Freudsche Zustände

Seite 3: Das gesellschaftliche Unterbewusste

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Entscheidend für das Verständnis dieses breiten Unwillens, sich mit dem realen gesellschaftlichen Fetischismus auseinanderzusetzen, ist der Begriff des Unbewussten, wie der von dem Krisenthoretiker Robert Kurz in Ablehnung an Freud und in Weiterführung der marxschen Fetischismustheorie geformt wurde. Die begriffliche Leere im bürgerlichen Bewusstsein, die in der Nähe der fetischistischen Tabuzonen einsetzt, sie gerinnt zu einer Art gesellschaftlichen Unbewussten, wie Kurz in seinem berühmten Text "Subjektlose Herrschaft" ausführte:

Der entscheidende Punkt ist, daß es eine Ebene innerhalb der menschlich-gesellschaftlichen Konstitution und somit auch innerhalb jedes einzelnen Menschen geben muß, die jenseits des Subjekt-Objekt Dualismus liegt. Für das Aufklärungsbewußtsein gibt es entweder Subjekt (Bewußtsein) oder Objekt, jedoch kein Drittes. Der Schlüsselbegriff für das Verständnis des »Dritten« und eigentlich Konstitutiven kann nur der Begriff des Unbewußten sein. Zweifellos ist es das theoretische Verdienst von Freud, diesen Begriff systematisch eingeführt zu haben. ... Für das aufklärerische Subjektdenken war die Freudsche Theorie von Anfang an ein Ärgernis gewesen, weil der Begriff des Unbewußten keineswegs zu Unrecht als Frontalangriff auf die eigenen Grundlagen empfunden wurde; die Destruktion des strahlenden und zur Mündigkeit gelangten Subjekts der Moderne als eines von unbewußten (noch dazu sexuellen) Trieben gesteuerten, selbst-unbewußten Wesens mußte als unerträglich erscheinen.

Robert Kurz

Dass kapitalistische Gesellschaft mehr als die Summe ihrer Teile ist, dass das, was ist, nicht alles ist, wie es Adorno in der Negativen Dialektik formulierte ("Nur wenn, was ist, sich ändern läßt, ist das, was ist, nicht alles.") - dieses fetischistische Dritte wird ins gesellschaftliche Unbewusste verdrängt. Es prägt, ja es determiniert den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess, ohne von den Gesellschaftsmitgliedern bewusst wahrgenommen zu werden.

Die heftige Abwehr des freudschen Begriffes des Unbewussten durch das Aufklärungsbewusstsein, das die Insassen der spätkapitalistischen Tretmühle als "strahlende und zur Mündigkeit gelangte" Subjekte halluziniert, obwohl sie unbewusst ihre Ohnmacht alltäglich durchleiden, deutet auch auf die tiefsitzenden, ins pathogene abdriftenden psychischen Barrieren, sich eben dieser Ohnmacht zu stellen.

Freud selber sprach im Zusammenhang mit der breiten Ablehnung, ja mit dem Hass, auf den sein Begriff des Unbewussten traf - und immer noch trifft - von einer narzisstischen Kränkung der Menschheit, die diese von der Psychoanalyse erfahren habe.

Kränkungen

In seiner 1917 publizierten Schrift "Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse" führte Freud aus, "dass der allgemeine Narzißmus, die Eigenliebe der Menschheit, bis jetzt drei schwere Kränkungen von Seiten der wissenschaftlichen Forschung erfahren" habe. Kopernikus habe der Menschheit eine kosmologische Kränkung zugefügt, indem er klar machte, dass diese sich nicht im Mittelpunkt des Weltalls befinde. Charles Darvin sei für die biologische Kränkung des Menschen verantwortlich, da dieser laut Evolutionstheorie "nichts anderes und nichts besseres" sei "als die Tiere, er ist selbst aus der Tierreihe hervorgegangen".

