Gefährlicher Schmusekurs

Wie Wissenschaftler auf die Religion zugehen. Letzter Teil der Evolutionsserie

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Grundsatzdiskussionen zwischen Wissenschaft und Religion entzünden sich auch heute noch vorwiegend an der Evolution. Dies geschieht nicht nur in den USA und nicht nur christliche Fundamentalisten spielen hierbei eine Rolle. Merkwürdig ist jedoch, dass sich Gegenargumente und Argumentationsrituale praktisch nicht verändert haben, trotz aller Fortschritte in der Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten. Selbst islamische Evolutionskritiker argumentieren inzwischen schon so wie ihre christlichen Kollegen. Es sieht ganz so aus, als würde die Evolutionstheorie gesellschaftlich sogar an Boden verlieren (Ungeliebte Evolutionstheorie). Im Lichte dieses Rückschlags ist eine Betrachtung der Ideen Hoimar von Ditfurths höchst interessant, mit denen er von der Position eines Wissenschaftlers aus auf die Theologen zuging – vor einem Vierteljahrhundert.

Evolution und Religion: Himmelfahrt der Krone der Schöpfung mit Hilfe des Erzdinos Gabriel. Foto (M): Christian Gapp

Hoimar von Ditfurth (1921-1989) war der vielleicht profilierteste deutschsprachige Wissenschaftspublizist seiner Zeit. Vor allem in den 1970er Jahren veröffentlichte er erfolgreiche populärwissenschaftliche Bücher wie "Kinder des Weltalls" oder "Im Anfang war der Wasserstoff" und produzierte viel beachtete Fernsehsendungen. Von Hause aus Psychiater und Neurologe, kam er im Laufe der 60er Jahre während seiner Forschungs- und Entwicklungsarbeiten beim Pharmaunternehmen Boehringer Mannheim eher durch Zufall zu publizistischen Aufgaben.1 Als Leiter der Entwicklung für Psychopharmaka arbeitete er mit unterschiedlichsten Wissenschaftlern zusammen, beispielsweise auch mit dem Verhaltensforscher Konrad Lorenz. Die Projekte konnten nur interdisziplinär bewältigt werden.

Von Ditfurth hatte nun die Idee, zur Verbesserung der Kommunikation zwischen den einzelnen Fachwissenschaftlern und als Darstellung nach außen eine möglichst allgemeinverständliche Folge von Beiträgen zu veröffentlichen. Daraus entstand die Serie "n + m" ("Naturwissenschaft und Medizin", später als "Mannheimer Forum" weitergeführt), die sich als äußerst erfolgreich erwies. Wichtig war ihm vor allem, dass eine klare Sprache gepflegt wurde, weg von den jeweiligen fachchinesischen Dialekten (was nicht selten Konflikte mit den Wissenschaftlern verursachte, denen eine umgangssprachliche Umschreibung ihrer Fachvokabeln oft als "unwissenschaftlich" erschien.2 Schließlich hatte ihn das publizistische Fieber so stark erfasst, dass er, zum Entsetzen des Firmeninhabers, seinen inzwischen eingenommenen Geschäftsführerposten aufgab und begann, als freier Wissenschaftspublizist zu arbeiten.

1981 veröffentlichte er, für viele seiner vornehmlich naturwissenschaftlich interessierten Leser sicherlich überraschend, ein Buch mit dem Titel "Wir sind nicht nur von dieser Welt"3. War von Ditfurth etwa dabei, aus dem Lager der Evolutionsbefürworter in das der spirituell inspirierten Gegner zu wechseln? Keinesfalls. Er unternahm vielmehr den Versuch zu begründen, wie die Evolution als Indiz für die Existenz einer transzendentalen Wirklichkeit, eines "Jenseits", interpretiert werden könnte.

Ditfurths Ausgangspositionen

Charakteristisch für Ditfurths Wissenschaftsjournalismus war seine konsequente Lust, nicht nur einzelne Sachverhalte herauszuarbeiten - und seien sie auch noch so faszinierend -, sondern Zusammenhänge aufzuzeigen. Dies war denn auch der Titel eines seiner Bücher. Die Darwinsche Evolution und ihre Wirkmechanismen waren sowohl zentraler Gegenstand seiner Publikationen, als auch sein intellektuelles Rückgrat. Er war ein eifriger und unerschrockener Verfechter ihrer Aussagen, und er war sich natürlich über die Einwände ihrer Gegner bewusst.

