Gebt der AfD Sündenböcke! Lasst sie siegen!

Seite 3: "Klimakleber" und andere Blitzableiter des Frusts

Dazu kommen andere Sündenböcke, die rechtsextreme Parteien für sich instrumentalisieren können. Die Hetze gegen "Klimakleber" der Letzten Generation gehört dazu. Mit Desinformationskampagnen und einem rechten Kulturkampf gegen Klimaschutz und die Energiewende hat die AfD bereits bei der letzten Wahl positive Erfahrungen machen können.

Klimaschützer:innen werden seitdem vermehrt zur Sündenbock-Zielscheibe rechtsextremer Agitation. Eine Reihe von Medien helfen tatkräftig mit, indem sie RAF- und Terroristen-Analogien zirkulieren lassen. Der Ex-Vorstandsvorsitzende von RWE Rolf Martin Schmitz nannte Demonstrierende für mehr Klimaschutz einmal in der Bildzeitung "Ökoterroristen", die Süddeutsche Zeitung steckt Waldbesetzer in einen Topf mit "Reichsbürgern, Rechtsradikalen und anderen Rechtsbrechern".

Zugleich spielt die AfD mit den Ängsten rund um Klimaschutz, die von Mainstreammedien durch Horrorszenarien sowie Verbots- und Heizhammer-Kampagnen verstärkt werden. Mit antiwissenschaftlicher Selbstermächtigung wird der Klimawandel zugleich von der rechtsradikalen Partei programmatisch geleugnet und die Notwendigkeit der Energiewende als willkürliches und antisoziales "Projekt" diffamiert:

Die Aussagen des Weltklimarats, dass Klimaänderungen vorwiegend menschengemacht seien, sind wissenschaftlich nicht gesichert. Sie basieren allein auf Rechenmodellen, die weder das vergangene noch das aktuelle Klima korrekt beschreiben können. Wir wollen das Projekt der Dekarbonisierung über die "Große Transformation" beenden und den "Klimaschutzplan 2050" der Bundesregierung aufheben.

Wir erinnern uns: Trump nannte den Klimawandel eine "chinesische Verschwörung" (während er allerdings aufgrund der steigenden Meere seinen Golfplatz in Irland mit Mauern verstärken lässt).

Und wie Trump in den USA werden progressive Errungenschaft mit einem reaktionären, erzkonservativen Programm auch in Deutschland attackiert, bei der diverse Minderheiten im Fokus stehen. So will die sächsische AfD gegen sexuelle Vielfalt an Schulen mobil machen.

Das Ziel bei alldem sollte klar sein: den politischen Unmut von seiner Quelle und Zielscheibe, einer falschen Politik im Dienste von Interessengruppen, Lobbys und Eliten, abzulenken auf die "Feinde unserer Art zu leben", die uns bedrohen.

Dass diese Kampagnen und Ablenkungen verfangen und rechtsextreme Parteien überall in den Industriestaaten an Kraft gewinnen, liegt aber nicht zuletzt an der Schwäche der anderen Parteien. Sie bieten weiter keine Alternativen für die realen Probleme der Menschen an.

Statt die Missstände anzugehen, koperieren sie oftmals schlicht die Rhetorik der Rechtsradikalen oder setzen ihre Wünsche politisch um – die Unionsparteien und die Liberalen ganz vorn mit dabei.

Ein gefährliches Spiel. Die Propagierung einer von Schutzsuchenden, Minderheiten und Klimaschützer:innen bedrohten Republik sind Gift für die Demokratie und befördern niedere politische Instinkte, mit einer Reihe von selbstverstärkenden Effekten.

So zeigen Forscher, dass steigende Bedrohungsgefühle gegen "Andersartige" auch verstärkend wirken auf die Abwertung von sozialen Randgruppen wie Langzeitarbeitslosen, Obdachlosen oder Behinderten. Es spaltet die Gesellschaft, erzeugt Chaos, Hass und Gewalt, wie in den USA sehr gut zu studieren, was die Staaten immer anfälliger für extreme Lösungen macht.

Es gäbe einen anderen Weg. Die neoliberale Politik sollte so schnell wie möglich beendet werden. Die Regierungen müssen endlich auf die originären Sorgen der Menschen reagieren und ihren Lebensstandard sichern durch faire Besteuerung und geänderte Prioritätensetzung.

Statt Reichen, Konzernen und dem Militär weiter das Geld hinterher zuschmeißen – und an anderer Stelle zu sparen –, brauchen die Menschen nachhaltige Arbeitsplätze, demokratische Teilhabe und einen intakten Sozialstaat. Sie brauchen Perspektive und Hoffnung.

Geld dafür ist reichlich vorhanden: Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, Schließung der Steuersümpfe, Umlenkung fossiler und anderer Subventionen und so weiter sind unerschöpfliche Quellen für allgemeinen Wohlstand.

Ein echter Green New Deal – ein Programm aus einem Guss und nicht ein Sammelsurium aus willkürlichen, ineffizienten und im Zweifelsfall unfairen Einzelmaßnahmen –, könnte eine soziale mit einer grünen Wende verbinden und Vertrauen schaffen in die Tatkraft des Staats.

Das wird in der derzeitigen Stimmungslage nicht leicht durchzusetzen sein. Aber es ist unsere einzige Rettung – planetar betrachtet, aber auch, was den rechtsradikalen Treibsand angeht.

Zugleich braucht es eine Politik, die global kooperiert, um die multiplen Krisen international zu lösen, statt sie immer weiter zu eskalieren. Das gilt für den Ukraine-Krieg, aber auch für die Erosionsprozesse in den Ländern des Globalen Südens. Mauern bauen nützt nur den Rechtsextremen, das sollte offensichtlich sein.

Wir leben in einer Zeitenwende, Kanzler Scholz hat in diesem Punkt völlig recht. Die Frage ist nur, in welche Zeit wir uns wenden wollen. Die Wahlerfolge der AfD sind vor diesem Hintergrund schrillende Warnsignale.