Gaza: Neue Luftangriffe trotz Waffenstillstand

Menschen auf dem Trümmern eines Wohnhauses

Israel hat die Bombardierung des Gazastreifens fortgesetzt

(Bild: Anas-Mohammed/Shutterstock.com)

Trotz Waffenruhe setzt Israel seine Bombardierung des Gazastreifens fort. Der jüngste Angriff forderte mehr als 400 Tote. Droht nun eine Eskalation mit dem Jemen?

Eigentlich sollten nach dem 19. Januar 2025 die Waffen schweigen. In Doha verhandelten die Hamas, die USA und Israel indirekt über einen zeitlich begrenzten Waffenstillstand. In einer ersten Phase von sechs Wochen sollten 33 inhaftierte Israelis gegen 1900 politische Gefangene in Israel ausgetauscht werden, um die Grundlage für eine zweite Phase zu legen.

Die nackten Fakten sprechen eine andere Sprache: Die Gesamtzahl der Toten in Gaza ist auf 48.624 gestiegen, es gibt Hinweise auf massive Kriegsverbrechen – von der Umsetzung der zweiten Phase ist man weiter denn je entfernt.

Israel nimmt Luftangriffe wieder auf

Die neuesten Berechnungen der NGO Euro-Med-Human Rights Monitor sind erschütternd. Seit dem 19. Januar 2025 hat die israelische Besatzungsarmee jeden Tag durchschnittlich drei palästinensische Leben ausgelöscht.

Der Bericht legt nahe, dass die IDF vor allem mit Drohnen und Scharfschützen agiert, die großen panzergestützten Häuserkampfbrigaden kommen nicht mehr zum Einsatz. Das scheint plausibel, denn wie der BR berichtet, wurden am Samstag in der Nähe des Dorfes Beit Lahia neun Palästinenser von einer israelischen Drohne getötet.

Vor wenigen Stunden nahm Israel die umfassende Bombardierung des Gazastreifens wieder auf. Laut Angaben des dortigen Gesundheitsministeriums haben die Luftangriffe bislang mehr als 400 Todesopfer gefordert, berichtet die BBC. Die Angriffe fanden laut Medienberichten in Rücksprache mit den USA statt.

Recherchen aus der Hölle

Er werde beide Hände verlieren und nie wieder in der Lage sein, seinen Beruf auszuüben. Das sagten israelische Soldaten zu Dr. Abu Ajwa, einem Arzt im Al-Ahli-Krankenhaus im Zentrum von Gaza. Seine Hände, seine Werkzeuge, um Schmerzen zu lindern.

Seine Häscher verhafteten den Chirurgen nicht mit der Waffe in der Hand, sondern mitten in einer schweren Bauchoperation, als er um das Leben eines Patienten kämpfte.

Das Schicksal des 63-Jährigen, so der Guardian, stehe stellvertretend für Tausende. Hunderte medizinisches Personal seien getötet, 297 Ärzte nach Israel verschleppt worden.

Das UN-Menschenrechtsbüro spricht angesichts dieser Meldungen von "ernsthaften Bedenken" hinsichtlich der Gesundheitsversorgung, der Kollaps werde eintreten.

Was Dr. Ajwa oder Dr. Selmia, Direktor des Al-Shifa-Krankenhauses, über die Behandlungen in Israel aussagen, spottet an Grausamkeit jeder Beschreibung: Entmenschlichung durch erzwungene Tierlaute, Schlafentzug durch laute Musik, Folter mit Toilettenbürsten, Epidemien und Schläge auf gebrochene Gliedmaßen.

Der israelische Kampf gegen palästinensisches Leben beginnt teils schon früher. So bombardierte Israel im Dezember 2023 die wichtigste Fruchtbarkeitsklinik im Gazastreifen. 4000 Embryonen und 1000 Spermaproben wurden zerstört. Zudem verhinderte die israelische Armee die Einfuhr von Schwangerschaftsmedikamenten und Hilfsgütern für die Versorgung von Neugeborenen.

Der UN-Menschenrechtsrat spricht angesichts der "systematischen" Zerstörung der Reproduktionsmedizin in Gaza von "genozidalen Akten".

