Gaza-Krieg: Wird China seine enge Verbindung zu Israel lockern?
Nach arabischem Aufschrei: Beijing positioniert sich stärker pro-palästinensisch. Was bedeutet das für die Kämpfe, den Handel mit Israel und die US-Dominanz in der Region?
China hat die internationale Gemeinschaft aufgerufen, die israelische Bombardierung im Gazastreifen zu beenden, während Israel seine Angriffe auf die palästinensische Enklave fortsetzt.
Die katastrophale humanitäre Situation in Gaza ist eine Aufforderung an unser menschliches Gewissen. Die internationale Gemeinschaft darf nicht zulassen, dass die Tragödie weitergeht,
… sagte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Wang Wenbin, vor der Presse in Beijing (Peking).
Chinas deutliches Statement zum Gaza-Krieg kommt, nachdem die israelischen Streitkräfte am Freitag einen Krankenwagenkonvoi in Gaza angegriffen haben, wie Medien berichteten.
Repräsentanten vieler einflussreicher Staaten haben in den letzten vier Wochen Israel und die Region besucht, um ihre Solidarität mit der Regierung in Tel Aviv auszudrücken. US-Präsident Joe Biden reiste nach Israel, zahlreiche hochrangige Vertreter der EU, von EU-Ländern, Großbritanniens sowie von Japan taten das Gleiche. Ägypten und Katar spielten derweil eine zentrale Rolle bei Verhandlungen rund um die Freilassung von Geiseln.
Doch Beijing hielt sich lange bedeckt. Man schickte den Nahost-Gesandten Zhai Jun vor. Aber weder Xi Jinping noch sein Außenminister Wang Yi haben die Region seit dem Ausbruch der Kämpfe besucht.
Xi rief zu einem Waffenstillstand auf, während Wang sagte, dass die Ursache des Konflikts "darin liegt, dass dem palästinensischen Volk keine Gerechtigkeit widerfahren ist" und die "kollektive Bestrafung" der Palästinenser beendet werden muss.
Die vorsichtige Herangehensweise ist nicht ungewöhnlich, wenn man bedenkt, wie sich Beijing bei früheren Gewaltausbrüchen im Israel-Palästina-Konflikt positioniert hat. Man äußerte sich meist vage, appellierte an Gewaltverzicht und forderte eine diplomatische Lösung.
Das wiederum hat damit zu tun, dass Beijing eine Balance anstrebt zwischen Israel und arabischen Akteuren in der Region. So pflegt man enge Beziehungen zu Tel Aviv, aber hält auch Verbindung zu palästinensischen und libanesischen Gruppen, einschließlich der Hamas und Hisbollah.
Jetzt könnte sich eine Neujustierung abzeichnen. So erklärt Giorgio Cafiero, Präsident der Denkfabrik State Analytics und Professor an der Georgetown University in Washington D.C. auf Responsible Statecraft:
Doch die israelische Kriegsführung drängt Beijing zu einer zunehmend pro-palästinensischen Haltung, die die Beziehungen zu Tel Aviv zu beeinträchtigen droht.
Für China sei es zentral, im Nahen Osten Stabilität herzustellen, betont Cafiero. So spiele die Region eine sehr wichtige Rolle für den Erfolg der "Gürtel- und Straße"-Initiative (BRI), die vor ernsthaften Problemen stehen würde, wenn die Region weiterhin von Kriegen heimgesucht wird.
Stabilisierung war dann auch das Ziel des Golf-Deals. Vor fast acht Monaten gelang es der chinesischen Diplomatie nach Verhandlungen, Iran und Saudi-Arabien nicht nur an einen Tisch zu bringen, sondern sogar ein Abkommen abzuschließen.
Nach sieben Jahren Eiszeit haben die beiden Länder nun ihre Beziehungen wieder zu normalisieren begonnen. Ein großer Erfolg für Beijing, wobei man die USA als die dominierende, nicht regionale Macht an die Seitenlinie schieben konnte.
Lesen Sie auch:
Krieg gegen die Hamas: Was ist Israels Endgame?
Außerdem hat China über die Jahrzehnte enge wirtschaftliche Beziehungen mit Israel geknüpft. Das gilt für Bereiche wie Technologie, Infrastruktur oder Tourismus. Beim Waffenhandel gingen die Beziehungen so weit, dass die USA Tel Aviv schließlich aufforderten, diese "abzukühlen". Mit der palästinensischen Seite gibt es keinen nennenswerten wirtschaftlichen Austausch.
