Frankreich reloaded
Die neue militärische Sicherheitsdoktrin Sarkozys
Vor dreitausend Soldaten hat Präsident Sarkozy heute Vormittag die großen Linien der künftigen französischen Verteidigungs-und Sicherheitspolitik vorgestellt, wie sie im neuen Weißbuch - Livre Blanc sur la Défense et la Sécurité National – formuliert werden. Die neuen Eckpunkte des Weißbuchs sind ambitioniert, sie visieren ins Große, handeln von großen Achsen zwischen den Weltmeeren, verlängern die Verteidigungspolitik über die Erde hinaus ins Weltall und berücksichtigen hypermoderne Ängste und Herausforderungen, wie etwa Pandemien oder Migrationsströme und Cyberattacken.
Wenn es denn stimmt, was die Verteidigungsexperten der Parti Socialiste zum neuen Weißbuch sagen, dass darin deutlicher die Vorstellungen des Präsidenten zur Sprache kommen als die der verantwortlichen Kommission, so kann man sagen, dass sich der Präsident dort in drei wesentlichen Aspekten verwirklicht hat: als Managertyp, als Amerikaner und als gloirophiler Franzose.
Downsizing und Umstrukturierung sind Klassiker der Managertools. Der Manager Sarkozy streicht 54.000 Stellen bei Soldaten und Zivilangestellten, die in logistischen Bereichen tätig sind. Kasernen werden geschlossen. Die Armee wird umstrukturiert – eine Abmagerungskur ohne Vorläufer, so der Figaro.
Die Ausgaben für die Bodentruppen sollen um 17 Prozent reduziert werden, die für die Luftwaffe um 25 Prozent und die Ausgaben für die Marine um 11 Prozent, dafür werden Soldaten und andere Beschäftigte entlassen und Stützpunkte geschlossen. Dieser Teil der angekündigten Reformen dürfte am schnellsten realisiert werden und am deutlichsten zu spüren sein. Für die Libération markiert das schon die ersten Kollateralschäden der neuen Strategie, doch auch der konservative Figaro, der die neue Strategieplanung ansonsten bejubelt, kann sich den daraus entstehenden Sorgen nicht ganz verschließen.
Während im logistischen Bereich gespart wird, soll die Aufklärung besser ausgestattet werden, doppelt so viele Mittel wie bisher sollen investiert werden. Man will verstärkt in neue Spionagesatelliten investieren und in ein System zur Früherkennung von Raketenangriffen. Das geplante Verteidigungsbudget in den nächsten zwölf Jahren liegt bei 377 Milliarden Euro. Laut Kalkül sollen die Ausgaben (einschließlich der Pensionen) an das Bruttoinlandsprodukt gebunden sein und im Laufe der nächsten Jahre von 2,3 Prozent des PIB (Produit Intérieur Brut) auf 2 Prozent sinken, was Machbarkeit ohne allzu große Probleme suggeriert – eine reine Willenserklärung, keine Arbeit von Experten, kommentiert die unermüdliche Kritikerin des Präsidenten, die Libération, die Rechnung.
Das amerikanische Vorbild
Sarkozy hat eine abgespeckte, schnelle, schlagkräftige und "schlagfeste" (Stichwort: "résilience") leistungsfähige Armee im Sinn. Statt wie bisher 60 Prozent ihrer Kapazitäten für unterstützende Funktionen bereitzustellen und nur 40% für die kämpfenden Truppen, will er dieses Verhältnis nach dem Vorbild der Briten umdrehen. Die schnelle Alarmbereitschaft soll gesichert sein, Einsatzmöglichkeiten im Ausland und die nukleare Abschreckung.
Zwar zeigen die konkreten Vorschläge zu diesen Punkten ganz deutliche französische Eigenheiten, was zum Beispiel die nukleare Abschreckung betrifft, aber die Grundkonzeption erinnert an Rumsfeldsche Vorstellungen einer einsatzbereiten schnellen Kampftruppe.
An Rumsfelds Visionen moderner Schlachtfelder erinnert die Einrichtung einer neuen Aufklärungsbehörde innerhalb des Militärs, die sich mit neuartigen Drohungen und Herausforderungen aus dem Bereich neuer Informationstechnologien befassen soll. Und ein wenig amerikanisch mutet es auch an, wenn von einer "bevorzugten Achse" die Rede ist. Nur dass mit dieser Achse keine Schurkenstaaten gemeint sind, sondern ein Gebiet, das von besonderem strategischem Interesse ist: Vom Mittelmeer bis zum nördlichen Ausläufer des indischen Ozeans, eingeschlossen sind bestimmte Zonen in Afrika, die Antilleninseln und Französisch-Guyana.
Was Afrika anbelangt, lässt sich ein neue Richtung erkennen. Man verabschiedet sich vom Engagement in bestimmten Zonen, z.B. der Elfenbeinküste und konzentriert sich auf andere Gebiete: "la facade occidentale de l'Afrique". Eine Abwendung von der kolonialen Politik, zugleich aber die Aspiration für eine neue Politik der Größe. In der Konzeption der neuen Sicherheitsdoktrin lassen sich deutlich Ambitionen erkennen, die Frankreich mit neuer Wichtigkeit austatten wollen.
Seit längerem schon stellt sich "Sarkozy, l'Américain", wie er in den amerikanischen Medien verschiedentlich betitelt wird, definitiv und prononciert auf die Seite der "Achse der Guten", wenn es um den Konflikt mit Iran geht oder um den Krieg gegen die Taliban. Er betont das Engagement Frankreichs und nun spricht er gar eine Revolution an: die Rückkehr Frankreichs zur Nato. Natürlich zu Bedingungen, die für die neubeatmete Grande Nation akzeptabel sind - besonders was die Eigenständigkeit innerhalb der Kommandostrukturen angeht und die kompromisslose Verfügung über die nukleare Abschreckung. Wie die genauere Lektüre des neuen Strategie-Buches zu Tage fördert, implizieren die dort formulierten Szenarien, die den Verteidigungsfall eintreten lassen, insbesondere Bedrohungen durch Russland und Iran.
Europa darf gespannt sein, was Sarkozy noch zu dem ihm sehr wichtigen Thema EU-Verteidigungspolitik einfällt.