Wahl allerdings scheint bei etablierten deutschen Medien wie der Tagesschau das Wort "Astronaut". Siehe die beiden Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit, hier per Screenshot dokumentiert:

Screenshots tagesschau.de mit Fallschirm und Astronaut. "Astronaut" jeweils in der Headline
Screenshot tagesschau.de, 20. April 2025, 8 Uhr 40 und 24. April 2025, 15 Uhr 45

Wortraumkapsel: "Astronauten"

Insgesamt geht es hier um sechs Raumfahrer bei diesen beiden gemeldeten Missionen. Drei aus China, zwei aus Russland, einer aus den USA. Dennoch werden sie allesamt primär als "Astronauten" bezeichnet, um nicht zu sagen: "Geframt".

"Astronaut" ist der typische US-Ausdruck für Raumfahrende, und daher auch, wenn man so will, der "normale" bundesdeutsche, konkret: westdeutsche Terminus. Höchstwahrscheinlich wird gar nicht bewusst "Astronaut" getextet – sondern das scheint schlicht der gewöhnliche, alltägliche Sprachgebrauch.

Kritisch lässt sich sagen: Der vorherrschende, transatlantisch geprägte Sprachgebrauch. In diesem Machtbereich zwischen USA und BRD heißen jene Leute "schon immer" – und daher offenbar auch noch immer – ganz einfach "Astronauten".

Obwohl das Wort sogar eine Silbe länger ist als "Raumfahrer" - Sprachökonomie dürfte hier also nicht entscheidend sein. Sondern offenbar die Macht der Gewohnheit und der politischen-ökonomischen Verhältnisse.

Fun Facts

Fun fact: Das zumindest hat sich in der nunmehr zweiten Trump-Ära bisher nicht geändert. Sprache erweist sich hier nicht als wendige Raumkapsel, sondern als träger Tanker.

Zweiter "fun fact": Sonst wird oft darauf Wert gelegt, dass Sprache andere nicht diskriminieren möge. Dass man andere Identitäten ernst nehmen solle. Und dem auch sprachlich Ausdruck verschaffen werde. Stichworte: Repräsentanz und Diversität.

Diversität: "Taikonauten" und "Kosmonauten"

Genau das passiert hier aber nicht: Auch wenn Raumfahrer aus China z.B. "Taikonauten" genannt werden können und jene aus Russland/der Sowjetunion selbstverständlich "Kosmonauten" - das herrschende Framing landet weiterhin bei "Astronauten".

Und erzählt damit die Geschichte (vermittelt das Narrativ), die Raumfahrt der Menschheit sei vor allem eine US-amerikanische (und daher auch bundesdeutsche) Erfolgsgeschichte.

Ob alle Fans der "Astronauten" überhaupt wissen, dass der erste Mensch im Weltraum ein russischer Sowjetbürger war? Juri Gagarin, am 12. April 1961. Gerade war wieder mal Jahrestag der Mission des ersten, nun ja, Kosmonauten, der zugleich der erste Raumfahrer überhaupt war.

Der jedoch hierzulande bei weitem nicht die leitmediale Rolle spielt wie die erste Landung von Menschen auf dem Mond, im Juli 1969 – diese Erfolgsgeschichte "Made in USA" kennt selbstverständlich jedes Kind.

Es ist aber letztlich nicht ziemlich egal, welcher Name genannt wird? Gibt es nicht politisch viel wichtigere Fragen? Astronauten hin, Kosmonauten und Taikonauten her. Wenn es das Publikum so halbwegs versteht, dann ist doch gut, oder?

These: Naming is Framing

Auch dazu eine These: Naming is Framing. Gerade in aktuellen politischen Auseinandersetzungen. Beispiel gefällig? Im rbb-Inforadio wurde am Freitagmorgen (25.4.2025) über den Bürgermeister von Kiew (oder eben Kyjiw) berichtet, Vitali Klitschko, der bei einem Auftritt "begleitet wurde von seinem Bruder, Wolodymyr (sic!) Klitschko". Von wem bitteschön?

Aber nein, das ist nicht ein dritter Klitschko-Bruder, sondern eben jener Box-Olympiasieger, den die aller-allermeisten hierzulande kennen dürften als "Wladimir". So steht es denn auch und sogar ausschließlich in dieser "deutschen" Fassung auf Wikipedia.

Abgrenzen und politische Korrektheit?

Nun mag man sich ja in der Redaktion womöglich abgrenzen wollen von allen möglichen "Wladimirs" (Putin, Lenin etc.). Aber wenn es das Publikum so gar nicht verstehen kann? Soll es dann erzogen werden, im Sinne der nächsten, gerade angesagten Stufe politischer Korrektheit?

Beides zusammen wirkt wenigstens widersprüchlich: Einerseits den jüngeren Klitschko-Bruder jetzt mit der ukrainischen Fassung seines Vornamens zu nennen (auch wenn das im Sendegebiet fast niemand versteht), zugleich aber z.B. Kosmonauten und Taikonauten eben nicht ihre eigene "Identität" zuzusprechen.

Gemeinsamer Nenner dieser Merkwürdigkeiten freilich: Die hier herrschenden Verhältnisse auch sprachlich zu stabilisieren und erweitert zu reproduzieren.