Die Psychoanalyse wieder habe dem Menschen - und hier tatsächlich dem Aufklärungsdenken - die empfindlichste, psychologische Kränkung zugefügt, indem sie diesen als ein von unbewussten Triebregungen getriebenes Wesen darstellte, das von inneren Konflikten zwischen den unbewussten Triebkräften des ES und dem durch Erziehung leidvoll aufgerichteten Über-Ich zerrissen sei, zwischen denen das Ich als Vermittlerinstanz fungiere:

"Aber die beiden Aufklärungen, dass das Triebleben der Sexualität in uns nicht voll zu bändigen ist, und dass die seelischen Vorgänge an sich unbewußt sind und nur durch eine unvollständige und unzuverlässige Wahrnehmung dem Ich zugänglich und ihm unterworfen werden, kommen der Behauptung gleich, dass das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus. Sie stellen miteinander die dritte Kränkung der Eigenliebe dar, die ich die psychologische nennen möchte. Kein Wunder daher, dass das Ich der Psychoanalyse nicht seine Gunst zuwendet und ihr hartnäckig den Glauben verweigert."

Der Bürger ist nicht Herr in seinem gesellschaftlichen Haus

Auch wenn Freud selber immer wieder in schlechter bürgerlicher Tradition dazu tendierte, die spezifisch kapitalistischen Widersprüche, die auch ihren Niederschlag im Seelenleben der kapitalistischen Menschen finden, zu biologischen Konstanten des Menschen schlechthin zu ideologisieren, so ist dieser Erklärungsansatz doch entscheidend: nicht zur Klärung des menschlichen Wesens schlechthin, sondern zur Aufklärung über den Zustand des Menschen unterm Kapital.

Freud machte somit klar, dass das selbstherrliche kapitalistische Subjekt, dass der aufgeklärte Bürger nicht Herr in seinem inneren Haus sei. Der Marxsche Fetischismusbegriff, wie er von der Wertkritik geprägt wurde, fügt der Menschheit eine weitere, sozusagen soziologische Kränkung, hinzu. Der Bürger ist auch nicht Herr in seinem gesellschaftlichen Haus.

Auch hier ist der Mensch Getriebener einer gesellschaftlich-unbewussten Eigendynamik uferloser Kapitalverwertung, deren Widersprüche und Folgen naturalisiert werden. Diese abermalige Kränkung des menschlichen Narzissmus durch die Wertkritik stellt somit die stärkste, unbewusste Triebkraft bei der Abwehr ihrer theoretischen Erkenntnisse dar.

Dabei geht es bei der Auseinandersetzung mit dem sehr realen Fetischismus nicht um die passive, resignative Hinnahme des Gegebenen, wie es etwa der Strukturalismus und die Systemtheorie eines Niklas Luhmann mit ihrem Begriff des selbstreferentiellen Systems predigt.

Denn das ist es ja eigentlich, was rechte Ideologie exekutiert: Umgekehrte Psychoanalyse

Im Gegenteil, erst das Bewusstmachen des Unbewussten, erst das bewusste Begreifen des fetischistischen Zustandes der Gesellschaft kann eine Möglichkeit der Emanzipation schaffen. Das unbewusst Erahnte, es muss der bewussten Reflektion zugeführt werden, sollte sich jemals eine Chance eröffnen, die vermittelten Formen subjektloser Herrschaft im Spätkapitalismus emanzipatorisch aufzuheben. Angesichts der eskalierenden Krisendynamik ist dies eine conditio sine qua non des Zivilisationsprozesses.

Ansonsten droht in Wechselwirkung mit weiteren Krisenschüben das Abdriften in die Politpathologien des Rechtspopulismus und Rechtsextremismus, wie sie sich in dem irren Treiben der hysterischen Forentroll-Armeen bereits überdeutlich manifestieren. Denn das ist es ja eigentlich, was rechte Ideologie exekutiert: Umgekehrte Psychoanalyse.