Gefährliche Sonnenstürme bis zu hundertmal häufiger als angenommen

Matthias Lindner
Ein Künstler stellt den unglaublich starken Sonnensturm dar, der vom Roten Zwergstern EV Lacertae ausging.

Ein Künstler stellt den unglaublich starken Sonnensturm dar, der vom Roten Zwergstern EV Lacertae ausging.

(Bild: Casey Reed/NASA)

Unsere Sonne ist ein unruhiger Stern. Eine neue Studie zeigt: Alle hundert Jahre könnte sie einen gewaltigen Superflare ausstoßen. Mit fatalen Folgen für die Erde.

Es ist kein Geheimnis, dass unsere Sonne ein unberechenbarer Stern ist. Immer wieder zeigt sie sich von ihrer temperamentvollen Seite und schleudert Teilchen und Strahlung in den Weltraum. Meistens ohne größere Konsequenzen für die Erde. Doch manchmal entlädt sich die Energie in Form von gewaltigen Sonnenstürmen, sogenannten Superflares.

Forscher konnten kürzlich anhand von Baumringen nachweisen, dass extreme Sonnenstürme immer wieder auf der Erde spürbar waren. In der heutigen Zeit, die stark von Technologie geprägt ist, kann das erhebliche Folgen haben: Stromnetze könnten lahmgelegt werden; Satelliten könnten wie kürzlich in Australien zum Absturz gebracht werden; oder Stromnetze könnten gestört werden. Eine Vorhersage dieser Sonnenstürme wird deshalb immer wichtiger.

Mehr Energie als eine Billion Wasserstoffbomben

Einen wichtigen Schritt in diese Richtung hat nun ein internationales Forscherteam unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) gemacht. Solche Ereignisse könnten häufiger auftreten, als bisher angenommen, stellten sie fest. Laut der im Fachjournal Science veröffentlichten Studie produzieren sonnenähnliche Sterne durchschnittlich etwa einmal alle hundert Jahre einen gigantischen Ausbruch an Strahlung.

Solche Superflares setzen mehr Energie frei als eine Billion Wasserstoffbomben und stellen alle bisher registrierten Sonneneruptionen in den Schatten. Das Eruptionspotenzial dieser Sterne wurde bisher offenbar stark unterschätzt. In den Daten des NASA-Weltraumteleskops Kepler sind sonnenähnliche Superflares zehn- bis hundertmal häufiger als bisher angenommen.

Kepler-Teleskop liefert Daten von 56.450 sonnenähnlichen Sternen

Das Team analysierte Daten von 56.450 sonnenähnlichen Sternen, die das Kepler-Teleskop zwischen 2009 und 2013 beobachtet hatte. Alexander Shapiro von der Universität Graz erklärt: „Insgesamt liefern uns die Kepler-Daten Belege für 220.000 Jahre stellarer Aktivität.“

Entscheidend für die Studie war die sorgfältige Auswahl der zu berücksichtigenden Sterne. Die Forscher ließen nur Sterne zu, deren Oberflächentemperatur und Helligkeit der Sonne ähnlich sind. Außerdem schlossen sie zahlreiche Fehlerquellen aus.

Auf diese Weise identifizierte das Forscherteam 2.889 Superflares auf 2.527 der 56.450 beobachteten Sterne. Das bedeutet, dass ein sonnenähnlicher Stern im Durchschnitt etwa einmal pro Jahrhundert einen Superflare erzeugt.

Neue Daten erinnern an Sonnenausbrüche als Teil des natürlichen Repertoires

„Wir waren sehr überrascht, dass sonnenähnliche Sterne zu so häufigen Superflares neigen“, sagte Erstautor Valeriy Vasilyev vom MPS. Frühere Untersuchungen hätten durchschnittliche Intervalle von tausend oder sogar zehntausend Jahren gefunden.

Die neuen Daten erinnern eindringlich daran, dass selbst die extremsten Sonnenereignisse zum natürlichen Repertoire der Sonne gehören, betonte Co-Autorin Natalie Krivova vom MPS. Bei einem der heftigsten Sonnenstürme der letzten 200 Jahre, dem Carrington-Ereignis von 1859, brach das Telegrafennetz in großen Teilen Nordeuropas und Nordamerikas zusammen.

Schätzungen zufolge setzte der damit verbundene Flare nur ein Hundertstel der Energie eines Superflares frei. Heute wären neben der Infrastruktur an der Erdoberfläche vor allem Satelliten gefährdet.

Verlässliche Vorhersage von Weltraumwetter ist wichtigster Schutz

Die wichtigste Vorbereitung auf starke Sonnenstürme ist daher eine zuverlässige und rechtzeitige Vorhersage. Vorsorglich könnten etwa Satelliten abgeschaltet werden. Ab 2031 wird die Raumsonde Vigil der ESA bei diesem Vorhaben helfen.

Von ihrer Beobachtungsposition im Weltraum aus wird sie die Sonne von der Seite betrachten und früher als erdgebundene Sonden bemerken, wenn sich auf unserem Stern Prozesse anbahnen, die gefährliches Weltraumwetter auslösen könnten. Das MPS entwickelt derzeit den polarimetrischen und magnetischen Bildgeber für diese Mission.