Games go Linux
Immer mehr kommerzielle Spiele kommen auf den Markt und Hard- und Softwareentwicklung ziehen mit, wenn nicht gar auf und davon.
Es scheint ein ehernes Gesetz zu sein: Der Erfolg eines Computersystems im Heimbereich wird maßgeblich durch seine Spielekompatibilität bestimmt. Je mehr Games es dafür gibt, desto populärer ist das System. Daher kann es einen entscheidenden Schritt bedeuten, wenn die von Spielern heiss ersehnte aktuelle Version eines der populärsten Computerspiele der letzten Jahre, Quake III Arena, fast zeitgleich mit der Windows-Version auch für Linux auf den Markt kommt. Die Verträge wurden kürzlich unterzeichnet.
Spiele als Zugpferd der Computerindustrie
Seit Computer existieren, gibt es auch Computerspiele. So stand für das Betriebssystem Linux ebenfalls von Anfang an eine stetig wachsende Anzahl von Spielen zur Verfügung. Allerdings handelte es sich dabei fast ausschließlich um kleinere Spiele, die von einzelnen Hobbyentwicklern programmiert und zum freien Download ins Netz gestellt wurden. Dies erinnert an die Situation Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre, als Heimcomputer gerade anfingen, populär zu werden. Auch damals gab es bereits eine Menge frei zirkulierender Spiele, bevor die ersten Computerspielefirmen wie Activision oder Infocom gegründet wurden. Sie übertrugen den kommerziellen Erfolg, den Unterhaltungssoftware bereits auf diversen Videospielsystemen hatte, auf den Bereich des Heimcomputers. Seitdem weiss man, dass Computerspiele einen entscheidenden Faktor für die Verbreitung der Computertechnik im privaten Bereich darstellen - und dass man mit ihnen eine Menge Geld verdienen kann.
Hemmnisse für die Entwicklung von Linux-Spielen
Da tut es auf den ersten Blick Wunder, warum das Games-Business nicht schon längst die seit Jahren wachsende Linux-Usergemeinschaft als potentielles Marktsegment ausgemacht hat. Die Vielzahl der vorhandenen Spiele lässt zumindest nicht auf einen weniger ausgeprägten Spieltrieb als beim Rest der Computerbenutzer schließen. Sicher, da ist als erstes die Herkunft von Linux zu nennen. Als Adaption des eher für Hochleistungs- und Serverrechner ausgelegten Unix Betriebssystems bahnte es sich erst allmählich den Weg über die Universitäten in unsere privaten Arbeits- und Wohnzimmer. Desweiteren wurde als Folge des Open-Source-Produktionsprinzips von Linux und seiner Peripherie kein allzu großer Wert auf Spielekompatibilität gelegt. Programmiert wurde das, wofür man innerhalb des technisch wissenschaftlichen Kontextes Lösungen benötigte. Sound- und Grafikschnittstellen oder aufwendige 3D-Routinen gehörten nicht vordringlich dazu, sind aber für heutige State-of-the-art Games unerlässlich.
Der aber vielleicht wichtigste Widerstand gegen eine kommerzielle Nutzung der scheinbar vorhandenen Resourcen ging von den Usern selber aus. Waren diese doch aus langer Tradition heraus gewöhnt, alles, was auf Linuxbasis lauffähig ist, mehr oder weniger umsonst zu bekommen. Zu groß schien das Risiko, von diesen Nutzern Geld für Programme zu verlangen. Das nichtkommerzielle Open-Source-Prinzip des Betriebsystems schien gleichsam automatisch auf alle Anwendungsprogramme für Linux übertragen zu werden - obwohl dazu lizenztechnisch gesehen keine Notwendigkeit vorliegt. Doch selbst große professionelle Programme wie z.B. Star Office oder Word Perfect, deren Versionen für andere Betriebssysteme verkauft werden, bekamen die Linux-User umsonst angeboten.
Die Trendwende: Quake III Arena
Die Game-Industrie hat bis auf eine Ausnahme bisher noch keine Notwendigkeit gesehen, bei diesem Werben um die Gunst der Linuxuser mitzumachen. Sie wartete interessiert ab - so lange, bis man glaubte, den zu betreibenden Aufwand auch wieder reinholen zu können. Genau dieser Zeitpunkt scheint jetzt erreicht.
Erst kürzlich lizensierte id Software, einer der wichtigsten Spieleentwickler, ihren langersehnten neuesten Teil der Quake Erfolgsserie, Quake III Arena, an Loki Entertainment Software. Damit wird erstmalig fast zeitgleich zur Windows- die Linux-Version eines Top-Titels über die ganz normalen Handelskanäle, in einer richtigen Box verpackt als Vollpreisprodukt auf den Markt gebracht werden. Was für die Game-Industrie und für die Linuxgemeinde einen entscheidenden Einschnitt in der bisherigen Praxis bedeutet, ist für id Software kein allzu großer Schritt. Waren die Macher von Doom bisher doch die einzige Spieleschmiede, die auch schon in der Vergangenheit ihre Spiele und Engines auf Linux portiert und sogar den Source Code (zumindest teilweise) offengelegt haben. Nicht zuletzt wegen der damit vorhandenen Möglichkeit für die User, die Spiele selber zu modifizieren, avancierten diese innerhalb kürzester Zeit zu Kulttiteln, mit einer großen und treuen Fangemeinschaft bei Linuxquake.com.
