Gas, Geld und Gefälligkeiten: Der Bundestag und die Autokraten

Marco Bülow
Aktentasche mit Aserbaidschan-Aufkleber, aus der ein 500-Euro-Schein quillt

Ex-Abgeordnete stehen wegen Korruption vor Gericht. Die Verbindung führt nach Aserbaidschan. Wie tief reicht die Verwicklung? Ein Gastbeitrag.

Lange hat es gedauert: Jetzt hat endlich der Prozess gegen zwei ehemalige einflussreiche Bundestagsabgeordnete wegen Korruption begonnen.

Wie viele weitere Politiker sind sie mit besonderen Begünstigungen von Lobbyisten bedacht worden. In diesem besonderen Fall von ganz speziellen Lobbyisten: einer harten Autokratie. Strafbar ist eine Korruption nur, wenn nachgewiesen werden kann, dass Gelder für eine Gegenleistung flossen, dass ein politisches Amt dafür missbraucht wurde.

Ein Skandal, ein Thema, welches auch in diesem Wahlkampf keine Rolle spielt – obwohl es um die Grundfesten unserer Demokratie geht.

Doppelmoral

Sprechen wir von einer "lupenreinen Demokratie", werden wir schnell Lügen gestraft. Vor allem müssen wir erst einmal darüber sprechen, was eine solche überhaupt ausmacht. Dagegen ist eine "lupenreine Autokratie" einfacher zu deuten.

Eine dieser Autokratien überfiel in den vergangenen Jahren seinen Nachbarn und versuchte dann, eine der wenigen sich neu entwickelnden Demokratien ganz auszuschalten. Nach außen ist sein Führer bemüht, sich ein gutes und demokratisches Image zu geben. Er pflegt viele gute Kontakte, gerade auch zu westlichen Politikern, und lässt sich das gern etwas kosten.

Das Land ist gesegnet mit fossilen Energieträgern, die natürlich gewinnbringend an den Westen verkauft werden. In der Bertelsmann-Studie, die seit Jahren ein Ranking von Demokratien und Autokratien erstellt, landet das Land ganz weit unten und fällt unter die Kategorie "Harte Autokratie".

Nein, die Rede ist nicht von Russland und Putin, sondern von Aserbaidschan und seinem Staatspräsidenten Ilham Alijew. Er griff nahezu unbehelligt das Nachbarland Armenien an. Am 1. Januar 2024 wurde die Region Bergkarabach überrollt und musste sich als Staat auflösen.

Marco Bülow
Marco Bülow. Bild: Julia Bornkesse

Aserbaidschan hat nun die vollständige Kontrolle über das ganze Gebiet. Eine Demokratie wurde ausradiert. Keine Intervention, keine Unterstützung des Westens, keine Sanktionen gegen Aserbaidschan, kein Schutz Bergkarabachs oder für Armenien. Nichts. In dem einen Fall sind wir entrüstet, leisten Unterstützung, zahlen Milliardenhilfen, liefern Rüstung und schwere Waffen.

Nur etwa 1.400 Kilometer weiter führen solch eine Aggression, Krieg und der Freiheitsentzug höchstens zu Achselzucken. Das Thema ist schnell erledigt. Nein, nicht ganz. Noch während der Angriffskämpfe wird der harte Autokrat Alijew in Berlin mit allen militärischen Ehren vom Kanzler und der Bundesregierung in Berlin empfangen.1

Das war nicht alles. Im großen Stil kaufen Europa und Deutschland jetzt viel Gas in Aserbaidschan ein. Zudem darf sich unsere neue Lieblingsautokratie bei internationalen Klimakonferenzen und Sportveranstaltungen schön- und reinwaschen.

Auch das ist eine Art der Korruption, aber natürlich ganz legal. So weit ist der Weg nicht zu Abgeordneten, die statt Energie Geld bekommen und dafür das Image von Aserbaidschan verbessern. So können dann solche Gasdeals schneller durchgehen und werden öffentlich auch noch beklatscht.

Kaviar-Lobbyismus

Bereits im Januar 2018 stellte der Berliner Tagesspiegel fest:

Mit Teppichen, Kaviar und viel Geld sicherte sich Aserbaidschan jahrelang Einfluss im Europarat. Auch eine CDU-Abgeordnete profitierte. Zieht der Bundestag daraus Konsequenzen?

Zog er nicht. (…) Auch die EU nicht.

Dann wurde der italienische Abgeordnete Luca Volontè – zwischenzeitlich sogar Vorsitzender der mächtigen konservativen EVP-Fraktion im Europarat – wegen Geldwäsche vor Gericht gestellt und 2020 wegen Korruption verurteilt.

Von Aserbaidschan hatte er 2,39 Millionen Euro erhalten und dies auch zugegeben. Zudem war er der Drahtzieher für weitere Deals zwischen dem Land und diversen Europaabgeordneten. Doch ein späteres Berufungsgericht sprach ihn wegen Verjährung frei. Korruption wurde wieder legalisiert.

Das Signal aus Europa: Bereichert euch! Das taten dann auch wohl noch deutlich mehr Politiker, die daraufhin sehr bemüht waren, Aserbaidschan für uns attraktiv zu machen und die Menschenrechtsverletzungen dabei zu kaschieren. Natürlich waren auch wieder Deutsche mit von der Partie.

