Free Flow of Information

Zur Herkunft einer scheinbar unschuldigen Doktrin

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Jede Zeit besitzt ihre eigenen Träume, Irrtümer und Ideale. So auch die globale Netzwerkgesellschaft. Sie ist vom fröhlichen Geist des Informalismus erfüllt und sonnt sich in Wunschbildern, die ihr freie Märkte, offene Horizonte und eine Kommunikation ohne Grenzen vorgaukeln. Auch der vernetzte Raum ist voll davon. Und noch die neuen Stoßtruppen dieses angeblich letzten Gesellschaftstyps: Programmierer, Codebrecher und andere Softwarepiraten zeigen sich von solchen Traumbildern infiziert. Vor allem sie haben den Kampf um freien Zugang, offene Protokolle und den freien Meinungsfluss zur Lebensform hochstilisiert und zum einzigen Lebensinhalt gemacht.

In all diesem Enthusiasmus über die glücksverheißende "Macht der Information" gerät ihre raumpolitische Komponente leicht außer Acht. Ausgleich und Verständigung zwischen Völkern und Kulturen sind der Kommunikation bzw. der Entwicklung der technischen Mittel ihres Transportes (Massenmedien, Netzwerke) nämlich grundsätzlich fremd. Zwar setzen sie unterschiedliche Personen, Nationen und Gemeinschaften miteinander in Beziehung. Und das über alle räumlichen und ethnischen Barrieren hinweg. Doch beispielsweise schon der Auf- und Ausbau moderner Verkehrswege (Straßen, Eisenbahnen, Kanäle ...) diente zuallererst den geostrategischen Kalkülen und imperialistischen Zielen der Nationalstaaten und ihrer Führer. Und auch die Entwicklung des Telegraphen- und Postwesens hatte zuvörderst die Aufgabe, eine ebenso dauerhafte wie rasche Verbindung zwischen Generalstäben und Truppenteilen, Zentralgewalt und entfernten Untertanen im Reich herzustellen.

Daher treten emanzipatorische Ideen oder sozialutopische Visionen auch immer erst im Nachhinein hinzu. Schon der Glaube an den "Weltbürger", "der all seine Kompetenz dem freien Fluss der Wörter und Bilder verdankt", ist Resultat von "Prozessen und Effekten massenmedialer Kommunikation". Hinter einer Rhetorik der Befreiung oder einer Semantik des Glücks verbergen sich meist handfeste ökonomische oder machtpolitische Interessen.

Medien sind Medien des Politischen

Diese Vermengung von Interessen und Ideen gilt auch für denFree Flow of Information. Vor mehr als dreißig Jahren hat der amerikanische Mediensoziologe und Marxist Herbert I. Schiller bereits darauf aufmerksam gemacht. Sowohl in American Empire and Communications von 1969 als auch in Communication and Cultural Domination von 1976 entkleidet er den Free Flow of Information als Teil und Paradebeispiel kluger und gelungener amerikanischer Außenpolitik. Und er zeigt, dass diese Politik aufs engste mit dem steilen Aufstieg der USA zur überlegenen Weltmacht verbunden ist.

Anno 1940, also noch vor Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg, zeichnet sich dieser Trend bereits ab. Schließlich erklärt sich der beispiellose Siegeszug, den der US-Kapitalismus in der Welt nimmt, aus den wachsenden Freiheiten, die Kapital und Information auf den internationalen Märkten und Bühnen genießen. Andererseits ist Europa durch den Blitzkrieg, den Hitlerdeutschland führt, mental gelähmt. Die Köpfe und Herzen der okkupierten Völker und Nationen sind daher offen und frei für Ideen, die eine neue Zivilisation mit voller Informations- und Bewegungsfreiheit versprechen.

So nimmt es nicht wunder, dass die Menschen, nachdem sie mit Propaganda, Zensur und der Manipulation von Nachrichten Bekanntschaft gemacht haben, nach mehr Freiheit dürsten und die Hoffnung auf Frieden und mehr Sicherheit mit dem freiem Nachrichtenfluss verbinden. Für die USA und ihre Informationslords bietet diese Stimmungslage die Chance, endlich auf dem alten Kontinent Fuß zu fassen und die Kommunikationshoheit der alten Informationsmächte zu brechen.