Detailliert und spannend führte er all die Argumentationsketten an, die gegen teleologisches Denken und den Paleyschen Uhrmacher sprechen und belegen, dass die Evolution keine unwahrscheinlichen Zufallsprodukte hervorzaubert. Ganz bewusst wählte er daher als Beispiele für die Wirkmechanismen der Evolution Themen wie das Cytochrom c-Molekül oder das menschliche Auge, von denen Evolutionsgegner bis heute hartnäckig behaupten, sie wären zu komplex, um mit evolutionären Methoden entstanden sein zu können (Vom Missbrauch der Wissenschaft). Seine damaligen Argumente sind weiterhin ohne Einschränkungen gegen den erst später gezielt geschaffenen Mythos vom Intelligent Design (ID) einsetzbar. Dies belegt eindringlich, wie abgestanden und intellektuell verbraucht die angeblich neuen ID-Vorstellungen in Wahrheit sind.

Ditfurth wusste, dass "Wissenschaft" für einen Großteil der Bevölkerung gleichbedeutend ist mit Technik, einschließlich deren Versprechungen und Gefahren. Für ihn war jedoch die Grundlagenforschung die Seele der Naturwissenschaften. Sie stellte für ihn ein essentiell kulturelles, zutiefst menschliches Hinterfragen und Erklären der Welt dar. Es war ihm wichtig, insbesondere die Evolution als ein Gesamtkonzept darzustellen, das nicht auf die Biologie beschränkt ist:

In Wirklichkeit bezieht sich das Wort Evolution auf einen zentralen Begriff des heutigen naturwissenschaftlichen Weltbildes, der auch das Selbstverständnis des Menschen, das sich aus diesem Weltbild ableitet, entscheidend zu prägen begonnen hat.

Damaliger Status des Diskurses zwischen Wissenschaft und Theologie

Ein öffentlichkeitswirksamer Angriff von religiös motivierten Gegnern auf die Naturwissenschaften auf breiter Front fand damals nicht statt, obwohl natürlich insbesondere die Kreationisten in den USA schon ausgesprochen umtriebig waren. Der Islam spielte für Ditfurth keine spezielle Rolle. Der Diskurs fand, wenn überhaupt, im Westen zwischen christlichen Theologen und der Naturwissenschaft statt.

Ditfurth charakterisierte sich selbst als gottgläubigen Menschen. Allerdings lehnte er jede Form von religiösen Glaubensüberzeugungen, die das Außer-Kraft-Setzten von Naturgesetzten bedingen, vehement ab:

Wenn mythologische Aussagen aber auf ihren bloßen Wortsinn reduziert werden, dann gerinnen sie … zum Aberglauben. Wir können … nicht in Abrede stellen, dass wir dieser Gefahr schon weitgehend erlegen sind. Von der anschaulich vorgestellten Himmelfahrt Christi, … von dem Glauben an angeblich historisch verbürgte Fälle des Außer-Kraft-Setzens von Naturgesetzen (als vermeintlich einzig überzeugende Beweise für die Existenz göttlicher Macht) … - die Möglichkeiten, den Gehalt alter Texte auf diese oder ähnliche Weise abergläubig misszuverstehen, sind allgegenwärtig. … Da sind dann allerdings Kollisionen mit der Naturwissenschaft ganz unausbleiblich. Denn in sämtlichen Fällen werden Zusammenhänge unterstellt, die allem widersprechen, was wir heute über die Natur und ihre Gesetze wissen.

