Front-Desaster: Das stille Gemetzel an der ukrainischen Jugend
Westliche Militärs warnen vor Blutbad bei der Gegenoffensive. Doch die politischen Hardliner der Nato-Verbündeten schweigen über "Selbstmordmission". Was nottut.
Als die Ukraine sich auf den Start ihrer immer wieder angekündigten, aber lange verzögerten Gegenoffensive vorbereitete, veröffentlichten Medien das Foto eines ukrainischen Soldaten mit dem Finger auf den Lippen, was die Notwendigkeit der Geheimhaltung symbolisierte, um ein gewisses Überraschungsmoment für die Operation zu bewahren.
Jetzt, da die Offensive seit zwei Wochen läuft, ist klar, dass die ukrainische Regierung und ihre westlichen Partner aus einem ganz anderen Grund schweigen: Sie wollen den brutalen Preis verschleiern, den die tapfere ukrainische Jugend für die Rückeroberung eines kleinen Stückchens Territorium von den russischen Besatzungstruppen zahlt, was manche bereits als Selbstmordmission bezeichnen.
Westliche Experten sprechen in den ersten zwei Wochen, die die Kämpfe stattfinden, von "Vorbereitungsoperationen", um Schwachstellen in der russischen Verteidigung zu finden, die Russland seit 2022 verstärkt hat, mit mehreren Schichten von Minenfeldern, Anti-Panzer-"Drachenzähnen" und Panzerfallen, stationierter Artillerie sowie Angriffshubschraubern, die auf keine Gegenwehr aus der Luft stoßen und zwölf Panzerabwehrraketen pro Stück abfeuern können.
Auf Anraten der britischen Militärberater in Kiew hat die Ukraine westliche Panzer und gepanzerte Fahrzeuge, die mit von der Nato ausgebildeten Truppen besetzt sind, ohne Luftunterstützung oder Minenräumung in diese Schlachtfelder geworfen. Das Ergebnis war wie zu erwarten katastrophal, und es ist jetzt klar, dass es sich nicht nur um "Vorbereitungsoperationen" handelt, wie die Propaganda anfangs behauptete, sondern um die lang erwartete Hauptoffensive.
Ein westlicher Regierungsvertreter mit Zugang zu Geheimdienstinformationen sagte der Associated Press am 14. Juni:
In fast allen Sektoren der Front wird jetzt heftig gekämpft. ... Das ist viel mehr als nur eine Vorbereitung. Es handelt sich um großangelegtes Vorrücken von Panzern und schwerem Gerät in die russische Sicherheitszone.
Stück für Stück tritt die Realität hinter der Propaganda hervor. Auf einer Pressekonferenz im Anschluss an ein Gipfeltreffen im Nato-Hauptquartier warnte US-General Mark Milley, dass die Offensive langwierig, gewaltsam und kostspielig für die Ukrainer sein werde.
"Dies ist ein sehr schwieriger Kampf. Es ist ein Kampf, der viel Gewalt beinhaltet, und er wird wahrscheinlich viel Zeit in Anspruch nehmen und hohe Kosten verursachen", sagte Milley.
Russische Videos zeigen Dutzende von ukrainischen Panzern und gepanzerten Fahrzeugen, die in Minenfeldern zerschmettert liegen. Nato-Militärberater in der Ukraine haben bestätigt, dass die Ukraine in einer einzigen Nacht am 8. Juni 38 Panzer verloren hat, darunter auch neu gelieferte Leopard II aus deutscher Produktion.
Rob Lee vom Foreign Policy Research Institute erklärte gegenüber der New York Times, dass die Russen versuchen, in den Gebieten vor ihren Hauptverteidigungslinien dem Gegner hohe Verluste abzufordern und so viele Fahrzeuge wie möglich zu zerstören, um diese Gebiete in tödliche Zonen zu verwandeln.
Wenn diese Strategie aufgeht, werden die ukrainischen Streitkräfte, die die russischen Hauptverteidigungslinien erreichen, zu geschwächt und dezimiert sein, um durchzubrechen und ihr Ziel zu erreichen, die russische Landbrücke zwischen dem Donbass und der Krim zu unterbrechen.
Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums haben die ukrainischen Streitkräfte in den ersten zehn Tagen der Offensive 7.500 Soldaten verloren. Wenn die tatsächlichen Verluste der Ukraine nur einen Bruchteil davon ausmachen sollten, wird das lange, gewaltsame Blutbad, von dem General Milley ausgeht, die neuen Panzerbrigaden, die die Nato bewaffnet und ausgebildet hat, zerstören und den blutigen Zermürbungskrieg, der Mariupol, Sjewjerodonezk und Bachmut dem Erdboden gleich machte sowie Hunderttausende junger Ukrainer und Russen tötete und verwundete, nur noch weiter eskalieren lassen.
