Frankreich und die USA auf dem Rückzug aus dem Sahel

Uwe Kerkow
Soldaten im Tschad

Soldaten im Tschad. Foto: Ministerstvo obrany České republiky, CC0 1.0

Tschad geht auf Distanz zu USA. Annäherungsversuche an Russland. Denkt man auch in N'Djamena an einen grundsätzlichen Richtungswechsel?

Die Position westlicher Staaten in Westafrika wird immer schwächer. Zuerst waren es die antifranzösischen Putsche in Burkina Faso, Mali und Niger. Nach dem Regierungswechsel in Dakar wird auch der Senegal auf einen eigenständigeren Kurs einschwenken. Unter anderem sollen die Verträge über die senegalesischen Rohstoffvorkommen neu verhandelt werden.

Nun hat auch die tschadische Regierung in einem Brief damit gedroht, das Abkommen mit den USA über den Status der US-Streitkräfte im Land (Status of Forces Agreement, SOFA) zu kündigen. Der Vertrag regelt die Bedingungen, unter denen die etwa 100 US-Soldaten ‒ vor allem Spezialeinheiten ‒ im Lande operieren.

Die tschadische Junta wird von 37-jährige Mahamat Idriss Deby geführt, der mittlerweile fast alle Machtbefugnisse auf sich vereint hat. Er trägt auch den Spitznamen "Kaka" ("Großmutter") und ist der Sohn des Präsidenten Idriss Deby Itno, der 2021 bei Kämpfen gegen Rebellen im Norden des Landes ums Leben kam.

Bricht nach dem Niger auch der Tschad mit den USA?

Der Brief kommt kurz nach dem Bruch der nigrischen Militärjunta mit den USA – bei dem es ebenfalls um das SOFA ging – und unterstreicht die Fragilität der US-Position in der Sahelzone. Die USA versuchen verzweifelt im Niger zu bleiben. Doch wenn der Tschad sein SOFA ebenfalls aufkündigt, müssten die US-Militäroperationen dort ebenfalls eingestellt werden.

Der Brief aus N‘Djamena wurde bezeichnenderweise von General Idriss Amine Ahmed, dem Chef der Luftwaffe, unterzeichnet, anstatt über das Außenministerium zu laufen, dem üblichen Weg für Gespräche mit einer ausländischen Regierung. Dies stellt eigentlich eine Brüskierung des Außenministeriums dar, von wo aber offensichtlich keine Beschwerde kam.

General Amine, der in der Ukraine und in Russland ausgebildet wurde und beide Sprachen fließend beherrscht, ist bekannt dafür, dass er gegen den Westen eingestellt ist. Der Mann Amine ist unter anderem auch für die Anschaffung türkischer Kampfdrohnen verantwortlich und unterstützt nachdrücklich die Neuausrichtung der Außenbeziehungen des Tschad auf Russland und den Globalen Süden.

In Russland ausgebildet

Er ist nicht der einzige hochrangige Funktionär im Tschad, der einen Bruch mit Frankreich und den USA anstrebt. Viele von ihnen haben ihre Hochschulausbildung in Osteuropa und Russland erhalten und teilen die Feindseligkeit ihrer westlich orientierten Kollegen gegenüber Moskau keineswegs.

Noch gehen die großen US-Medien davon aus, dass der Brief des Generals vor allem ein Manöver darstellt, um den USA Zugeständnisse für die Fortsetzung ihrer Präsenz auf dem Stützpunkt abzuringen. Dennoch wirft der Vorstoß ernste Fragen zur künftigen internationalen Ausrichtung des Tschad auf.

Denn die Dinge sind im Fluss. Frankreich und die USA sind vor Ort äußerst unbeliebt. Auch die persönlichen Beziehungen zwischen Mahamat Idriss Deby und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron sind schlecht. 75 US-Soldaten haben den Tschad offensichtlich bereits an Wochenende verlassen. Vielleicht will Washington ein Desaster wie in Niger vermeiden.

Mehr Unabhängigkeit, weniger Geld?

Gerüchten zufolge ist Mahamat angeblich schon im Januar nach Russland gereist, um ein Abkommen mit Präsident Wladimir Putin zu schließen und der Alliance des États du Sahel (AES) beizutreten, dem neuen Bündnis von Burkina Faso, Mali und Niger. Angeblich werde er nach seinem Sieg bei den Präsidentschaftswahlen zudem die französischen Truppen zum Abzug auffordern.