Die Theologen fühlten sich, so von Ditfurth, seit langem von einer ihre Glaubenspositionen unterminierenden Naturwissenschaft eingekreist. Ihre Rückzugsgebiete würden immer kleiner. Ditfurths Buch ist aber kein Appell an die Naturwissenschaftler, ab sofort bitte "netter" zu den Theologen zu sein. Im Gegenteil:

Die heute üblichen 'offenen' Diskussionen … zwischen Naturwissenschaftlern und Theologen zeichnen sich vor allem durch beflissene Artigkeit aus. … Der Konsens bezieht sich allerdings nicht auf den Konflikt selbst, der in der Regel wortreich zugedeckt oder nachtwandlerisch umgangen wird. Er bezieht sich auf die stillschweigende Übereinkunft, nett zueinander zu sein und alle Fragen zu unterlassen, die das Gegenüber womöglich in Verlegenheit bringen könnten. … Damit ist der erste Schritt zur unbewussten Selbstzensur getan, die derartige Fragen von vornherein verdrängt. Der Friede, der zwischen den Naturwissenschaften und der Theologie heute zu herrschen scheint, ist ein fauler Friede.

Wenn ein christlicher Theologe heutzutage mit einem Naturwissenschaftler debattiert, dann hat sich meist nicht viel geändert. Man versucht immer noch, vor allem "nett" zueinander zu sein. Vor kurzem war dies exemplarisch zu bewundern in einem "Streitgespräch über Hirnforschung und Religion" zwischen dem Ratsvorsitzenden der EKD, Bischof Wolfgang Huber und dem "gelernten" Physiker Martin Urban, Leiter des Wissenschaftsressorts der Süddeutschen Zeitung. Abgedruckt wurde es in der letzten Novemberausgabe von Spektrum der Wissenschaft unter dem Titel "Theologie ist die demütiger Wissenschaft".4

Dithfurths theologischer Ansatz

Charakteristisch für den faulen Frieden zwischen Wissenschaft und Theologie ist die zumindest stillschweigende getroffene Vereinbarung, dass Menschen in einer schizophrenen Geisteshaltung leben können: einer rationalen Wissenschaftswelt und einer religiösen Sinnwelt. Pauschale, "nette" Behauptungen der Art: "Wissenschaft und Religion widersprechen sich nicht", übertünchen die herrschenden eklatanten Verwerfungen. Wo die Prioritäten liegen, ist dabei oft nicht klar. Nicht mal den Beteiligten. Es ist wichtig festzustellen, dass es sich hierbei um kein Problem für Menschen mit mangelnder Bildung handelt, denn selbst Wissenschaftler können zuweilen wie selbstverständlich schizophren leben. So klagte Hans Ulrich Gumbrecht über seine kalifornischen Kollegen, die sonntagmorgens niemals am Telefon zu erreichen sind:

Derselbe Kollege, mit dem ich dann am nächsten Abend bis in die frühen Morgenstunden über Dekonstruktion oder was auch immer diskutieren kann, glaubt oft in dieser ontologischen Weise an Gott und zieht daraus auch weitgehend Konsequenzen. Das bleibt mir wohl für immer fremd …

Von Ditfurth geht demgegenüber davon aus, dass "die Wahrheit" unteilbar ist. Es gibt nur eine Welt, in der wir leben. Wir sehen sie nur deshalb aus den Blickwinkeln der unterschiedlichsten Spezialdisziplinen, weil unser Erkenntnisvermögen naturgemäß begrenzt ist. Wir Menschen brauchen die Spezialisierung in ganz unterschiedliche Bereiche – Naturwissenschaften, Kunst, Musik, Mathematik, Philosophie, Theologie, Linguistik, … - und zwar nur deshalb, weil unser Auffassungsvermögen begrenzt ist.

Ernst Bloch zitierend wendet er sich gegen die Vorstellung eines simplen, das Phänomen Leben nicht begründen könnenden "Klotzmaterialismus". Wer das Wort Materialismus immer noch als Schimpfwort benutze, würde nur verraten, dass er nicht wüsste, was Materialismus im wissenschaftlichen Sinne sei. Aber es sei andererseits auch einer der gravierendsten Irrtümer der Aufklärung gewesen, die Ansicht zu vertreten, mythologische Aussagen würden sich grundsätzlich auf nichts beziehen, was existieren würde. Zudem hätte es immer schon ein religiöses Verlangen im Menschen gegeben. Diese Sehnsucht sei zwar oft grausam missbraucht worden; Religion diente als Herrschafts- und Unterdrückungsinstrument, rosarote Wunschwelt und entrücktes Belohnungs-Schlaraffenland für im irdischen Leben Zukurzgekommene. Aber daraus zu folgern, Religion sei vollkommen irrational, sei letztendlich nicht begründbar.