Ein ranghoher europäischer Militäroffizier in der Ukraine lieferte der Asia Times weitere Einzelheiten des Gemetzels und nannte die Operationen der Ukraine vom 8. und 9. Juni ein "Selbstmordkommando", das gegen die grundlegenden Regeln der Militärtaktik verstoße.
Wir haben versucht, ihnen zu sagen, dass sie mit dieser kleinteiligen Taktik aufhören, einen Hauptstoß mit Infanterieunterstützung ins Auge nehmen und alles unternehmen sollen, was ihnen möglich ist. Sie wurden von den Briten ausgebildet und spielen die "Leichte Brigade".
Der Militäroffizier verglich die Offensive mit einem selbstmörderischen Angriff auf russisches Kanonenfeuer, das die britische Leichte Kavalleriebrigade 1854 auf der Krim auslöschte.
Wenn die ukrainische "Frühjahrsoffensive" bis zum bitteren Ende andauert, könnte sie eher mit der britischen und französischen Somme-Offensive vergleichbar sein, die 1916 in der Nähe des Flusses Somme stattfand. Nachdem am ersten Tag 19.240 britische Soldaten gefallen waren (darunter auch der zwanzigjährige Großonkel von Artikelautor Nicolas J.S. Davies, Robert Masterman), dauerte die Schlacht mehr als vier Monate und forderte über eine Million britische, französische und deutsche Opfer.
Die Offensive wurde schließlich abgebrochen, nachdem sie nur sechs Meilen vorgedrungen war und keine der beiden kleinen französischen Städte, die ihr ursprüngliches Ziel waren, einnehmen konnte.
Hardliner übernehmen in den USA
Die derzeitige Militäroffensive ist monatelang verzögert worden, da die Ukraine und ihre Verbündeten sich mit einem wahrscheinlichen Resultat auseinandersetzen mussten, das nun auch Realität geworden ist. Die Tatsache, dass die Offensive trotzdem durchgeführt wurde, zeigt den moralischen Bankrott der politisch Verantwortlichen in den USA und der Nato, die die Jugend der Ukraine in einem Stellvertreterkrieg opfern, in den sie ihre eigenen Kinder und Enkel nicht schicken würden.
Während die Ukraine ihre Offensive startet, führt die Nato vom 12. bis 23. Juni mit Air Defender die größte Militärübung ihrer Geschichte durch. 250 Kampfflugzeuge, darunter auch F-35, die mit Atomwaffen bestückt werden können, fliegen von deutschen Stützpunkten aus, um Kampfeinsätze in und über Deutschland, Litauen, Rumänien, der Nord- und Ostsee zu simulieren. Die Übung hat zu mindestens 15 Zwischenfällen zwischen Nato- und russischen Flugzeugen im Luftraum über Litauen geführt.
Offenbar ist in der Festung der Nato in Brüssel, die wie ein Menetekel wirkt, noch niemand über das Konzept des "Sicherheitsdilemmas" gestolpert, bei dem vorgeblich defensive Maßnahmen einer Partei von der anderen als offensive Bedrohung wahrgenommen werden und zu einer Spirale der gegenseitigen Eskalation führen, wie es seit den 1990er-Jahren zwischen der Nato und Russland der Fall ist. Der Professor für russische Geschichte, Richard Sakwa, bringt es so auf den Punkt: "Die Nato existiert, um die Risiken zu bewältigen, die durch ihre Existenz entstehen".
Diese Risiken werden auf dem bevorstehenden Nato-Gipfel in Vilnius am 11. und 12. Juli sichtbar werden. Die Ukraine und ihre östlichen Verbündeten drängen auf eine Mitgliedschaft der Ukraine, während die USA und Westeuropa darauf bestehen, dass eine Mitgliedschaft nicht angeboten werden kann, solange der Krieg andauert. Sie offerieren stattdessen einen "aufgewerteten" Status und einen kürzeren Weg zur Mitgliedschaft, sobald der Krieg beendet ist.
Das weitere Beharren darauf, dass die Ukraine eines Tages Mitglied der Nato sein wird, bedeutet nur die Verlängerung des Konflikts, da es eine rote Linie darstellt, die nach russischer Auffassung nicht überschritten werden darf. Deshalb sind Verhandlungen, die zu einer neutralen Ukraine führen, der Schlüssel zur Beendigung des Krieges.
Aber die Vereinigten Staaten werden dem nicht zustimmen, solange Präsident Joe Biden die Ukraine-Politik der USA komplett unter die Kontrolle von Hardliner-Schreibtischtätern wie Antony Blinken und Victoria Nuland im Außenministerium und dem Nationalen Sicherheitsberaters Jake Sullivan im Weißen Haus stellt. Druck zur weiteren Eskalation in Sachen US-Beteiligung am Krieg kommt auch aus dem Kongress, wo die Republikaner Biden vorwerfen, er "zaudere", anstatt "alles zu tun", um der Ukraine zu helfen.