Der CDU-Bundestagsabgeordneten Karin Strenz konnte man die Geldzuwendungen aus Aserbaidschan über eine Zwischenfirma nachweisen. Der Bundestag erhob eine lächerliche Geldstrafe, die Abgeordnete war aber mittlerweile verstorben.

Dann tauchten weitere deutsche Namen auf. Vor allem die Abgeordneten Eduard Lintner, Mark Hauptmann, Axel Fischer und der ehemalige Staatssekretär Thomas Bareiß, allesamt von der Union, werden mehrfach genannt. Alle setzten sich für besonders gute Beziehungen mit der Autokratie ein.2

Selbst wenn jetzt die beiden vor Gericht stehenden ehemals hochrangigen Unionspolitiker Eduard Lintner und Axel Fischer verurteilt werden, würde es das Grundprinzip solch einer Politik nicht erschüttern. Die meisten Politiker werden nicht überführt, meistens kann man nichts wirklich nachweisen, ein großer Teil der Korruption ist legal.

Wenn doch einmal jemand erwischt wird und es ihm nachgewiesen werden kann, dann kommt er größtenteils mit einer Geldstrafe davon. Dann gelten die Verurteilten als Einzeltäter als Ausnahmen.

In diesen Sphären wiegen sich viele in Sicherheit, weil sie sich darauf verlassen können, dass dort, wo es um viel Geld geht, wenig öffentliche Ressourcen und Personal eingesetzt wird. So ist es auch bei anderen Skandalen, Deals und Absprachen. Beispielsweise beim Cum-Ex- und Cum-Cum-Skandal, dem größten Milliarden-Steuerraub der deutschen Geschichte.

Eine zuständige Staatsanwältin, Anne Brorhilker, gab letztes Jahr entnervt auf, weil zu wenig Personal, zu wenig Rückendeckung, zu wenig Möglichkeiten dazu führen, dass kaum jemand überführt wird.

Der Warburg Bank-Chef Olearius wurde überführt und angeklagt, dann aber das Verfahren wegen "zu hohen Blutdrucks" des Angeklagten eingestellt. Das er von Beginn an Unterstützung und ein offenes Ohr aus der Politik hatte, ist schon lange kein Geheimnis mehr.

Geld kauft sich frei

Innerhalb der drei demokratischen Gewalten: Parlament, Regierung, Justiz – spricht nur selten jemand offen über die Verfehlungen und Entwicklungen. Anne Brorhilker ist da eine Ausnahme, aber ihr Urteil sagt alles3:

Da geht es oft um Täter mit viel Geld und guten Kontakten und die treffen auf eine schwach aufgestellte Justiz. Und dann kommt es oft dazu, dass sie sich aus den Verfahren schlicht rauskaufen können. Das ist ungerecht und birgt die Gefahr, dass die Allgemeinheit das Vertrauen in den Rechtsstaat verliert.

Anne Brorhilker im WDR-Interview

Nicht nur in den Rechtsstaat, gerade in die Politik, die Regierungen und Parlamente schwindet das Vertrauen zunehmend. Die Gewaltenteilung, das Grundprinzip unserer Demokratie, funktioniert an einigen Stellen nicht mehr. Ich habe all das 19 Jahre lang im Bundestag erlebt und beschreibe meinerseits Beispiele und Erfahrungen aus diesem Bereich. Gerade Korrumpierung und einseitiger Lobbyismus sind eine wichtige Ursache für die Demontage der Demokratie.

Wir benötigen keinen Musk, um zu erkennen und zu beschreiben, wie einige wenige Interessen Politik nicht nur beeinflussen, sondern mehr und mehr beherrschen.

Zu Gunsten der Superreichen und der Politiker, die mitspielen, die sich korrumpieren lassen, zulasten des Allgemeinwohls und der Demokratie. Wer am meisten zahlen kann, wer die größten Ressourcen hat, der bestimmt auch meisten.

Geld kauft Macht und Demokratie. Wahlen können daran immer weniger auszurichten, weil es dort in erster Linie um Show, Nebenthemen und Versprechen geht, aber nicht wirklich um unsere demokratischen Grundlagen. Die Unzufriedenheit kanalisiert sich dann auf Sündenböcke oder in den absoluten Rückzug aus der Politik, sogar aus der Demokratie.

Buchcover

Dies beschreibe ich im zweiten Teil meines Buches, in dem es um die Karambolagen geht, die sich aus der Demontage der Demokratie entwickeln. Im letzten und dritten Teil geht es dann um die Montage, die wir eigentlich bräuchten. Die gelingt aber nur durch ein Aufbrechen der alten Denkmuster, der Doppelmoral und mit dem Wissen, worüber wir jetzt eigentlich reden und entscheiden müssten – nicht nur im Wahlkampf.

"Korrumpiert" heißt das neue Buch von Marco Bülow (erscheint am 10. Februar 2025 im Westendverlag). In seiner Kolumne zitiert er Passagen aus dem Buch und kommentiert sie.

Marco Bülow ist Publizist, Politiker und Aktivist. Von 2002 bis 2021 war er Mitglied des Bundestages. Bis 2018 für die SPD, dann fraktionslos.