Allerdings wird der chinesische Handel mit Israel weit übertroffen von dem mit Saudi-Arabien und den anderen Golfstaaten. Er erreichte im Jahr 2022 ein Volumen von 106 Milliarden US-Dollar – fast doppelt so viel wie der Handel zwischen Saudi-Arabien und den USA. Dazu kommen die Ölimporte auch aus dem Iran.
Beijing wird immer pro-palästinensischer
Und trotz der Balancierung zwischen Israel und palästinensischen Akteuren hat China die israelische Besatzungspolitik immer klar abgelehnt und sich geweigert, die Hamas oder die Hisbollah als Terrororganisationen zu bezeichnen.
Vor dem Hintergrund der wachsenden Empörung vor allem in den arabischen Staaten angesichts der katastrophalen Folgen der israelischen Gaza-Bombardierungen – die nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums in Gaza bisher rund 10.000 getötete Palästinenser einschließen, wovon wieder 40 Prozent Kinder sind –, scheint Beijing den Ton immer mehr zu verschärfen.
Die Rhetorik sei im Verlauf "deutlich pro-palästinensischer" geworden, stellt William Figueroa fest, Professor an der Universität Groningen. Er ist spezialisiert auf die Beziehungen Chinas zu den Ländern des Nahen Ostens.
So beschuldigt China Israel, dass dessen militärische Operationen über "Selbstverteidigung" hinausgingen. Im Sicherheitsrat stimmte man für eine Resolution, die zu humanitären Waffenpausen aufruft.
Zuvor hatte China zusammen mit Russland sein Veto gegen einen US-Resolutionsentwurf eingelegt, in dem das Recht Israels auf Selbstverteidigung bekräftigt und der Iran aufgefordert wurde, keine Waffen mehr an Hardliner-Gruppen zu exportieren.
In einer Abstimmung in der Generalversammlung über eine Resolution über einen humanitären Waffenstillstand – die von 22 arabischen Ländern entworfen und von 120 Staaten angenommen wurde, bei 14 Gegenstimmen, darunter wieder die USA – votierte China dafür.
Beijing, das im November den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat innehat, verkündete bereits, dass man Gaza-Krieg ganz oben auf die Prioritätenliste setzen werde. Das Ziel von China wird sein, die Bombardierung und die Kämpfe so schnell wie möglich zu beenden. Denn Chaos und Gewalt beeinträchtigen die chinesischen Geschäftsinteressen in der Region.
Lesen Sie auch:
Trotz aller Unklarheiten im Moment: Ob China seine Beziehungen, auch die wirtschaftlichen, zu Israel lockern wird bzw. lockern muss, hängt sicherlich vom Verlauf des Kriegs und dem ab, was darauf folgt. Doch je länger der Krieg dauert, je mehr er eskaliert, möglicherweise sogar zu regionalen Kämpfen, umso mehr drohen Beijings Interessen in der Region beschädigt zu werden.
Zudem belastet der Gaza-Krieg das erodierende Verhältnis mit den USA weiter. Die staatliche Zeitung Global Times erklärte in einem Leitartikel nach dem US-Veto im Sicherheitsrat, die USA hätten sich "mit dem Blut unschuldiger Zivilisten befleckt". Daran kann man die Konfrontationsdynamik ablesen, wobei sich China über Palästina enger an die arabische Welt und den Globalen Süden anzubinden versucht.
Die negativen geopolitischen Effekte könnte Tel Aviv am Ende auch ökonomisch zu spüren bekommen, wie Giorgio Cafiero feststellt:
Während es den Chinesen und Israelis in den letzten Jahren im Allgemeinen gelungen ist, ihre politischen Meinungsverschiedenheiten von ihren wirtschaftlichen Beziehungen zu trennen, hat Chinas zunehmend pro-palästinensische Position das Potenzial, erhebliche Irritationen in den bilateralen Beziehungen zu verursachen.
Ein Besuch Benjamin Netanjahus in China, wie Anfang des Jahres in Tel Aviv noch angedacht, ist jedenfalls nach den jüngsten Ereignissen erst mal vom Tisch.