Aufgeschreckt wurden die Franzosen jedoch von der Absetzung von General Ahmat Kogri, dem Direktor des tschadischen Geheimdienstes (Agence Nationale de Sécurité de l'Etat). Der Mann war ein langjähriger Vertrauter des französischen Auslandsgeheimdienstes. Dass der neue tschadische Geheimdienstchef nicht besonders gut Französisch spricht, ist sicher kein Zufall.

Schwenk nach Osten?

Der Schwenk Richtung Osten mag zwar vielen in N’Djamena verlockend erscheinen. Denn beim letzten Besuch von Mitgliedern des US-Repräsentantenhauses im März ging es fast ausschließlich um die Flüchtlinge vor den Kämpfen im Sudan. Zu allem Überfluss monierten die Amerikaner, der Tschad solle die Menschenrechte mehr achten, die Morde vom Oktober 2022 müssten noch aufgeklärt werden und die kommenden Wahlen sollten doch bitte glaubwürdig sein.

Solche Vorhaltungen kommen schlecht an in Zeiten, in denen das afrikanische Selbstbewusstsein, gegenüber den westlichen Ländern stetig wächst, während G7 und Nato nicht gerade mit gutem Beispiel vorangehen.

Allerdings können Russland und China nur deutlich weniger Geld einsetzen als die EU und die USA und die ihnen zugehörigen, internationalen Finanzinstitutionen. Als bedeutende Geldgeber kommen für N’Djamena derzeit wohl vor allem die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar in Betracht, die in Afrika gegeneinander um Einfluss konkurrieren.

Washington könnte seinerseits versuchen, seine Rolle im Süden Libyens auszuweiten, obwohl Russland seinen Einfluss auch dort ausbaut. Dort wäre man allerdings rund 1.000 Kilometer vom Geschehen im Sahel entfernt

Tschad ruft die Hälfte seines G5-Sahel-Kontingents zurück

Mehr Truppen in Libyen könnten in den USA bald für dringend nötig befunden werden, denn der "G5 Sahel" genannte Zusammenschluss aus Mauretanien, Mali, Niger, Burkina Faso und dem Tschad kommt den militärischen Aufgaben, die Frankreich ihr zugedacht hat, kaum noch nach.

Mali hatte seine Unterstützung für die militärischen Aktionen der G5 schon 2022 beendet. Ein Jahr später folgten Burkina Faso und Niger.

Nun zieht auch der Tschad die Hälfte seines Kontingentes sowie seine schweren Waffen zurück. Damit verlassen weitere 600 Soldaten das Dreiländereck von Mali, Niger und Burkina Faso wo sie – zusammen mit französischen Verbänden – Dschihadisten bekämpft hatten; Dschihadisten, die vor allem aufgrund des völlig verfehlten Libyen-Abenteuers überhaupt erst dorthin gelangt waren.

Auch die französischen Truppen gehen

Das französische Verteidigungsministerium betont zwar, dass die Entscheidung des Tschad in voller Absprache mit G5 und Frankreich getroffen wurde. Man wolle eine Truppe, die leichter, reaktionsfähiger und einfacher zu unterstützen sei. Doch auch Paris kündigte an, seine militärische Präsenz in der Region von rund 5.000 auf 2.500 bis 3.000 Soldaten zu reduzieren.

Damit ist die G5 fast gänzlich von der Bildfläche verschwunden. Und damit endet der Traum des Élysée-Palasts, afrikanische Truppen nach eigenem Gutdünken in die erste Reihe im Kampf gegen islamistischen Terror zu stellen.

Es ist wohl doch so, dass Europa die Fehler der USA schlichtweg kopiert: Erst kleine, scheinbar nützliche Kriege führen, sich letztlich aber rar machen, wenn das Kind im Brunnen landet. So gewinnen Paris und Brüssel die Köpfe und Herzen in Afrika bestimmt nicht. Aber für Kooperation auf Augenhöhe, nachhaltige Investitionen und faire Rohstoff- und Handelsabkommen fehlt offensichtlich sowohl die Geduld als auch die Kraft.