Furcht oder Gelassenheit?

Wenn's gefährlich wird, steuern zwei Hormone unsere Reaktionen.

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Wie stark wir in einer bedrohlichen Situation reagieren, ob wir uns fürchten oder ruhig bleiben, hängt womöglich vom Gleichgewicht von zwei Neuropeptiden ab, die auf das emotionale Zentrum des Gehirns wirken. Ein Schweizer Forscherteam ist erstmals dem Mechanismus auf die Spur gekommen, der diesem Gleichgewicht zu Grunde liegt. In der aktuellen Ausgabe von Science stellen die Wissenschaftler ihre Ergebnisse vor.

Direkte Verbindung zum Autonomen Nervensystem

Die Mandelkerne (Amygdala) liegen jeweils auf der Innenseite des Schläfenlappens des Gehirns. Dieses mandelförmigen Gebilde (es gibt zwei, in jeder Hemisphäre eines) oberhalb des Hirnstamms ist eine wichtige Schaltzentrale für Gefühle wie Furcht oder Angst. Die Amygdala erhält sensorische Informationen über die Umwelt aus dem Thalamus, dem Hippocampus und anderen kortikalen Regionen. In bedrohlichen Situationen werden die direkten Verbindungen zwischen der Amygdala und dem autonomen Nervensystem aktiviert und ermöglichen eine Reaktion, noch bevor die höheren Hirnregionen eine ausführliche Analyse der Situation durchführen können. Und es treten die bekannten Symptome der Angst auf: Herzklopfen, erhöhter Blutdruck, beschleunigte Atmung oder feuchte Hände.

„Wie Yin und Yang im Mandelkern“

Aus Versuchen mit Ratten weiß man, dass bei Angstreaktionen besonders die Region des zentralen Mandelkerns aktiviert wird. Und man kennt auch bereits zwei Neuromodulatoren, die dabei eine wichtige Rolle spielen: Vasopressin und Oxytocin. Während das Neuropetid Oxytocin die Angst senkt und beruhigt und auch schon mal als „Kuschelhormon“ angepriesen wird, erhöht Vasopressin Gefühle von Angst, Stress und Aggression. Doch wie diese beiden Stoffe zusammenspielen ist unbekannt.

Blick in das Gehirn mit Lage der Amygdala (Bild: McGill University, Kanada)

Die beiden Forscher Daniel Huber und Ron Stoop vom Department für Zellularbiologie und Morphologie und Zentrum für Psychiatrische Neurowissenschaft der Universität Lausanne haben sich nun das Zusammenwirken von Oxytocin und Vasopressin in Verbindung mit dem zentralen Kern der Amygdala genauer angesehen. Mit elektrophysiologischen Mitteln fanden sie heraus, welche Nervenzellen mit Oxytocin und welche mit Vasopressin aktiviert werden. Beide Neuropeptide erregen in der Amygdala je eine spezifische Gruppe von Neuronen. Das Spezielle daran ist, dass die durch Oxytocin aktivierten Zellen auf die für Vasopressin empfänglichen beruhigend wirken. Einen in die umgekehrte Richtung verlaufenden Mechanismus gibt es nicht.

Wir haben damit die Zellen gefunden, die zum einen mit Vasopressin erregt und zum anderen durch Oxytocin indirekt gehemmt werden. Und damit lässt sich vielleicht erklären, warum diese beiden Peptide genau das entgegengesetzte Verhalten auslösen

Daniel Huber

Neue Forschungsansätze

Auf den Menschen sind diese Ergebnisse allerdings nicht unmittelbar übertragbar. „Die Untersuchungen darüber, ob auch der Mensch über diese Rezeptoren verfügt, sind schon sehr alt“, so Ron Stoop. „Das bedeutet, dass man zurzeit nicht sicher sagen kann, ob er über diese Rezeptoren verfügt oder nicht und ob sie gleich verteilt sind. Aber die Organisation der Amygdala ist dieselbe. D. h., wenn man auf diesen zentralen Teil der Amygdala Einfluss nimmt, dann hat man vermutlich auch einen Einfluss auf das Verhalten der Menschen. Aber das muss erst noch genauer analysiert werden.“

Zusammenarbeit der Amygdala mit den anderen Gehirnteilen (Bild: McGill University, Kanada)

Stoop und Huber hoffen nun, dass die von ihnen gewonnenen Erkenntnisse neue Forschungsansätze zur Behandlung von Angststörungen ermöglichen. Dabei könnte man möglicherweise direkt auf das subtile Gleichgewicht in der Amygdala Einfluss nehmen. Aber auch beim Vergessen spielt der zentrale Mandelkern eine Rolle. Und auch hier könnte das von den Lausanner Wissenschaftlern entwickelte Modell einen wichtigen Ansatz liefern. „Der Kortex, die Gehirnrinde, projiziert auch auf die Seite, die durch Oxytocin erregbar ist“, erklärt Huber. „Man glaubt heute, dass diese Verbindungen eine wichtige Rolle spielen, wenn man etwas vergessen will. Wir zeigen nun mit unseren Ergebnissen, dass auch diese Verbindungen mit Oxytocin erregt werden können. So dass man vielleicht das aktive Vergessen beschleunigen könnten, wenn man diese Region stimuliert.“

Mit ihrer Arbeit wollen die beiden Forscher eines der Hauptziele des neuen Zentrums für Psychiatrische Neurowissenschaften der Universität und des Kantonspitals Lausanne unterstützen: Die zunehmende Verschmelzung der Grundlagenforschung mit der angewandten Psychiatrie.