Frankreich: Macron, Lichtgestalt und Retter ohne Programm

Seite 3: Kein Nationalist und dezidiert kein Rassist

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Einer der Haken dabei ist - jenseits aller sozialen Verteilungsfragen -, dass dieses Profil die schlechter gestellten oder sich abgehängt fühlenden Teile der Gesellschaft eher verängstigt, denn ermutigt. Diese werden dadurch erst recht in die Arme von rechten Unheilspropheten getrieben, die ihrerseits wie der Front National verkünden, eine Polarisierung zwischen ihren Vorstellungen und denen Macrons komme ihnen besonders zupass: Dem "Globalisten" par excellence stünden die "eingewurzelten" Nationalisten gegenüber.

Immerhin, ja, es stimmt: Emmanuel Macron ist wenigstens kein Nationalist und dezidiert kein Rassist. In seiner Rede in Marseille vom 1. April 17 etwa rief Macron in den Saal: "Sind Armenier da? Sind Komorer im Raum?" - aus historischen Gründen handelt es sich um zwei der wichtigsten Einwanderergruppen in der Mittelmeerstadt, die Armenier trafen dort etwa nach dem Völkermord in der Türkei nach dem Ersten Weltkrieg ein.

In der Folge deklinierten Macron sein Fragespiel mit einer Reihe von Einwanderergruppen durch (Sind Italiener im Saal? Algerier, Marokkaner, Tunesier? …). Um damit zu enden: "Und was sehe ich? Ich sehe Marseiller! Was sehe ich? Alle sind Marseiller!"

Das nervte nicht nur Stimmen aus der extremen Rechten erheblich, die ihn gar prompt als "antifranzösischen Kandidaten" einstuften. Es unterscheidet Macron auch erheblich von bestimmte Konservativen: Deren damaliger Innenminister unter Sarkozy, Claude Guéant (inzwischen aus anderen Gründen zu Gefängnis verurteilt), hetzte etwa im Wahlkampf 2011/12 pauschal gegen die Komorer in Marseille als eine Community, die für Gewalt ursächlich sei.

Umbau des Sozialversicherungssystems

In sozialer Hinsicht hingegen präsentiert Macron dort, wo er sich überhaupt konkret äußert, zwar mitunter durchaus attraktive Argumente. So schlägt der Kandidat vor, anders als bisher sollten auch abhängig Beschäftigte, die ihr Beschäftigungsverhältnis selbst kündigen - und nicht allein, wie bisher, entlassene Lohnabhängige - sowie Selbständige einen Unterstützungsanspruch gegenüber der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung aufweisen.

Das wäre eine erhebliche Erleichterung (im Vergleich zum heutigen Zustand) etwa für Lohnabhängige, die es an ihrem derzeitigen Arbeitsplatz kaum noch aushalten, deren Chef ihnen jedoch nicht den "Gefallen" einer Kündigung tun will.

Dahinter steckt allerdings die strategische Absicht, das gesamte Sozialversicherungssystem radikal umzubauen. Und zwar weg von einer Beitragsfinanzierung, aufgrund derer die Gewerkschaften eine Mitsprache - im Namen der Arbeitnehmer/innen - in den Vorständen der Sozialkassen ausüben, und hin zu einer Steuerfinanzierung.

Letztere brächte es jedoch mit sich, dass der Staat alljährlich über die Höhe von Leistungen etwa der Kranken- und Arbeitslosenversicherung quasi frei entscheiden könnte. Es wäre also mit erheblichen Einschränkungen zu rechnen. Hinzu kommt ein weiterer Haken: Wer als erwerblos Gemeldeter zwei Jobangebote ausschlägt, soll jeglichen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe verlieren. Hinzu kommen sollen drastische Kontrollen.

Verständlich wird dadurch, warum Macron es oft lieber vermeidet, über Programme zu reden und sich in der Öffentlichkeit inhaltlich festzulegen...