Gedanken zur Flut
Die Legende vom gut organisierten Deutschland - Was in Griechenland besser klappt
Als Auslandskorrespondent betrachtet man die Politik im Land, über das berichtet wird, stets mit einem kritischen Auge. Denn insbesondere die Missstände fallen immer stärker ins Auge. Handelt es sich beim Gastland um einen ärmeren, schlechter organisierten Staat, schwingt ein "aber in Deutschland" immer im Hinterkopf mit. Eigentlich, denn bei gleichartigen Ereignissen in beiden Ländern kann sich auch zeigen, dass Deutschland von Griechenland auch einiges lernen könnte.
Der Aufenthalt in Deutschland, das war für mich immer auch eine Erholung vom Chaos der griechischen Politik. In Corona-Zeiten wirken die für die deutschen Mitbürger verwirrenden Maßnahmen der Bundesregierung oft erträglicher als die teilweise drakonischen griechischen Regeln.
Griechenland hat die Pandemie aber auch genutzt, um den öffentlichen Dienst nahezu komplett zu digitalisieren. "Behördengänge" finden fast an allen Stellen, so auch beim Finanzamt, nun digital bei Videotelefonat statt. Die meisten wichtigen Unterlagen können übers Internet bestellt werden und kommen mit einer elektronischen Unterschrift digital zum Bürger. Sie können beliebig oft ausgedruckt werden.
Vieles, was die Annehmlichkeiten eines modernen Staats ausmacht, kann sich Griechenland nicht leisten. Bei staatlichen Dienstleistungen, die schlicht gut geplant sein müssen, hat es im Vergleich zu Deutschland die Nase vorn.
Ein elektronisches Warnsystem
Zu den von der Regierung Mitsotakis forcierten elektronischen Kommunikationsmitteln des Staats zählt auch ein Krisenwarnsystem, das 112 genannt wird. Wenn ein Katastrophenfall droht, wird vom staatlichen Katastrophenschutz an alle im griechischen Mobilfunksystem eingeloggten Telefone über Cell Broadcast eine Warnmeldung geschickt. Diese kommt bei SIM Karten griechischer Anbieter auf Griechisch, während es für die ausländischen in Griechenland betriebenen Telefone eine englische Version gibt.
Hochwasser in Aachen und Euböa (10 Bilder)
Es muss für diesen Dienst keine App installiert werden. Das Einzige, was notwendig ist, ist die Freigabe am Telefon für die Cell Broadcast Meldungen. Dann erscheint im Krisenfall die Meldung auf dem Smartphone und überdeckt sämtliche anderen Benachrichtigungen, so dass sie nicht übersehen werden kann.
Einmal fiel diese Meldung aus, am 9. August 2020. Damals versanken große Teile der Insel Euböa in einer Wasserflut, die durch Starkregen des Tiefs Thaleia ausgelöst wurde. Die Kritik an der Regierung kam von allen Seiten und allen Medien. Denn nachweislich ertrank ein Säugling im Ort Psachna im Erdgeschoss eines Wohnhauses, weil die Flut die dort Urlaub machende Familie ohne jegliche Vorwarnung traf.
Dabei ist "ohne Vorwarnung" nur bezüglich der 112-Nachricht zu verstehen. Denn im Vorfeld von Schlechtwetterlager überbieten sich die griechischen Medien mit Sonderberichten und Warnmeldungen. Das Ausbleiben der 112-Nachricht für die Flut von Euböa begründete der zuständige ministerielle Staatssekretär Nikos Hardalias damals damit, dass er keine Panik auslösen wollte, weil sein Amt angeblich zu spät vom Wetterdienst gewarnt wurde. Hardalias argumentierte, dass eine Warnung in buchstäblich letzter Minute viele beim Verlassen der Häuser buchstäblich in die Fluten geführt hätte.
Eine Vorwarnung, vier Tage vor der Flut, wie es sie in Deutschland gab, hatte Hardalias damals nachweislich nicht.
