Freiwillige Überwachung von Medienkonsum

Eine genaue Speicherung und Weitergabe des Nutzerverhaltens soll die Kulturflatrate für Rechteinhaber attraktiver machen

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Beim P2P Media Summit in Los Angeles stellte die Firma Noank letzte Woche eine Technologie vor, die Kulturflatrate-Modelle für die Rechteinhaberindustrie attraktiver machen soll, indem sie genaue Daten über die Nutzung von Werken einholt, anhand derer Einnahmen verteilt werden könnten.

Noack ist eine Spin-Off-Firma des Berkman Center for Internet & Society an der Harvard Universität und geistiges Kind des Juraprofessors Terry Fisher, der sich seit Jahren sehr intensiv mit neuen Vergütungsmodellen beschäftigt. Bei dem von der Firma entwickelten Verfahren, das im letzten Jahr mit dem chinesischen Provider Cyberport getestet wurde, müssen sich zuerst Autoren, Musiker und Rechteinhaber registrieren. Dann werden von ihren Werken sowohl Hashes als auch Audio-Fingerabdrücke angefertigt, womit aber nicht die Häufigkeit von Downloads, sondern die der Nutzung erfasst wird. Unter anderem erkennt das System auch den Abbruch von Abspielvorgängen.

Die damit gewonnenen sehr detaillierten Informationen sind zwar (vor allem in Verbindung mit gesetzlichen Regelungen wie der Vorratsdatenspeicherung) aus Datenschutzsicht hochproblematisch, allerdings soll die Sammlung und Weitergabe für Nutzer freiwillig sein. Bei Noank dachte man nach eigenen Angaben intensiv über dadurch mögliche Ergebnisverzerrungen zu Ungunsten weniger nachgefragter Inhalte nach, kam aber zu dem Schluss, dass der Schutz der Privatsphäre eindeutig überwiegt.

Das liegt nicht zuletzt daran, dass ein Zwangssystem wahrscheinlich kaum Akzeptanz bei Nutzern finden würde: Immerhin waren solche Datenschutzdefizite mit dafür verantwortlich, dass DRM nicht so in den Markt gedrückt werden konnte, wie sich dessen Befürworter das vorstellten. Dafür könnte durch die Freiwilligkeit ein anderer Effekt des Systems die Akzeptanz beim Konsumenten deutlich steigern oder sogar eine Nachfrage nach ihm erzeugen: Mit dem bewussten Weiterleiten oder Nicht-Weiterleiten einer begrenzten Menge an Daten kann der Nutzer nämlich seiner Sympathie oder Antipathie für einen Inhalt oder dessen Schöpfer Ausdruck verleihen kann, wie etwa beim Posten oder Bewerten eines Forumsbeitrags.

Die sehr detaillierten Daten, die wahrscheinlich auch für Marktforschungszwecke hochbegehrt wären, sollen die Rechteinhaberindustrie, die einer Kulturflatrate bisher überwiegend feindlich gegenübersteht, für das Modell begeistern. Bessere Chancen als bei der Filmindustrie sieht der Noank-CTO Devon Copley dabei bei der Musikindustrie, die ein tatsächliches Einnahmeproblem hat und deshalb Innovationen potentiell offener gegenüberstehen sollte.

Tatsächlich gibt es auf Seiten der Musikindustrie bereits erste ganz vorsichtige Schritte in Richtung einer Annäherung: So rief etwa Warner Music im letzten Jahr das Programm Choruss ins Leben, in dessen Rahmen mit US-Universitäten Flatrate-Modelle ausgehandelt werden. Auch die Pläne zur Einführung einer Kulturflatrate im Zwergstaat Isle of Man stießen bisher auf verhältnismäßig geringen Widerstand, was auch als Zeichen dafür gewertet wird, dass die Musikindustrie die Entwicklung der Einnahmen in der Steueroase als Testballon nutzen könnte.

Allerdings würde das Noank-System einen der größten Vorteile einer Kulturflatrate beseitigen: Die Grundversorgung, die für den größten Motivationsanreiz sorgt. Schon seit längerem ist bekannt, dass die klassische Anreiztheorie nur auf einem begrenzten Gebiet so funktioniert, wie Lieschen Müller und das FAZ-Feuilleton sich das vorstellen: Bereits in den 1970er Jahren fasste Kenneth McGraw von der University of Mississippi die Ergebnisse der bis zu diesem Zeitpunkt durchgeführten Motivationsstudien zusammen und kam zu dem überraschenden Ergebnis, dass finanzielle "Anreize" zur Leistungsminderung führen können - vor allem dann, wenn die Leistung komplex ist und/oder schöpferischen Aufwand erfordert.

So kamen beispielsweise Testpersonen, die einen elektrischen Schaltkreis herstellen sollten, den sie nur mittels eines Schraubenziehers schließen konnten, weil die ihnen zur Verfügung gestellten Drähte zu kurz waren, deutlich schneller zum Ziel, wenn ihnen vorher keine Belohnung versprochen wurde.1 Finanzielle Anreize verringerten die Risikobereitschaft und damit auch ungewöhnliche, neue Ansätze. "Extrinsische" Motivation verschlechterte die Ergebnisse bei "heuristischen" - also kreativen - Aufgaben und steigerte die Ergebnisse lediglich bei "algorithmischen" Aufgaben, für die es bereits bekannte Lösungswege gab.2

Es gibt, wie die Harvard-Psychologin Teresa Amabile später herausfand, allerdings noch eine Ausnahme von der Ausnahme: Wenn die finanzielle Belohnung die Durchführung der kreativen Aufgabe erst möglich macht, fördert sie ein besseres Gesamtergebnis. Darüber hinausgehende Belohnungsanreize verschlechtern das Ergebnis jedoch wieder.3 Eine adäquate Umsetzung dieser Ergebnisse wäre also beispielsweise eine Künstlergrundsicherung, nicht aber ein System, das sehr wenigen Menschen sehr hohe "Belohnungen" bietet, der großen Masse aber zu wenig für ein Auskommen ohne Zusatzarbeit.

Solch eine Künstlergrundsicherung könnte wiederum mit der Verwaltung der Kulturflatrate-Einnahmen durch eine Künstlersozialkasse beginnen, die daraus Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge bestreitet und so für soziale Sicherheit für alle hauptberuflich schöpferisch Tätigen sorgt. Im Nachteil wären bei diesem Modell allerdings jene Institutionen, die im vordigitalen Zeitalter für die nun selbständig laufende Verbreitung von Inhalten sorgten, weshalb von dieser Seite bisher auch der stärkste Widerstand gegen entsprechende Lösungen kam.