Verhandlungen trotz Wortbruch

In Doha verhandeln beide Seiten wieder. In der ersten Phase, die vor zwei Wochen endete, hatte die Hamas ihren Teil der Vereinbarung trotz des Fauxpas mit der vertauschten Leiche einer Geisel weitgehend erfüllt (Telepolis berichtete).

Sie übergab 25 Lebende und acht Leichen (insgesamt 33). Es gab keine Angriffe auf israelische Soldaten oder israelisches Territorium. Israel hat seinerseits Gefangene freigelassen.

Dennoch sind die Verhandlungen in eine Sackgasse geraten. Denn Israel schafft Fakten: Der physischen Liquidierung folgt der Entzug der Lebensgrundlagen, das Westjordanland wird zu einem unbewohnbaren Flickenteppich, in dem die verbliebenen Araber den zügellosen Gewaltorgien der Siedlerfanatiker ausgesetzt sind.

Sekundiert wird die israelische Realpolitik von Washington, US-Sondergesandter Witkoff bringt mit einem "Brückenplan" eine Verlängerung der ersten Phase bis nach Ostern ins Spiel.

Spannend ist dabei die US-Formulierung: Der Vorschlag wurde der Hamas nicht einfach unterbreitet, sondern den Hamas-Vermittlern wurde mitgeteilt, dass der "Brückenplan" bald umgesetzt werden müsse. Ein amerikanischer Taschenspielertrick: Vor der Drohkulisse einer Bombardierung zurück in die Steinzeit wird der Hamas die Pistole auf die Brust gesetzt.

Ohne verfügbare Machtmittel, ohne internationalen Back-up (nach weitgehender Ausschaltung ihrer Verbündeten) steht die Hamas mit dem Rücken zur Wand. Sie wird wissen, dass die israelische Armee die Belagerung von Gaza und das Morden nicht einstellen wird, im Gegenteil, die Wochen bis Ostern würden genutzt, um rigoros Fakten zu schaffen.

Aber welche Alternative gibt es? Mit amerikanischer Rückendeckung liegen alle Trümpfe in Tel-Aviv, bei den Verhandlungen in Katar kann es auf Seiten der Hamas nur um Schadensbegrenzung und die rasche Umsetzung eines umfassenden und international kontrollierten Waffenstillstands gehen.

Faktor Jemen

Alle Proxy-Alliierten der Hamas wurden zurückgedrängt oder liquidiert? Nein, die jemenitischen Huthis (Ansharollah) halten sich. Als verlängerter Arm der "Achse des Widerstands" haben die Jemeniten, die über rund 100.000 bewaffnete Kräfte, Drohnen und Lenkraketen aus iranischer Produktion verfügen, das abgekartete Spiel durchschaut.

Die Folge sind Angriffe auf die Nadelöhr-Lebensader der Weltwirtschaft, die Schiffspassage durch das Rote Meer. Doch das US-Militär schlägt zurück: 33 Menschen starben bei Luftangriffen auf Ziele im Jemen.

Die Botschaft, vor allem an die jemenitischen Rebellen, ist klar: Hört auf, euren islamischen Geschwistern in Gaza zu helfen, sonst gibt es "überwältigende, tödliche Gewalt" (Trump).

Neue Spielräume, altes Verhaltensmuster

Erstaunliches kam aus Moskau. Russlands Außenminister Lawrow forderte sehr deutlich ein Ende der amerikanischen Angriffe. Er rief zum Dialog auf.

Das mag in dieser Deutlichkeit überraschen, ist aber die logische Konsequenz aus der strategischen Partnerschaft mit dem Iran und den iranischen Interessen im Jemen. Moskau muss, wegen der diplomatischen Verbindungen und der iranischen Drohnenproduktion, darauf Rücksicht nehmen.

Einen kleinen friedenspolitischen Beigeschmack hat das Ganze dennoch: Gelingt es Russland, sein politisches Gewicht in die Waagschale zu werfen, oder kommt es gar zu einer Verständigung zwischen dem Iran und den USA, würden sich neue Spielräume für die Huthis und eine neue Verhandlungsposition für die Hamas ergeben. Nur: Anders als in der Ukraine mimt Trump im Nahen Osten nicht den Friedensengel, es gilt Carte Blanche für Netanjahu.