Gaza-Krieg: Wird Haager Chefankläger Khan das Ukraine-Prinzip anwenden?
Seite 2: "Äußerste Besorgnis" artikuliert vom UN-Menschenrechtsbüro
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Drei palästinensische Menschenrechtsgruppen hatten schon letzte Woche eine Klage beim Internationalen Strafgerichtshof eingereicht, in der sie das Gremium auffordern, gegen Israel wegen "Apartheid" und "Völkermord" zu ermitteln und Haftbefehle gegen politische Verantwortliche in Israel zu erlassen.
Die Klage, die am Mittwoch von den Menschenrechtsorganisationen Al-Haq, Al Mezan und dem Palästinensischen Zentrum für Menschenrechte eingereicht wurde, fordert "dringende Aufmerksamkeit für die anhaltenden israelischen Luftangriffe auf dicht besiedelte zivile Gebiete im Gazastreifen", bei denen nach Angaben von Gesundheitsbeamten im Gazastreifen bisher über 11.000 Menschen getötet wurden, rund 40 Prozent davon Kinder.
Schon Mitte Oktober hatte die spanische Ministerin für Soziales eine Erklärung veröffentlicht, in der sie die Regierungskoalition ihres Landes auffordert, beim Internationalen Strafgerichtshof eine Untersuchung von Kriegsverbrechen gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu zu beantragen.
Ione Belarra berief sich dabei auf die anhaltenden Luftangriffe auf den Gazastreifen und die verheerende Blockade der Enklave, die die Versorgung mit humanitärer Hilfe verhindert.
Der Untersuchungskommission des Büros des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) liegen bereits Belege für mögliche Kriegsverbrechen vor, die von allen Seiten bei der jüngsten Gewalt in Israel und Gaza begangen wurden. Drei Tage nach Beginn der Kämpfe erklärte die Kommission, sie sei "äußerst besorgt" über die israelische Aggression und die vollständige Belagerung des Küstenstreifens, die einer "kollektiven Bestrafung" der 2,3 Millionen Einwohner des Gazastreifens gleichkomme.
Die USA opponieren grundsätzlich gegen jegliche Untersuchungen von Israels Vorgehen im Gazastreifen. Andere westliche Staaten unterstützen trotz der vielen zivilen Toten und des humanitären Notstands weiter Israels "Recht auf Selbstverteidigung".
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) betont dabei, dass Israels Sicherheit deutsche Staatsräson sei und er nicht daran zweifele, dass Israel bei seinen Angriffen auf den Gazastreifen das Völkerrecht einhalte.
"Wenn wir uns die Situation in Gaza ansehen, haben wir es mit einem massiven potenziellen Tatort zu tun", sagte Helen Duffy, Professorin für humanitäres Völkerrecht an der Universität Leiden, gegenüber The New Arab und verwies auf eine "beträchtliche Menge an Beweisen", die auf Kriegsverbrechen und möglicherweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord hindeuten.
Sie betonte, dass ein sehr wichtiger Aspekt der Untersuchung die Sicherung der vor Ort gesammelten Beweise sei, die später benötigt werden, um Rechenschaftspflichten zu begründen, was während eines bewaffneten Konflikts jedoch eine enorme Herausforderung darstelle.
Die ehemalige Chefanklägerin des IStGH, Fatou Bensouda, leitete bereits im März 2021 eine Untersuchung zu Palästina ein, unter anderem zu mutmaßlichen Kriegsverbrechen Israels in den besetzten palästinensischen Gebieten Gaza, Westjordanland und Ostjerusalem, die bis ins Jahr 2014 zurückreichen.
Dies geschah nach einer akribischen Voruntersuchung, die sich über sechs Jahre erstreckte, nachdem die Justizbehörde 2009 eine Überprüfung gestartet hatte. Doch nachdem Bensouda im Juni 2021 aus dem Amt geschieden war, hüllte sich das Gericht in Schweigen, so die Journalistin Alessandra Bajec.
Das beklagte dann auch die Sonderberichterstatterin des UN-Menschenrechtsrates für Palästina, Francesca Albanese, und forderte Anfang des Jahres gemeinsam mit unabhängigen Experten der UN, dass der Chefankläger mit den Ermittlungen fortfahren müsse.
Überdies sind die Mittel für die Palästina-Untersuchung unzureichend. Die für 2023 vorgeschlagenen Mittel belaufen sich auf weniger als eine Million Euro, was im Vergleich zu anderen Ländern die geringste Mittelausstattung darstellt.
Ob nach Khans Ankündigung wirklich etwas geschieht, ist vor diesem Hintergrund und angesichts der energischen Opposition aus den USA – die gegen eine Untersuchung und Anklage sind, insofern Israel betroffen ist –, wenig wahrscheinlich. Aber es stimmt auch, dass sich bisher kein Ankläger am IStGH derart deutlich und klar zu Israel geäußert hat, wie The Nation feststellt.
Als Gericht der letzten Instanz verfolgt der Internationalen Strafgerichtshofs mit Sitz in Den Haag (IStGH), der keine UN-Institution ist, Einzelpersonen wegen mutmaßlicher krimineller Handlungen (Genozide, Kriegsverbrechen, Menschenrechtsverbrechen), wenn seine 123 Mitgliedsstaaten nicht willens oder in der Lage sind, sie selbst strafrechtlich zu verfolgen.
Israel ist nicht Mitglied des IStGH. Karim Khan erklärte jedoch gegenüber Reuters, dass Kriegsverbrechen der israelischen Regierung und der Hamas in die Zuständigkeit der Organisation fallen.