Freie Einwanderung - ein Menschenrecht?
Seite 3: Teil 3: Der Staat und seine Ressourcen als Gemeinschaftseigentum
- Freie Einwanderung - ein Menschenrecht?
- Teil 2: Die moralische Argumentation für freie Einwanderung
- Teil 3: Der Staat und seine Ressourcen als Gemeinschaftseigentum
- Teil 4: Grenzenloser Zugriff auf Gemeinschaftseigentum?
- Teil 5: Eigentum verpflichtet, aber nicht zwangsläufig zu liberaler Einwanderungspolitik
- Teil 6: Desolidarisierung im Inneren und grenzenlose Solidarität nach außen gehen nicht zusammen
- Teil 7: Entschädigung der Einwanderungsverlierer konkret gemacht
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Wie an den Indikatoren des Human Development Index abzulesen, haben Bürger Deutschlands ein materiell besseres und längeres Leben und besseren Zugang zu Bildung als die meisten anderen Menschen auf diesem Planeten. (Am Rande bemerkt: Dies galt sogar für die Bürger der DDR.)7
Entgegen einer verbreiteten Annahme ist die Ursache für diese global gesehen günstige Position deutscher Bürger eher nicht in ausbeuterischem Verhalten gegenüber Entwicklungsländern zu sehen. Heute unter teils schlechten Bedingungen in ärmeren Ländern produzierte Waren wie Textilien hat Deutschland noch um 1980 in großer Menge selbst hergestellt; ob das Schwinden der hiesigen Textilproduktion durch Billigkonkurrenz unterm Strich gut für Deutschland war, ist zumindest fraglich.
Die Haupt-Rohstofflieferanten Deutschlands sind durchweg Länder, die auf Augenhöhe verhandeln können. Afrika oder der nahe und mittlere Osten spielen eine vernachlässigbare Rolle. Das Bauxit, das Deutschland aus Guinea bezieht, ließe sich morgen durch solches aus Australien ersetzen, ohne dass Deutschland ärmer wäre oder Guinea reicher.
Billig-Exporte von Hähnchenteilen und -Innereien nach Westafrika, zur Freude städtischer Afrikaner und zum Ruin dortiger Produzenten, sind problematisch (es handelt sich allerdings um eine komplexere Frage, als meist angenommen), aber nicht der Grund für deutschen Wohlstand. Sie machen nur einen winzigen Teil der deutschen Agrarexporte aus.
Billige Getreideexporte in einige arabische Länder sind kein Vergehen an diesen Ländern, sondern für diese lebenswichtig, weil sie sich wegen exponentiell wachsender Bevölkerung bei beschränktem agrartauglichem Land nicht mehr selbst versorgen können. Selbst ohne die unmoralischen Exporte der Rüstungsindustrie und die Fischereirechtsmissbräuche vor Afrikas Küsten wäre Deutschland ein Land mit Spitzenposition im Human Development-Index.
Ihre im Weltmaßstab privilegierte Position verdanken die deutschen Bürger zu einem Teil sich selbst, indem sie in großer Mehrheit Steuern zahlen, nicht schwarzarbeiten, Beamte nicht bestechen, als Beamte nicht die Hand aufhalten, sich generell an Regeln, wie die Verkehrsregeln, halten, keine Fehden zwischen Religions- und Volksgruppen austragen, keine bewaffneten Aufstände beginnen (auch dann nicht, wenn Regierungen Entscheidungen treffen, die die Mehrheit der Bevölkerung ablehnt), gewissenhaft ihrer Arbeit nachgehen, ihre Kinder in die Schule schicken und dergleichen.
Zum größeren Teil verdanken die Bürger Deutschlands aber ihre guten Lebensbedingungen neben historischen Zufällen natürlich Taten aus vergangener Zeit: solchen der Arbeiterbewegung, gesellschaftlich engagierter Ärzte, Aufklärer und Sozialreformer, guten Entscheidungen von Politikern und des demokratischen Souveräns.
Ein Beispiel ist die Entscheidung, die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung staatlich (kommunal) zu organisieren, um Cholera und Typhus loszuwerden. Was passiert, wenn der Staat im Sanitärwesen schlampt und auf privatwirtschaftliche Initiative wartet, hat die letzte Choleraepidemie in Hamburg gezeigt und zeigt Indien bis heute. Wohlgemerkt ist Indien nicht ärmer, als die meisten Städte Deutschlands es waren, als hier die Wasserinfrastruktur gebaut wurde.
Ein weiteres wichtiges Beispiel für eine gute Entscheidung in der Vergangenheit ist die, kostenlose Schulen und eine allgemeine Schulpflicht einzuführen sowie die staatlichen Schulen mit gut bezahlten Akademikern als Lehrer zu bestücken statt mit Personen, die selbst nur knapp lesen können und gute Noten gegen Hilfe auf dem Feld vergeben. Oder die Entscheidung, gesetzliche Renten bzw. Beamtenpensionen einzuführen und für Menschen, die sich nicht selbst ernähren können, eine Grundsicherung, was einen davon enthebt, für Bestechungsgelder die Hand aufzuhalten oder acht Kinder zu bekommen, um in Krankheit oder Not die Versorgung zu sichern. Und so weiter, und so weiter.
Dieser Staat samt Infrastruktur und Institutionen ist ererbtes und gepflegtes Gemeinschaftseigentum. Deutsche Bürger haben ein viel kleineres mittleres Vermögen als Bürger in südlichen EU-Staaten ohne Grundsicherung wie Italien, Spanien oder Griechenland,8 auch deshalb, weil sie über Generationen mehr in Gemeinschaftseigentum investiert und sich auf die Gemeinschaft statt auf Familie und Vitamin B verlassen haben und verlassen konnten.
Die privatwirtschaftlich-industrielle Wohlstandsmehrung basiert mit auf Nutzung des Gemeinschaftseigentums, beispielsweise Chemiker- und Ingenieursausbildungen an staatlichen Schulen und Universitäten, Verkehrsinfrastruktur, die Sicherheit der Wirtschaft vor der Mafia oder Räuberbanden und teils auch direkter staatlicher Unterstützung der Großindustrie.
Die guten Lebensbedingungen in Deutschland sind also größtenteils ererbt. Sie werden aber nur durch dauernde aktive Beteiligung der jetzigen Bevölkerung und Eliten aufrechterhalten. Oder eben nicht, wie beispielsweise die "Reform" des Rentensystems durch die Schröder-Regierung zeigt, ebenso der Verkauf der Post an Private, während der Staat die Altlasten behielt, oder der Rückzug des Staates aus dem Wohnungsbau, die alle das Gemeinschaftseigentum schwächten.