Steht ein Schlechtwetterphänomen, eine Hitzewelle, ein Orkan oder aber eine Gefährdungslage für Waldbrände an, dann werden die Griechen vor dem Ernstfall über die Verhaltensregeln für eventuelle Katastrophen informiert. TV-Sender sind zur Ausstrahlung derartiger Spots gesetzlich verpflichtet.
Bei drohenden Fluten wegen Starkregen zählt auch dazu, dass Bewohner von Parterre- und Souterrain-Wohnungen ausdrücklich aufgefordert werden, bei Verwandten, Freunden oder Bekannten in höheren Etagen unterzukommen. Das gilt auch für das aktuelle Tief, das das Wetterphänomen, was NRW und Rheinland-Pfalz überflutete, nach Griechenland bringt.
Wetterfesteres Mobilfunknetz
Während drei Flutkatastrophen in Griechenland, im November 2017 in Mandres Attika, im September 2018 und im August 2020 auf Euböa, blieb das Mobilfunknetz weitgehend intakt, auch wenn die Strom- und Wasserversorgung in den betroffenen Gebieten ausfiel oder aus Sicherheitsgründen abgeschaltet wurde. Umso überraschender war es, in Deutschland zu erleben, wie Kommunikation, aber auch Warnsysteme in der "Jahrhundertflut" in Nordrheinwestfalen und Rheinland-Pfalz zusammenbrachen.
Verstörend war auch, dass vor allem in der ersten Nacht nach der Flut durch den Starkregen des Tiefs Bernd viele Gefahrenpunkte nicht weitgehend abgesperrt waren. Bei einer nächtlichen Tour durch Aachen durch schon am Nachmittag besuchte Orte mit anschwellenden Bächen war gegen 2 Uhr Donnerstagmorgen die B258, die Monschauer Straße in Aachen, auf der Höhe der Kreuzung mit dem Iterbach gesperrt. Ein PKW samt Fahrer wurde nach Auskunft der Feuerwehr aus den Fluten des Bachs geborgen, und danach wurde die zentrale Verkehrsader gesperrt. Eine Umleitung war nicht ausgeschildert.
Wie auch? Rettungskräfte und Polizei sind in Katastrophen oft überfordert. Allerdings füllen in Griechenland die Medien die Informationslücke. Sie nehmen, unabhängig von ihrer regierungsfreundlichen oder regierungskritischen Einstellung, ihren Grundauftrag zur Information der Bürger wahr.
Ein öffentlich-rechtlicher WDR, der ungerührt sein normales Programm mit der Popnacht im Radio und Dokus im TV weiterführt, während in Wuppertal die Überflutung im Gang war und in der Eifel Orte wie Schuld von den Regenmassen fortgespült wurden, wäre in Griechenland undenkbar. Sollte es doch geschehen, wären Rücktritte von Verantwortlichen fällig. Dies in einem Land, in dem Politiker selbst bei dicken Skandalen den Rücktritt als Konsequenz vermeiden.
Zum Stichwort Politiker und Katastrophen ist zu bemerken, dass Politiker, die wie der Kanzlerkandidat Armin Laschet beim Lachen erwischt werden, wenn um sie herum das Chaos herrscht und Tote zu beklagen sind, ihre Karriere beenden oder aber vom Wähler abgestraft werden.
Die Wahlniederlage von Tsipras im Juli 2019 und vorher bei den Europawahlen im Frühjahr hängt auch mit dem schlechten Krisenmanagement der Syriza-Regierung beim verheerenden Waldbrand von Mati (Attika) zusammen. Seinerzeit, am 23. Juli 2018, war Tsipras eilig zu einem Krisentreffen geeilt und hatte sich locker den Kameras präsentiert, während es intern bereits Berichte über zahlreiche Tote gab. Das Tsipras die Kenntnis der Todesfälle nachgewiesen wurde, erwies sich als hohe politische Hypothek.
Die Frage, ob Politiker bei Katastrophen eher stören oder doch helfen, wurde in Griechenland dahingehend beantwortet, dass die Präsenz der Politiker bei Krisenstäben vor Ort mehr positive als negative Auswirkungen hat. Auch in Aachen Kornelimünster, einem von der Inde überfluteten Ort, konnte der Besuch der Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen die Gemüter aufgebrachter Bürger besänftigen.