Kommunikationshoheit brechen

Bekanntlich herrscht im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ein mächtiges Kartell über den globalen Informationsmarkt in Alteuropa. Britische (Reuters) und französische (Havas) Agenturen dominieren die weltweiten Datenwege und Datenflüsse.

Besonders die Briten besitzen ein Informations- und Kommunikationsmonopol. Als weltweiter Herrscher über ein Meer von Seekabeln, die Australien, Südafrika, Indien, China und Kanada an das Mutterland binden, überwacht und kontrolliert London den weltweiten Datenverkehr und -handel nebst seinem administrativen und kommerziellen Überbau. Darüber hinaus hat Großbritannien damit auch die Möglichkeit, das eigene Land nach außen gut darzustellen und es vor aller Welt in den höchsten Tönen zu rühmen. Andere Konkurrenten und Wettbewerber wie beispielsweise Associated Press (AP) oder United Press International (UPI) haben gegenüber diesem Kartell keine Chance. Die Politik des Free Flow scheint ihnen als geeignetes Mittel, das Nachrichtenmonopol des Old Boys Network zu knacken.

Noch während des Krieges gibt Kent Cooper, Chef von AP, die Richtung vor und die Devise dafür aus. In Barriers Down (1942) kritisiert er heftig die Meinungsdominanz der Briten und beklagt die Lufthoheit Londons über den globalen Nachrichtenfluss, die der Vorstellung von Freihandel und offenem Informationsfluss diametral zuwiderlaufen.

"Unter all den Beschränkungen, die den freien Handel behindern", so schreibt er, "ist nichts so ärgerlich oder so wenig zu rechtfertigen wie die Kontrolle der Kommunikationsmittel durch ein einziges Land."

In mehreren Resolutionen drängt die American Society of Newspaper Editors (ASNE) die US-Parteien dazu, ihren Kampf für mehr "Informationsfreiheit und ungehinderten Kommunikationsfluss" aktiv mitzutragen. Als Demokraten und Republikaner ihre Bereitschaft dazu signalisieren, weil "offene Kanäle, Zugang zu den Informationsquellen und ein freier Fluss von Waren und Ideen einen beachtlichen Beitrag für künftigen Frieden und Freiheit der Nationen und Völker bedeuten", verpflichtet sich die Organisation im Gegenzug die Regierungspolitik fortan zu unterstützen. Der Patriotismus, den amerikanische Medien hegen und pflegen, ist demnach uralt und geht mit der Politik des Free Flow Hand in Hand.

Noch im letzten Kriegsjahr, als die Kapitulation der "Achsenmächte" sich abzeichnet, reist eine Delegation der ASNE rund um den Globus, um für diese Politik des Free Flow zu werben. Unterdessen stellen die Direktoren von AP Kent Cooper einen Fond von einer Million Dollar pro Jahr zur Verfügung. Mit Hilfe dieser Gelder soll er aus AP einen Global Player auf dem Nachrichtenmarkt machen.

Den Briten bleibt diese Politik natürlich nicht verborgen. Noch während des Krieges stellt der Economist fest, dass die USA mit der Kampagne für den "Freien Fluss" wirtschaftliche Machtinteressen und politische Ziele verfolgen. Unmittelbar nach Kriegsende bestätigt sich diese Einschätzung, als der US-Staatssekretär im Außenamt, William Benton, erklärt:

"Das State Departement wird alle Maßnahmen unterstützen, die die Ausbreitung amerikanischer Agenturen, Zeitschriften, Filme und anderer Kommunikationsmittel behindern. Pressefreiheit und ungehinderter Informationsaustausch gehören zum integralen Teil unserer Außenpolitik."

Und auch John Foster Dulles, Architekt der Politik des Kalten Krieges, stößt später ins gleiche Horn: "Wenn ich einen Bereich auswärtiger Politik für wichtig erachte, dann ist es der Free Flow of Information." Binnen Jahren ist aus einem Geschäftsinteresse eine politische Ideologie geworden.