Paradoxerweise sind das Pentagon und die Geheimdienste realistischer als ihre zivilen Kollegen, was das Fehlen einer militärischen Lösung angeht. Der Vorsitzende des Generalstabs der US-Streitkräfte, General Milley, hat zur Diplomatie aufgerufen, um der Ukraine Frieden zu bringen. US-Geheimdienstquellen haben die allgemein verbreitete, aber falsche Darstellung des Krieges in Leaks an Newsweek und Seymour Hersh infrage gestellt. So wurde Hersh mitgeteilt, dass die Neocons und Hardliner die Geheimdienstinformationen ignorieren und ihre eigenen erfinden, genau wie sie es damals getan haben, um die Invasion in den Irak im Jahr 2003 zu rechtfertigen.
Mit dem Rücktritt der stellvertretenden US-Außenministerin Wendy Sherman verliert das Außenamt die Stimme einer professionellen Diplomatin, die Präsident Barack Obamas Chefunterhändlerin für das JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action) mit dem Iran war. Sie drängte Biden dazu, dem Abkommen wieder beizutreten und unternahm Schritte, um die Brinkmanship-Strategie, die Politik der Drohungen der USA gegenüber China, zu mäßigen. Während sie öffentlich zur Ukraine schwieg, war Sherman eine Stimme der Diplomatie im Hintergrund in einer kriegslüsternen Regierung.
Viele befürchten, dass Shermans Posten nun an Victoria Nuland gehen wird, die in den letzten zehn Jahren die Hauptverantwortung für die sich immer weiter zuspitzende Katastrophe in der Ukraine trägt und als Unterstaatssekretärin für politische Angelegenheiten bereits die Nummer drei oder vier im Außenministerium ist.
Weitere Wechsel in den Führungsetagen des Außenministeriums und des Pentagons werden den Neokonservativen wahrscheinlich noch mehr Einfluss geben. Colin Kahl, der Unterstaatssekretär für Politik, der mit Sherman am JCPOA gearbeitet hat, sprach sich gegen die Entsendung von F-16-Kampfflugzeugen an die Ukraine aus und vertritt die Position, dass China in naher Zukunft nicht in Taiwan einmarschieren werde.
Kahl verlässt das Pentagon, um in seine Position als Professor in Stanford zurückzukehren. Gleichzeitig ersetzt der China-Falke General C.Q. Brown General Milley als Vorsitzender des Generalstabs der Streitkräfte, wenn Milley im September in den Ruhestand geht.
In der Zwischenzeit drängen andere Staats- und Regierungschefs weiter auf Friedensgespräche. Eine Delegation afrikanischer Staatsoberhäupter unter Leitung des südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa traf am 17. Juni in Kiew mit Präsident Wolodymyr Selenskyj und in Moskau mit Präsident Wladimir Putin zusammen, um den afrikanischen Friedensplan für die Ukraine zu erörtern.
Präsident Putin zeigte den afrikanischen Staatsoberhäuptern das 18-Punkte-Abkommen von Istanbul, das ein ukrainischer Vertreter im März 2022 unterzeichnet hatte. Er erklärte ihnen, dass die Ukraine es in den "Mülleimer der Geschichte" geworfen habe, nachdem der inzwischen in Ungnade gefallene Boris Johnson Selenskyj gesagt hatte, der "kollektive Westen" würde die Ukraine nur unterstützen, um zu kämpfen, nicht um mit Russland zu verhandeln.
Die katastrophalen Folgen der ersten beiden Wochen der ukrainischen Offensive sollten die Aufmerksamkeit der Welt auf die Dringlichkeit und Notwendigkeit eines Waffenstillstands lenken, um das tägliche Abschlachten und Zermalmen Hunderter tapferer junger Ukrainer zu beenden, die gezwungen sind, durch Minenfelder und Todeszonen in vom Westen geschenkten Fahrzeugen zu fahren, die sich als nichts anderes als von den USA und der Nato bereitgestellte Todesfallen erweisen.
Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Online-Magazin Common Dreams. Dort findet er sich im englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.
Medea Benjamin ist die Mitbegründerin von CODEPINK und der Menschenrechtsgruppe Global Exchange. Seit mehr als 40 Jahren setzt sie sich für soziale Gerechtigkeit ein. Sie ist Autorin von zehn Büchern, darunter "Drone Warfare: Killing by Remote Control", "Kingdom of the Unjust: Behind the US-Saudi Connection" und "Inside Iran: The Real History and Politics of the Islamic Republic of Iran". Ihre Artikel erscheinen regelmäßig in Zeitungen wie Znet, The Guardian, The Huffington Post, CommonDreams, Alternet und The Hill.
Nicolas J. S. Davies recherchiert für "CODEPINK: Women for Peace" und ist Buchautor, u.a. von "Blood On Our Hands: the American Invasion and Destruction of Iraq. Zusammen mit Medea Benjamin hat er gerade "War in Ukraine: Making Sense of a Senseless Conflict" veröffentlicht.