Von Ditfurth geht nun von folgenden Voraussetzungen aus:

  1. Zwar lässt sich weder naturwissenschaftlich, noch philosophisch beweisen, dass es eine von meinem eigenen Bewusstsein unabhängige Realität gibt. Zur Vermeidung einer Selbstblockade ist jedoch die Position des "hypothetischen Realisten" die einzig plausible, also davon auszugehen, dass es eine reale Welt gibt.
  2. Die Evolution im Sinne Darwins ist eine Tatsache und ein universelles, den ganzen Kosmos umgreifendes Prinzip.
  3. Evolutionäre Erkenntnistheorie: Zwar ist die Richtung der Evolution niemals vorgegeben, jedoch lässt sich das Auftreten immer komplexerer Lebewesen als Erkenntnis gewinnender Prozess auffassen.5
  4. Es gibt weitaus mehr in der Welt, als dem Menschen unmittelbar zugänglich ist. Der Mensch ist ein Produkt der Evolution. Unsere Sinne und unser Erkenntnisvermögen sind somit entstanden, um zu überleben, nicht, um uns die Welt objektiv und vollständig erfahrbar zu machen. Wir sind nur zufällig die ersten Lebewesen auf der Erde, die ein Bewusstsein erlangt haben, zusammen mit Fähigkeiten zur Abstraktion. Dies erlaubt uns, punktuell über den biologischen Erfahrungshorizont hinaus zu schauen.
  5. Die positivistische Methodik, die in der Naturwissenschaft angewendet werden muss, hat keine grundsätzliche Bedeutung über die Naturwissenschaften hinaus. Sie ist eine pragmatische, wenn auch außerordentlich erfolgreiche Methode des überprüfbaren, wissenschaftlichen Arbeitens. Von daher könnten durchaus Dinge existieren, die mit der wissenschaftlichen Methodik nicht erfassbar sind – auf keinen Fall jedoch "Wunder".

Hoimar v. Ditfurth erklärt ausführlich die auf Arbeiten Konrad Lorenz' aufbauende evolutionäre Erkenntnistheorie. Skepsis gegenüber der menschlichen Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit gäbe es schon seit den ersten Anfängen von Philosophie und religiösem Denken. Letztendlich habe Kant gezeigt, dass bestimmte Denkkategorien, beispielsweise die von Raum und Zeit, nicht objektiv aus der realen Welt übernommen wurden, sondern quasi a priori im menschlichen Denken verankert sind. Für Kant unlösbar war das Problem, warum diese unabhängig von der Welt vorhandenen Kategorien im täglichen Leben für den Umgang mit der realen Welt so problemlos funktionieren. Hier setzen die Erkenntnisse von Lorenz an, der argumentiert, solche Kategorien seien zwar für das menschliche Individuum a priori, sie seien allerdings im Laufe der evolutionären Anpassung an die Umwelt genetisch codiert worden. Genau deshalb würden sie zur realen Welt "passen". Für eine biologische Art als Ganzes sei der Erkenntnisgewinn somit leicht a posteriori zu erklären.

Wissen und Erkenntnis sind im evolutionären Sinne nicht an ein Bewusstsein gebunden. Auch der Flügel eines Vogels repräsentiert Wissen über die reale Welt, und zwar über die physikalischen Eigenschaften der Luft. Analoges gilt für das Auge und die spektralen Eigenschaften des Sonnenlichts. So gesehen sind in dem Bauplan eines komplexen Organismus größere Teile der realen Welt abgebildet, als in einfacher gebaute Lebewesen. Was spricht dagegen, "Geist" und "Bewusstsein" ebenso als Ausprägungen von Eigenschaften der realen Welt zu sehen, nicht nur als spontan entstandene Phänomene bei bestimmten, hoch entwickelten Lebewesen?

Ohne jede Frage also gibt es eine Realität auch jenseits unserer Vernunft. (Der Geisteswissenschaftler möge bitte nicht übersehen, dass der Beweis dafür letztlich nur mit dem evolutionären Argument geführt werden kann…).