Ideologietransport

Auch der US-Regierung und ihren Regulierungsbehörden bleiben die politökonomischen und kulturellen Möglichkeiten, die die Kontrolle der Datenwege und Nachrichtenflüsse und eine Kommunikation ohne Grenzen für den Außenhandel bzw. den Export von Waren und Ideen eröffnen, nicht verborgen. Um diese Doktrin nach außen propagandistisch zu befördern, entsendet die Regierung daher vor allem Fürsprecher des Free Flow in die internationalen Gremien, Institutionen und Organisationen wie die UN oder die UNESCO, die nach dem Krieg entstehen.

Schon in ihren Anfangsjahren macht die UNESCO den Free Flow und den Kampf gegen Kontrolle und jegliche Zensur von Nachrichten zu einem ihrer Hauptanliegen. Und die Generalversammlung der UN erklärt in einer ihrer ersten Resolutionen "Informationsfreiheit" sofort "zum fundamentalen Menschenrecht", weil sie ein "Maßstab für alle anderen Freiheiten" ist, "denen sich die UN verpflichtet fühlt."

Freiheit bedeutet demnach nichts anderes als "das Recht, überall und ohne Einschränkung Nachrichten zu sammeln, zu übertragen und zu verbreiten."

Auf einer UN-Konferenz in Genf setzen die USA 1948 dieses grundlegende Prinzip durch. Obwohl die Europäer die wirtschaftlichen und medienpolitischen Interessen und Motive der USA, die hinter der Politik des Free Flow stecken, durchschauen, unterstützen sie die Amerikaner darin rückhaltlos. Und das nicht ohne Eigeninteresse. Sie hoffen nämlich, durch diese Politik den sowjetischen Einfluss in Europa einzudämmen. Viele US-Kulturschaffende unterstützen im Glauben an ihre hehren Absichten dieser Politik.

Gleichzeitig gelingt es der US-Regierung zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Mit der Kampagne für mehr Demokratie und informationelle Freiheit beseitigen sie nicht nur ein britischen Monopol, sie liefert ihnen auch ein willkommenes ethisches bzw. kulturelles Argument, um andere Formen sozialer Organisation (Kommunismus) ideologisch zu diskreditieren.

Der mediale Raum spricht amerikanisch

Zwanzig Jahre später zeigt die Kampagne Erfolg. Neue Medientechnologien (Fernsehen, Satelliten, Computer), die von der US-Regierung mit Unsummen an Subventionen gefördert werden, erobern den (Welt)Raum. Sie setzen nationale Maßnahmen zur Reglementierung der Nachrichtenströme außer Kraft und stellen dadurch gleichzeitig die Kulturhoheit der Nationalstaaten in Frage. Zudem besitzen mächtige US-Medienkonzerne auf diese Technologien ein de facto Monopol, wodurch die USA endgültig zur Zentrale der Weltwirtschaft werden. #

Und als schließlich auch noch Massenkultur und Entertainement zu Medien des Politischen werden, überschwemmt bald eine Flut von US-Filmen, Walt Disney Produktionen und US-Magazinen wie Reader's Digest, Time, Newsweek oder Playboy den Markt, mit Millionen von Lesern und Zuschauern außerhalb den USA. Kein Wunder, dass viele Nationen ihr Recht auf kulturelle Selbstbestimmung verletzt sehen, weil sie sich zum Empfänger eines neuartigen US-Kulturimperialismus degradiert fühlen, und Forderungen nach eine Regulierung der Informationsströme immer lauter werden.

Anfang 1970 sind diese Rufe von Erfolg gekrönt. Die UNESCO, einst heftigster Fürsprecher für den Free Flow, vollzieht eine Kehrtwendung ihrer Politik. Auf Initiative der Sowjetunion erklärt sie das Prinzip der Nichteinmischung sowie das Recht auf nationale Souveränität mit dem Recht einer jeden Person, Informationen zu suchen, zu erhalten oder zu verbreiten, für vereinbar. Allein die amerikanische Delegation stimmt diesem Beschluss nicht zu, der Nationen nun das Recht zusichert, unerwünschte Nachrichten von ihrem Territorium fern zu halten.

Dieser Clash of Civilizations, den die Politik des Free Flow mit dem Recht auf nationale Selbstbestimmung nimmt, hat freilich handfeste Gründe. Während des Kalten Krieges sind vorwiegend die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten Ziel westlicher Propaganda und, wie es heißt, "ideologischer Aggression."

