Gasnotstand und Panik: Putins fieser Plan

Enthüllungen: Deutschland entging Anfang 2022 knapp einem Blackout. Notstand gab es wohl schon vorher. Wieso wir Weltmeister im Verdrängen sind.

Deutschland entging im Frühjahr 2022 nur knapp einem Blackout mit dramatischen Folgen für Wirtschaft und große Teile der Haushalte. Das Handelsblatt berichtete vorige Woche und nannte Einzelheiten.

Demnach ist es zwei russischen Whistleblowern zu verdanken, dass es im April des Jahres nicht zum Chaos in der Energieversorgung kam. Eine ad hoc aufgestellte Taskforce der Bundesregierung konnte verhindern, dass (Zitat) "Wladimir Putin Deutschland ins Chaos stürzte".

Das Gazprom-Komplott: Stichtag 4. April

Die Abhängigkeit Deutschlands vom russischen Gas, jahrzehntelang von Politik und Wirtschaft gewollt und zugleich grob fahrlässig auf die leichte Schulter genommen, bot Putin die willkommene Gelegenheit zur fiesen Ränke. Geradezu eine Einladung, die Achillesverse der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft aus Korn zu nehmen. Wie dumm kann eine politisch und moralisch degenerierte Profit- und Konsumgesellschaft eigentlich sein?

Den Recherchen des Handelsblatts zufolge war Ende März 2022 – der Ukraine-Krieg tobte – im Kreml der Entschluss gereift, über Gazprom Germania der deutschen Energieversorgung den Garaus zu machen. Von einem Tag auf den anderen sollte das passieren. Mittels finanzieller Finten des Moskauer Mutterkonzerns und über ein Netzwerk von Strohfirmen sollte deutschen Versorgern, Stadtwerken, Industriebetrieben und Gaskraftwerken der Gashahn abgedreht werden.

500 Stadtwerke und Industrieanlagen, darunter Betriebe aus der Chemie- und Stahlbranche, sowie 700 Gaskraftwerke waren von den russischen Lieferungen abhängig und wären direkt betroffen gewesen. Stichtag für die Attacke sollte der 4. April 2022 sein. Das Ziel des Blackouts: (…) "größtmöglichen wirtschaftlichen Schaden" anzurichten, so die Frankfurter Rundschau.

Deutschland stand um Haaresbreite vor einem Schock. Städtebund-Chef Gerd Landsberg gab im Gespräch mit Bild einen Eindruck der Konsequenzen, die mit dem plötzlichen Ausfall der Gaslieferungen auf das Land zugekommen wären:

Millionen Bürger hätten in kalten Wohnungen gesessen. Ämter hätten wegen der Kälte nicht arbeiten, Geschäfte nicht öffnen können. Millionen Beschäftigte hätten nicht zur Arbeit gekonnt, weil die Betriebe von Gas und Wärme abgeschnitten gewesen wären.

Gerd Landsberg in der Bild

Landsberg schildert Putins Kalkül und seine Folgen in nüchternen Worten. Bei dem Gazprom-Komplott soll im Hintergrund ein zwielichtiger Strohmann agiert haben. Panik vor einem Komplett-Zusammenbruch der Gasversorgung zu schüren und soziale Unruhen in Deutschland zu provozieren, waren Teil des Schlachtplans.

Wettlauf gegen den Blackout

Dass es anders kam und die Katastrophe verhindert werden konnte, gelang laut Handelsblatt dank zweier russischer Manager der Gazprom Germania. Die "wahren Helden dieser Geschichte" (Handelsblatt) informierten die Bundesregierung über die Absichten ihres Mutterkonzerns.

Ein rasch gebildeter Krisenstab aus Mitgliedern des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und des Bundeskanzleramtes sah eine tickende Zeitbombe. Es galt, einer drohenden Gasnotlage quasi in letzter Minute gegenzusteuern. Die Rede ist von 50 Stunden, um die es ging; die Hälfte des deutschen Gasmarktes wäre betroffen gewesen.

Zum Krisenstab gehörten dem Vernehmen nach Staatssekretär Udo Philipp, Wirtschaftsabteilungsleiter Philipp Steinberg, der damalige Unterabteilungsleiter Ulrich Benterbusch, Kanzleramtsgruppenleiter Frank Wetzel und Kanzlerberater Jörg Kukies.

Der 4. April stand drohend im Raum: Drei Tage nach dem Hinweis der beiden Whistleblower, so die Befürchtung, könnte Gazprom die Liquidation einleiten, das Betriebsvermögen nach Russland transferieren und die Lieferverträge stoppen.

Der Krisenstab der Bundesregierung fasste den Plan, Gazprom Germania unter die treuhänderische Verwaltung der Bundesnetzagentur zu stellen. Ende des Jahres 2022 wurde das Unternehmen verstaatlicht.

Im Mai 2022 untersagte der Kreml russischen Unternehmen Geschäfte mit Gazprom Germania; Gazprom reduzierte seine Gasexporte über Nord Stream 1 nach Deutschland. Im August 2022 wurde der Gasexport komplett eingestellt, gefolgt von dem Bombenanschlag auf Nord Stream 1 im September.

Wie das Handelsblatt zudem berichtet, bot die Bundesregierung den beiden Whistleblowern am Ende des Krisenwochenendes 2022 Personenschutz an; inzwischen haben beide dem Bericht zufolge die deutsche Staatsbürgerschaft.