Für Frieden in der Ukraine: USA können mit China zusammenarbeiten

Seite 2: Ist Washington bereit, Beijing eine größere Rolle in der Ukraine einzuräumen?

Wenn die Ukrainer eine schwere Niederlage mit hohen Verlusten erleiden und Russland erfolgreich zum Gegenangriff übergeht, dann wird ein Waffenstillstand dringend notwendig, um die Ukraine vor weiteren Gebietsverlusten zu bewahren. Ist die Regierung bereit, auch unter noch schlimmeren Umständen mit China zusammenzuarbeiten?

Eine zweite Schwierigkeit besteht darin, ob die US-Regierung bereit ist, harte und unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Blinken und andere Regierungsvertreter haben sich sehr unklar über die Friedensbedingungen geäußert, die sie zu befürworten oder zu akzeptieren bereit wären.

Das kann eine kreative Zweideutigkeit sein – oder es spiegelt Ambivalenz und Unentschlossenheit wider. Wenn letzteres der Fall ist, dürfte es in Beijing kein großes Vertrauen erwecken.

Das gilt vor allem für die territorialen Fragen. Einerseits hat die Biden-Regierung wiederholt erklärt, dass die Friedensbedingungen allein Sache der Ukraine sind – und die ukrainische Regierung hat wiederholt erklärt, dass die Rückgabe aller Gebiete, die die Ukraine seit 2014 verloren hat (einschließlich der Krim), "nicht verhandelbar" ist.

Das bedeutet, dass eine Friedensregelung nicht ausgehandelt werden kann, da keine russische Regierung die Krim aufgeben wird, es sei denn, es kommt zu einer totalen militärischen Niederlage. Die Erwartung, dass die chinesische Regierung Russland dazu drängen wird, ist abwegig. Beijing wird es nicht tun und Moskau würde es nicht akzeptieren.

In Washington gibt es ernsthafte Befürchtungen, dass Russland angesichts des möglichen Verlusts der Krim in einen Atomkrieg eskalieren würde. Deswegen haben Beamte der Biden-Administration auch angedeutet, dass es tatsächlich eine Art Kompromiss über die Krim geben könnte, wenn die Ukraine das Gebiet, das sie im vergangenen Jahr verloren hat, zurückerhält.

Doch angesichts der unüberbrückbaren Kluft zwischen den offiziellen Positionen Kiews und Moskaus scheint eine formale Friedensregelung unmöglich. Das lässt jedoch immer noch die Möglichkeit eines ausgehandelten und dauerhaften Waffenstillstands offen, bei dem die fortgesetzte russische Kontrolle über einige ukrainische Gebiete de facto (aber nicht de jure) bis zu künftigen Verhandlungen akzeptiert würde – ähnlich wie in Zypern, Kaschmir und anderswo.

Eine letzte Frage, die sich im Zusammenhang mit dem erklärten Interesse der Regierung an einer chinesischen Vermittlung stellt, ist, ob das Vertrauen zwischen den USA und China groß genug ist, um den Prozess zu unterstützen. Blinken hat erklärt, dass einer der Gründe, warum eine chinesische Beteiligung wünschenswert sein könnte, darin besteht, dass Russland in Zukunft seine Streitkräfte nicht einfach wieder aufbaut und die Ukraine erneut angreift.

Das ist völlig richtig, aber es bringt zwei wesentliche Konsequenzen mit sich, die die Biden-Regierung und das Washingtoner Establishment bei Weitem noch nicht bereit sind, zu akzeptieren.

Die Erste ist, dass Washington sein gesamtes öffentliches Gewicht und seinen Einfluss hinter einen Waffenstillstand stellen müsste. Wenn man dann China bittet, seinen Einfluss auf Russland zu nutzen, um eine künftige russische Offensive zu verhindern, wird man sich gleichzeitig auch verpflichten müssen, den eigenen Einfluss auf die Ukraine zu nutzen, um eine künftige ukrainische Offensive zu verhindern.

Angesichts des zerrütteten Verhältnisses zwischen den USA und China wird man in Beijing den Verdacht hegen, dass Washington China die Verantwortung für einen Waffenstillstand zuschieben will, zu dem sich die USA selbst nicht verpflichtet fühlen – wie bei der US-Politik gegenüber dem Minsk-II-Abkommen von 2015, das Frankreich und Deutschland zur Lösung des Donbass-Konflikts vermittelt haben.

Die zweite Konsequenz ist, dass Washington eine wirtschaftliche Rolle Chinas beim Wiederaufbau der Ukraine und ein gewisses chinesisches Mitspracherecht bei der europäischen Sicherheit akzeptieren muss, wenn China nicht nur am Zustandekommen eines Waffenstillstands beteiligt werden soll, sondern auch an den langfristigen Bemühungen um die Aufrechterhaltung des Waffenstillstands und die Unterstützung von Friedensgesprächen.

Das würde dem gesamten jüngsten Trend der US-Politik gegenüber China zuwiderlaufen. Doch ohne diese Akzeptanz ist es schwer vorstellbar, wie das chinesische Engagement für den ukrainischen Frieden aufrechterhalten werden könnte.

Die Biden-Regierung steht an einem Scheideweg. Sie kann auf dieser leichten, aber bemerkenswerten Veränderung im Tonfall aufbauen, indem man anerkennt, dass die Interessen der USA und Chinas eher übereinstimmen als entgegengesetzt sind, und ausloten, was erreicht werden könnte, wenn die beiden mächtigsten Länder der Welt vom Konfrontationskurs abrücken.

Oder die Regierung kann angesichts der Frustrationen, die ein Dialog mit Beijing unweigerlich mit sich bringen würde, und der Demagogie in den USA, die einer konstruktiven Beziehung zu China unweigerlich folgen würde, ihren Weg zum offenen Konflikt wieder aufnehmen.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit Responsible Statecraft. Das englische Original finden Sie hier. Übersetzung: David Goeßmann.

Anatol Lieven ist Senior Research Fellow für Russland und Europa am Quincy Institute for Responsible Statecraft. Zuvor war er Professor an der Georgetown University in Katar und an der Abteilung für Kriegsstudien des King's College London. Er ist Mitglied des beratenden Ausschusses der Südasienabteilung des britischen Außen- und Commonwealth-Büros. Lieven ist Autor mehrerer Bücher über Russland und seine Nachbarländer, darunter "Baltic Revolution: Estonia, Latvia, Lithuania and the Path to Independence" und "Ukraine and Russland: A Fraternal Rivalry" (Eine brüderliche Rivalität).