Das Jenseits

Die Evolution interpretiert Ditfurth als Erkenntnisprozess kosmologischen Ausmaßes, dem sich die objektive, reale Welt zunehmend erschließt. Die Schöpfung sei nicht, wie von den Religionen behauptet, längst abgeschlossen, sondern sie sei noch voll im Gange. Dies erkläre nicht zuletzt die offensichtliche Unvollkommenheit der menschlichen Spezies. Das "Ziel", auf das sich die Evolution zu bewegt, sei das "Jenseits". Allerdings verwendet er den Begriff "Ziel" nur in Ermangelung eines besseren Ausdrucks. Er weist explizit darauf hin, dass "Ziel" in diesem Zusammenhang keine aus der Zukunft auf die Gegenwart einwirkende teleologisch zu verstehende Ursache darstellt.

Von Ditfurth ist sich der Unzulänglichkeiten der Sprache klar bewusst, die "unübersehbar antropomorph strukturiert" sei. Als lebten wir noch in der Steinzeit, in der jeder Gegenstand, jeder Baum, jeder Strauch beseelt sein konnte, werden Subjekte in unseren Sätzen immer wie bewusst handelnde Personen aufgefasst. "Die Blätter rauschen" ist sprachlich äquivalent mit "Platon philosophiert". Das Deutsche ist zudem eine der merkwürdigen Sprachen, in der sogar Gegenstände ein Geschlecht bekommen. Aber womit, bitteschön, sollte sich "der Tisch" denn paaren?

Die archaische, mit unendlich vielen, sich ständig wandelnden Metaphern ausgestattete menschliche Sprache ist für Missverständnisse und nachträgliche, mystische Umdeutungen geradezu prädestiniert. Aber wir sind so gewöhnt daran, dass uns die sprachlichen Zumutungen für gewöhnlich überhaupt nicht auffallen. Haarig wurde es jedoch spätestens in der Philosophie. So manches philosophische Problem ließ sich zwar sprachlich formulieren, wurde aber erst mit nicht-sprachlichen Mitteln zugänglich (wie beispielsweise das nur mathematisch aufzulösende Paradoxon vom Wettrennen des Achilles mit der Schildkröt).

In seinem Buch versucht Hoimar von Ditfurth ausdrücklich nicht, neue Begriffe zu definieren. Ihm kam es darauf an, eine kreative Richtung zu skizzieren und den faulen Frieden zwischen Naturwissenschaften und Theologie konstruktiv zu beenden.

Was bleibt?

"Wir sind nicht nur von dieser Welt" hatte keine nachhaltige Wirkung entfaltet. Diskussionen zwischen Naturwissenschaft und Theologie werden immer noch "nett" geführt. Huber und Urban diskutierten beispielsweise, ob das Reden in Ekstase ("Zungenrede", Glosollalie), das neurologisch erklärt werden kann, nicht vielleicht doch auch religiöse Relevanz haben könne. Bei Naturwissenschaftlern dürfte seinerzeit zudem wenig Neigung bestanden haben, sich mit Dingen wie einem evolutionären Jenseits zu beschäftigen. Die Diskussion mit den Gegnern der Evolution erschien sowieso praktisch gewonnen.

Dass Ditfurths Vorstoß bei Theologen keine Jubelschreie auslöste, liegt auf der Hand. Zwar betonte er immer wieder, dass es letztendlich die Theologen sein müssten, die das von ihm skizzierte, evolutionäre Jenseits mit Substanz und Begrifflichkeit füllen müssten. Nun stellt sicherlich speziell seine Relativierung der Brauchbarkeit von Sprache für alle drei mosaischen Religionen eine fast unüberwindliche Barriere dar. "Am Anfang war das Wort" ist schließlich für Juden, Christen und Moslems ein wesentlicher Glaubenspunkt. Aber auch die zunächst notwendige Entrümpelung des begrifflichen Tempels, um es mal metaphorisch auszudrücken, also der konsequente Verzicht auf alle Elemente des naturgesetzlichen Außer-Kraft-Setzens, von der Jungfrauengeburt bis zur "telekinetischen" Wirkung von Gebeten, dürfte praktisch alle Religionen überfordern. Letztendlich sah Ditfurth keinen bequemem, netten Schmusekurs zwischen Naturwissenschaft und Religion: Er forderte nicht weniger als das Nachdenken über eine völlig neue Art von Religion.

