Frontex außer Kontrolle
Illegale Pushbacks von Flüchtlingen konnten bislang nicht gestoppt werden. Das liegt auch an der mangelnden Kontrolle der Grenzschutzagentur
Seit geraumer Zeit mehren sich die Vorwürfe über mögliches Fehlverhalten der europäischen Grenzschutzagentur Frontex. Im Zentrum der Kritik stehen vor allem die völkerrechtswidrigen Pushbacks (Wo bleibt die Luftbrücke für gestrandete Flüchtlinge?). Angesichts der neusten Berichte erscheint eine strengere Kontrolle über die Aktivitäten von Frontex unabdingbar.
Im Schatten der Corona-Pandemie gehen die Menschenrechtsverletzungen an den europäischen Außengrenzen ungehindert weiter. An die stetigen Berichte über das herrschende Elend in Flüchtlingscamps, etwa in Bosnien oder Griechenland, scheint man sich ohnehin längst gewöhnt zu haben. Bei vielen scheint das bereits zu einer gewissen Gleichgültigkeit geführt zu haben. Doch systematische Menschenrechtsverletzungen, die mittlerweile zum Alltag an den europäischen Außengrenzen gehören, sollten uns alle etwas angehen (Keine Waffen für Frontex).
Wiederkehrende Kritik provoziert die Frontex. Erst im Dezember vergangenen Jahres wurde ein Video veröffentlicht, dass solch ein gewaltsames Rückdrängen durch die griechische Küstenwache dokumentiert. Es kursieren viele Videos dieser Art, die sich oftmals nicht eindeutig verifizieren lassen. Allerdings deckt sich der Inhalt mit zahlreichen Augenzeugenberichten von Geflüchteten, Berichten von Journalisten und Nichtregierungsorganisationen (Sea-Eye: "Wir brauchen einfach viel mehr Rettungsschiffe").
Die Zahl der illegalen Pushbacks hat laut Mitarbeitern des UN-Flüchtlingshilfswerks in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Problematisch ist diese rechtswidrige Praxis, weil nach dem völkerrechtlichen Prinzip der Nichtzurückweisung (Non-Refoulment) jeder Mensch das Recht hat, in einem anderen Staat Zuflucht vor Menschenrechtsverletzungen zu finden, indem ein Asylantrag gestellt werden kann.
Kritik von UN-Menschenrechtlern
Wer vorher allerdings unrechtmäßig abgeschoben wird, kann auch keinen Asylantrag stellen. Erst nach einem gescheiterten Asylverfahren darf abgeschoben werden. Da verwundert es kaum, dass sich die kritischen Stimmen mehren, die Frontex vorwerfen, die Pushbacks an den Außengrenzen zu tolerieren und nicht zu verhindern.
Das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge erklärte jüngst, dass sich Berichte über Staaten mehren, die den Zugang zu Asyl einschränken und Menschen zurückdrängen, nachdem sie bereits deren Hoheitsgebiet oder Hoheitsgewässer erreicht haben.
Die stellvertretende UN-Flüchtlingshochkommissarin Gillian Triggs mahnte diesbezüglich: "Das Recht, Asyl zu suchen, ist ein grundlegendes Menschenrecht." Darüber hinaus machte sie deutlich, dass die Behörden ihrer Pflicht zwingend nachkommen müssen, eine individuelle Prüfung des Schutzbedarfs vorzunehmen.
Die jüngsten Vorfälle haben mitunter dazu geführt, dass sich Frontex-Chef Fabrice Leggerie in Anhörungen den Vorwürfen stellen musste. Diese konnte er nicht glaubhaft entkräften. Auch ein interner Frontext-Bericht konnte nicht zur Aufklärung beitragen.
Neben den Vorwürfen über Pushbacks stehen auch die Ermittlungen der EU-Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF gegen Frontex wegen Belästigung und Fehlverhalten im Raum. In dieser Gemengelage scheinen sich die Vorbehalte gegenüber Frontex nur zu verstärken.
Wie wirksam sind bestehende Kontrollmechanismen?
Um diese Vorbehalte nachhaltig aus dem Weg zu räumen, bräuchte es effiziente Kontrollmechanismen der Behörde. Eine solche Kontrolle gibt es zwar bereits, sie obliegt dem Frontex-Verwaltungsrat. Allerdings stellt sich die Frage, wie effektiv so eine interne Kontrolle durch den Verwaltungsrat sein kann.
Denn Fakt ist, dass das Kontrollgremium hauptsächlich aus den Mitgliedsstaaten entsandten Leitern ihrer Grenzschutzbehörden beziehungsweise ihrer Innenminister besteht. Und auf deren Agenda steht vornehmlich die Sicherung der Grenzen ganz weit oben.
Kritische Beobachter fordern daher schon seit geraumer Zeit mehr Aufklärung und Kontrolle von unabhängigen Instanzen. Diesbezüglich könnte die Einbindung des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres im Europäischen Parlament in die Kontrolle der Aktivitäten von Frontex ein geeignetes Mittel sein, um eine wirksame parlamentarische und demokratische Kontrolle herzustellen. Gleichzeitig dürfen die bestehenden Kontrollmechanismen, wie etwa das Amt der Grundrechtebeauftragten nicht weiter außer Acht gelassen werden.
Die Stelle ist im Verhältnis zum Gesamtbudget von Frontex (460 Millionen Euro) mit gerade einmal einer Million Euro erheblich unterfinanziert. Auch die zugesagte Aufstockung der Stellen auf 40 Grundrechte-Beobachter hat seit 2019 de facto nicht stattgefunden.
Europarlament setzt Arbeitsgruppe ein
Nachdem die internen Untersuchungen die Vorwürfe hinsichtlich der Verwicklung in Pushbacks nur unzureichend aufgeklärt wurden, hat der Verwaltungsrat dem Frontex-Direktor Leggeri aufgefordert, alle nötigen Informationen bis Ende Februar nachzureichen. Auch EU-Innenkommissarin Ylva Johansson machte klar, dass eine schnelle Aufklärung vonnöten ist: "Es ist eine riesige Verantwortung und es viele Aufgaben, die jetzt auf den Schultern des Direktors und des Verwaltungsrats lasten. Ich erwarte vom Verwaltungsrat und dem Direktor, dass sie die Themen angehen." Parallel dazu soll nun eine neu geschaffene Arbeitsgruppe, unterstützt durch Christ- und Sozialdemokraten, Liberale, Grüne und Linke, im Europaparlament die Aufklärung vorantreiben.
Geplant ist, dass je zwei Mitglieder aus den Fraktionen zu wöchentlichen Treffen zusammenkommen, um das Mandat und die Vorgehensweise von Frontex zu überprüfen. Im Fokus soll maßgeblich die Einhaltung der Menschenrechte stehen.
Konkret werden sich dabei die Vorwürfe zu den Handlungen von Frontex angeschaut und Interviews mit Mitarbeitern von Frontex, sowie Journalisten und Nichtregierungsorganisationen geführt. Viele Abgeordneten pochen auf eine dauerhafte Überwachung der Arbeit von Frontex, die zukünftigen Verstößen gegen Menschenrechte und Rechtstaatlichkeit vorbeugen soll.