Auch für den Vertragspartner Loki Entertainment Software ist Quake III Arena nicht das erste Linux-Spiel. Ist es doch die erste Firma, die sich ganz auf kommerzielle Linux Spiele konzentriert. Interessant ist dabei ihr Geschäftsmodell: anstatt aufwendig eigene Spiele zu entwickeln, programmieren sie ausschließlich Umsetzungen schon bekannter Windows-Titel. Die 1998 gegründete Firma hat bereits sieben Top Titel, darunter Civilization: Call to Power, Heretic II und Heroes of Might and Magic III, von Windows auf Linux portiert. Für diess Jahr sind weitere 16 angekündigt. Und schon gibt es erste Nachahmer. Kürzlich gab die erst letztes Jahr gegründete Firma Tribsoft bekannt, dass sie den Erfolgstitel Jagged Alliance 2 demnächst in einer Linux-Version herausbringen wird. Auch Tribsoft will sich ausschließlich auf kommerzielle Linux Titel konzentrieren.
Was ist geschehen? Seit letztem Jahr hat sich offensichtlich die oben beschriebene Situation geändert. Tatsächlich sind schon seit einger Zeit erste Anzeichen zu beobachten, dass Linux u.a. dank neuer grafischer, benutzerfreundlicher (Windows95-ähnlicher) Oberflächen wie z.B. KDE auch immer mehr im Enduser-Bereich an Boden gewinnt. Fertige PCs werden teilweise bereits mit einer Linux-Distribution statt einer Windows-OEM-Version bei den Discountern angeboten. In einem Interview für linuxpower geht Tribsofts Mathieu Pinard von einer potentiellen Käuferbasis für Linux-Games von über 10 Mio. aus - Tendenz steigend. Auch wenn er hierbei unzulässiger Weise einfach alle vorhandenen Linuxrechner mit in seine Kalkulation einbezieht (also auch die nicht im Heimbereich eingesetzten) sind, lassen doch zwei Umfragen (Umfrage 1, Umfrage 2) von slashdot aufhorchen. Dabei erklärten 71% der 23.433 Teilnehmenden, dass sie bereit wären, für Linux-Games Geld auszugeben. Es scheint sich also auch in der Linuxwelt die Binsenweisheit zu bestätigen, dass Spiele eine Art Pionierrolle bei der kommerziellen Popularisierung von Computersystemen spielen.
Hard- und Softwareentwicklung powern Linux-Games
Und auch bei der Unterstützung der gängigen Sound- und Grafikstandards hat sich in letzter Zeit einiges getan. Hersteller von gamespezifischen Peripheriekarten wie z.B. Creative Labs (Soundblaster) scheinen ebenfalls die Potentiale in dem neuen Markt erkannt zu haben. Erst dieser Tage kündigte der Soundkartenhersteller in Allianz mit Corel und Loki an, gemeinsam eine Linux-Schnittstelle für Surround Sound entwickeln zu wollen (Presseerklärung 8.3.00). Dabei wird OpenAL, wie der neue Soundstandard in Anlehnung an den bereits vorhandenen Graphikstandard OpenGL genannt wird, als Open-Source-Projekt angelegt. So ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Initiatoren ihren Vorsatz einlösen werden, mit OpenAL einen Crossplatform-Standard auch für Windows und andere Betriebsysteme zu schaffen.
Die von LokiSoft noch für diesen Monat angekündigte Linux-Version von Heavy Gear II wird das erste Spiel sein, das den neuen Standard unterstützt. Damit ist zum ersten Mal ein Linux-Spiel technisch gesehen weiterentwickelt als die Windows-Version (die allerdings die windowseigene Schnittstelle für 3D-Sound unterstützt). Auch wenn es aufgrund nach wie vor existierender, technisch bedingter Inkompatibilitäten mit den Ansprüchen und Fähigkeiten von ganz normalen Endusern noch ein bisschen dauern wird, bis Linux sich auch als Game-Plattform große Marktanteile erobert hat, zeichnet sich doch schon bereits ein Geschäftsmodell für die Zukunft ab. Im Zentrum wird dabei Crossplatform-Development stehen. Spiele, die Engines auf denen sie basieren und vor allen Dingen die Tools, die man zu ihrer Herstellung benötigt, werden mehr und mehr plattformunabhängig ausgelegt sein. So wird es in Zukunft keinen großen Aufwand mehr bedeuten, ein Spiel für mehrere Betriebssysteme gleichzeitig zu veröffentlichen. In diesem Zusammenhang spielt die Open-Source-Idee eine wichtige Rolle. Kann man doch nur so hoffen, Schnittstellen wie OpenAL als Standard auf allen Betriebssystemen durchzusetzen. Nur was keiner einzelnen Firma gehört, und was alle weiterentwickeln können, wird in Zukunft eine Chance haben, als Standard anerkannt zu werden.
Die Entwickler von Games hingegen werden sich auch in Zukunft schwer tun, sich voll und ganz der Open-Source-Idee zu verschreiben. Es ist dies eine andere, noch zu erzählende Geschichte. Festzuhalten bleibt jedoch, dass die Vorherrschaft von Windows als Pseudogamesstandard für PCs langsam zu Ende geht. Auch wenn Windows für Spiele weiterhin eine wichtige Plattform darstellen wird - die einzige wird es nicht mehr sein.
Wie schnell auch der Rest der Games-Industrie auf den Zug aufspringt, hängt nun entscheidend vom Erfolg der gerade eben erst in die Regale gekommenen Titel ab. Denn Verkaufszahlen sind das A und O der Branche. Stellt sich aber der Erfolg schnell ein, und es folgen auch die anderen Top-Titel, so wird dies wiederum einen wichtigen Faktor für die Entscheidung vieler darstellen, sich Linux als einziges Betriebssystem auf dem heimischen Rechner zu installieren. Mit dem vollen Gamesupport stehen die Karten nicht schlecht, dass sich die angenommene augenblickliche Basis von 4 % Linux-Rechner im Desktop Bereich (Scott Draeker von Loki in einem Interview für slashdot) innerhalb kürzester Zeit signifikant vergrößern wird. Es wird spannend...