Survival of the Fittest: Religiöse Fundamentalisten – die evolutionären Sieger

Im letzten Vierteljahrhundert ist der Berg der wissenschaftlichen Belege für die Evolution zu einem Gebirge angewachsen. Die Genetik hat sich rasant entwickelt und gestattet die Erstellung genetischer Stammbäume. Evolutionäre Veränderungen sind inzwischen belegt, selbst bei verhältnismäßig großen Tieren wie Buntbarschen und Fröschen. Auch die evolutionäre Weiterentwicklung des Menschen ist sichtbar. Die sich herausschälende zentrale Bedeutung des physikalischen Informationsbegriffes, von der Entropie Schwarzer Löcher bis zur Verschränkung von Quantensystemen, könnte sogar als Untermauerung von Hoimar v. Ditfurths These aufgefasst werden. Wieso ist aber dann der Zweifel an der Evolutionstheorie in all den Jahrzehnten nicht nur nicht kleiner geworden, sondern sogar auf dem Vormarsch?

Es gibt keine singuläre Ursache. Die technologischen Desaster des letzten Vierteljahrhunderts spielen sicherlich eine Rolle bei der individuellen Bewertung von Wissenschaft. Weiterhin hat der Sieg des wissenschaftlich-rationalen Westens im Kalten Krieg nicht "das Ende der Geschichte" gebracht, sondern neue blutige Konflikte, in denen religiöse und quasi-religiöse Motive ihre machtvolle, blutige Wirkung und damit die Hilflosigkeit des Westens eindrucksvoll demonstriert haben. Auch psychologische Komponenten spielen eine Rolle. Eine ist die uns Menschen angeborene Eigenart, dem Zufall intuitiv keine Rolle zugestehen zu können (Vom Missbrauch der Wissenschaft). Wir suchen daher selbst in Situationen nach "Sinn", wo es nachweislich gar keinen Sinn gibt. Zudem fällt es Menschen offensichtlich erschreckend leicht, in schizophrenen Teilwelten zu leben. Nur in den wenigsten Menschen scheint ein tief verwurzeltes Verlangen zu schlummern nach "der einen Welt": Selbst für manche Physiker ist es offenbar kein Widerspruch, die Gesetze der Quantenmechanik für die Urananreicherung zu nutzen und gleichzeitig von ihren Frauen zu verlangen, nur verschleiert aus dem Haus zu gehen.

Eine eindrucksvolle Begründung für das Erstarken von religiösen Fundamentalismen liefert aber ausgerechnet die Evolutionstheorie selbst. Der Philosoph Daniel Dennett stellt fest, Religionen seinen in der sozialen Evolution offenbar sehr erfolgreich. Er argumentiert weiter, dass aufwändiges, nur schwer zu imitierendes Verhalten evolutionär belohnt wird. So in etwa wie das bunte, aber unpraktische Federkleid eines Pfaus. Wilde religiöse Vorstellungen wie die einer körperlichen Auferstehung seien somit spannender und erzeugten mehr Aufmerksamkeit, als nüchterne Erklärungen. Deshalb wohl verlören beispielsweise liberale, christliche Positionen weltweit derzeit an Boden gegenüber christlichen Fundamentalisten.

Dieses Argument ist ernst zu nehmen, besonders von Befürwortern der Evolution, von denen viele immer noch naiv davon träumen, die Vernunft würde sich schon noch durchsetzen. Denn selbst wenn von Ditfurth mit seinen Vermutungen vom evolutionären Jenseits Recht hätte, ist die Evolution kein Garant für die Höherentwicklung einer Spezies. Evolution ist vor allem Anpassung an sich verändernde Umgebungsbedingungen. Und das Maß für den Erfolg einer Art ist immer noch die Anzahl ihrer zeugungsfähigen Nachkommen, nicht die Zahl ihrer Nobelpreise.