Auch wenn viele Staaten wie Frankreich (Algerienkrieg) oder Großbritannien (Suezkrise) in Krisenzeiten gern auf command & control zurückgreifen, gilt das Stören weltweit ausgestrahlter Sendungen international als verpönt. Deswegen können auch Voice of America, das legale amerikanische Propagandaradio, sowie Radio Liberty und Radio Free Europe, die beiden illegalen Sendestationen, die unmittelbar nach dem Krieg von der CIA gegründet werden, die Ostblockstaaten gezielt unter Störfeuer und Nachrichtenbeschuss nehmen.

Auf der anderen Seite ist das vehemente Eintreten der USA für den individuellen Zugang und die freie Weitergabe aller Informationen nur vorgeschoben. Es dient vor allem dem nationalen Interesse: der Verteidigung des weltweiten Handels mit Massenkulturprodukten (Filme, Fernsehprogramme, Popmusik, People's Magazinen) - einem Markt, den US-Unternehmen damals schon zu fast zwei Dritteln beherrschen - , sowie der Absicherung des eigenen Kommunikationsvorsprungs.

Die Mär von der Gegenseitigkeit

Auf einer Tagung, die die KSZE 1973 in Helsinki zu Fragen und Problemen der "internationalen Kommunikation" abhält, unterzieht der finnische Präsident Urho Kekkonen diese Politik des Free Flow of Information einer Generalkritik. Laut Kekkonen folgt dieser dem Wirtschaftsliberalismus, den Adam Smith und John Stuart Mill lehren und der auch die Erklärung der Menschenrechte inspiriert. Ohne jegliche Einschränkung zu handeln und zu wirtschaften, sind Werte, die ganz oben auf der Agenda von Wirtschaft und Ideologie stehen. Der Staat sichert zwar jedem diese Freiheiten zu, doch kümmert er sich nicht um die Folgen, die dieses individuelle Tun in der und für die Gesellschaft zeitigt, nämlich den Starken stärker und den Schwachen schwächer zu machen.

Gleiches gilt für den Bereich der Kommunikation. Auch dort fördert der Geist des Informalismus zuallererst den Starken und Reichen.

"Global betrachtet ist der freie Meinungsfluss hauptsächlich eine one-way Kommunikation. Mit den Prinzipien der freien Rede ist er daher nicht zu vergleichen. Könnte es deshalb nicht sein," so fragt er, "dass der Free Flow nur den stärkeren und wohlhabenderen Nationen nützt?" Und: "Könnte es nicht auch sein, dass die UN und die UNESCO in all den Jahren ihre Erklärungen auf die abstrakte Freiheit der Rede gegründet haben? "Kommunikationsfreiheit", so schließt er, "ist alles andere als neutral. Unternehmen, die über mehr Mittel verfügen als andere, bietet sie weit größere Möglichkeiten um Hegemonien zu errichten."

Einbahnstraßenkommunikation

Fast dreißig Jahre danach ist dem nicht viel Neues hinzuzufügen. Die Kritik Kekkonens am Free Flow ist aktueller denn je. Dies zeigen die Aktionen in Seattle, Prag und Genua. Für die USA dagegen ist diese Politik ein beispielloser Erfolg gewesen. Sie können ihrem hegemonialen Selbstverständnis nun frönen und ihre globalen Ansprüche jederzeit und überall durchsetzen. Sie sind das "neue Rom" der Postmoderne, das "Vierte Reich" auf Erden.

Vernetzung und Globalisierung werden an dieser Einbahnstraßenkommunikation wenig ändern. Trotz all der schönen Reden über verteilte Macht, Dezentralisierung und flache Hierarchien bringt es den Schwachen und Exkludierten weder mehr Chancen noch Zugänge. Ein Blick in den jährlich erscheinenden Internet-Atlas sowie in das von Martin Dodge und Rob Kitchin herausgegebene Buch Mapping Cyberspace bestätigen diesen Verdacht. Allein diese Daten führen Beobachtungen und Prognosen, die Neomarxisten (Hardt/Negri) und Informalisten (Manuel Castells) jüngst zur globalen Netzgesellschaft aufgestellt haben, ad absurdum.