Frühe Erinnerungen: Nicht verloren, nur versteckt

Eine alte Frau, nur ihre Hand ist zu sehen, Blätter artet eine Album durch, da drin Fotos eines Babys in schwarz-weiß

Bild: Candy Candy/ Shutterstock.com

Warum fehlen uns die ersten Lebensjahre? Lange dachten Forscher, kleine Kinder könnten noch keine Erinnerungen speichern. doch Bilder sind da! Es gibt nur ein Problem.

Warum können wir uns als Erwachsene nicht an Ereignisse aus unserer frühesten Kindheit erinnern, obwohl wir in den ersten Lebensjahren so viel lernen? Dieser Frage sind Forscher der Yale University in einer neuen Studie nachgegangen, berichtete die Universität.

Bisher glaubten Wissenschaftler, dass wir diese frühen Erfahrungen nicht speichern können, da der Hippocampus – jener Teil des Gehirns, der für das Abspeichern von Erinnerungen verantwortlich ist – sich noch bis weit in die Pubertät hinein entwickelt. Daher seien Säuglinge und Kleinkinder in den ersten Lebensjahren nicht in der Lage, Erinnerungen zu behalten. Doch die neue Forschung liefert Hinweise darauf, dass dies nicht der Fall ist.

In der Studie zeigten die Forscher Säuglingen neue Bilder und testeten später, ob sie sich an diese erinnerten. War der Hippocampus eines Babys beim ersten Betrachten eines Bildes aktiver, war es später mit höherer Wahrscheinlichkeit in der Lage, dieses Bild wiederzuerkennen.

Die in der Fachzeitschrift Science veröffentlichten Ergebnisse deuten darauf hin, dass Erinnerungen sehr wohl schon in unseren ersten Lebensjahren in unserem Gehirn kodiert werden können. Die Forscher untersuchen nun, was im Laufe der Zeit mit diesen Erinnerungen geschieht.

Infantile Amnesie

Das Phänomen, dass wir uns als Erwachsene nicht an spezifische Ereignisse aus den ersten Lebensjahren erinnern können, wird als "infantile Amnesie" bezeichnet. Die Untersuchung dieses Phänomens ist jedoch eine Herausforderung, erklärt Nick Turk-Browne, Professor für Psychologie an der Yale University und Leiter der Studie:

"Das Kennzeichen dieser Art von Erinnerungen, die wir als episodische Erinnerungen bezeichnen, ist, dass man sie anderen beschreiben kann. Dies ist jedoch bei vorsprachlichen Säuglingen nicht möglich."

Suche nach belastbare Methode

Für die Studie wollten die Forscher eine belastbare Methode finden, um das episodische Gedächtnis von Säuglingen zu testen. Das von damit betraute Team zeigte Säuglingen im Alter von vier Monaten bis zwei Jahren Bilder von neuen Gesichtern, Objekten oder Szenen. Später, nachdem die Säuglinge mehrere andere Bilder gesehen hatten, zeigten die Forscher ihnen ein zuvor gesehenes Bild neben einem neuen.

Das konkrete Vorgehen

"Wenn Babys etwas schon einmal gesehen haben, erwarten wir, dass sie es länger anschauen, wenn sie es erneut sehen", so Turk-Browne. "Wenn ein Säugling das zuvor gesehene Bild länger anstarrt als das daneben liegende neue Bild, kann dies als Wiedererkennen interpretiert werden."

Gehirne untersucht

Das Forscherteam, das in den vergangenen zehn Jahren Methoden für die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) mit wachen Säuglingen entwickelt hat, maß die Aktivität im Hippocampus der Babys, während diese die Bilder betrachteten. Dabei wurde untersucht, ob die Aktivität mit der Stärke der Erinnerungen zusammenhing.

Erkennbare Unterschiede

Es zeigte sich: Je größer die Aktivität im Hippocampus war, als ein Säugling ein neues Bild betrachtete, desto länger schaute er es später an, wenn es wieder auftauchte. Der hintere Teil des Hippocampus, in dem die Kodierungsaktivität am stärksten war, ist derselbe Bereich, der auch bei Erwachsenen am stärksten mit dem episodischen Gedächtnis in Verbindung gebracht wird.

Erste Erkenntnisse

Diese Ergebnisse trafen zwar auf die gesamte Stichprobe von 26 Säuglingen zu, waren aber bei den über zwölf Monate alten Babys (der Hälfte der Stichprobe) am stärksten ausgeprägt. Dieser Alterseffekt trägt zu einer vollständigeren Theorie darüber bei, wie sich der Hippocampus entwickelt, um Lernen und Gedächtnis zu unterstützen, so Turk-Browne.

In früheren Studien fand das Forscherteam heraus, dass der Hippocampus von Säuglingen bereits ab einem Alter von drei Monaten eine andere Art von Gedächtnis, das "statistische Lernen", zeigte. Während das episodische Gedächtnis spezifische Ereignisse betrifft, geht es beim statistischen Lernen darum, Muster über Ereignisse hinweg zu extrahieren.

Zwei Arten von Erinnerung

Diese beiden Arten von Erinnerungen nutzen unterschiedliche neuronale Pfade im Hippocampus. In früheren Tierstudien haben Forscher gezeigt, dass sich der Pfad des statistischen Lernens früher entwickelt als der des episodischen Gedächtnisses. Turk-Browne vermutete daher, dass das episodische Gedächtnis später in der Kindheit, etwa ab einem Jahr, auftritt. Er argumentiert, dass diese Entwicklungsabfolge im Hinblick auf die Bedürfnisse von Säuglingen sinnvoll ist:

"Beim statistischen Lernen geht es darum, die Struktur der Welt um uns herum zu erfassen. Dies ist für die Entwicklung von Sprache, Sehen, Konzepten und vielem mehr von entscheidender Bedeutung. Es ist also verständlich, warum das statistische Lernen früher zum Tragen kommen kann als das episodische Gedächtnis."

Erinnerungen früher als angenommen

Die neueste Studie des Forscherteams zeigt dennoch, dass episodische Erinnerungen vom Hippocampus früher als bisher angenommen kodiert werden können – lange bevor wir als Erwachsene die frühesten Erinnerungen abrufen können. Was passiert also mit diesen Erinnerungen?

Das Geheimnis der Erinnerungsbildung ist aber noch komplexer, zeigen auch Erkenntnisse eines Neurowissenschaftler-Teams der New York University in einer im September 2022 in PNAS publizierten Studie. Langzeiterinnerungen hängen demnach nicht nur von der Wiederholung von Ereignissen ab, sondern auch von einem komplexen neurologischen Lernprozess, der diese Erinnerungen dauerhaft macht.

Erkenntnisse 2022 in anderer Studie

So haben die Forscher in Experimenten mit Meeresschnecken herausgefunden, dass Nervenzellen nicht nur Wiederholungen wahrnehmen, sondern auch die Reihenfolge der Reize.

Sie nutzen diese Informationen, um zwischen verschiedenen Ereignismustern zu unterscheiden und Erinnerungen aufzubauen. Entscheidend ist dabei das fein abgestimmte Zusammenspiel von Molekülen, die die Erinnerungsbildung fördern oder hemmen. Erst wenn die gedächtnisfördernden Prozesse überwiegen, kann eine bleibende Erinnerung entstehen.