Gefängniszellen für Saakaschwili
2003 stürzten die Georgier mit der Rosenrevolution den damaligen Präsidenten Eduard Schewardnadse. Nun scheint in Tiflis die Zellenrevolution stattzufinden
Seit Dienstag, als nach dem Ende des orthodoxen Osterfestes die Anti-Saakaschwili-Proteste wieder fortgesetzt wurden, werden in der georgischen Hauptstadt als Symbol des Protests Gefängniszellen aufgestellt. Ob die protestierenden Georgier damit den Rücktritt Saakaschwilis erreichen, bleibt aber abzuwarten. Die Opposition zeigt sich zwar entschlossen, doch Saakaschwili scheint die aktuellen Proteste aussitzen zu wollen.
Im August letzten Jahres hatte Micheil Saakaschwili noch einmal Glück gehabt. Bis nach Tiflis wollte Wladimir Putin die russischen Truppen während des russisch-georgischen Konflikts marschieren lassen, um den georgischen Präsidenten „an den Eiern aufzuhängen“. Nur das Eingreifen des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy rettete Saakaschwili damals die Männlichkeit, und somit auch sein Präsidentenamt.
Denn innenpolitisch war dieses im Sommer letzten Jahres nicht gefährdet. Obwohl Saakaschwili mit dem Angriff auf die abtrünnige Provinz Südossetien das Land in einen Krieg führte, in dem es dem russischen Gegner hoffnungslos unterlegen war, sammelte sich damals die Bevölkerung um den Präsidenten. Hunderttausende strömten zu den Kundgebungen in Tiflis, bei denen er die nationale Einheit beschwor und Russland der Aggression bezichtigte. Diese Veranstaltungen waren aber keine Sympathiebekundungen der georgischen Bevölkerung für Saakaschwili, sondern ein Zeichen der nationalen Solidarität in Zeiten des Krieges.
Nicht anders verhielt sich zu dem Zeitpunkt auch die Opposition. Auch wenn sie Saakaschwili für den Krieg mit Russland und die damit verbundenen Verluste und Zerstörungen verantwortlich machte, verurteilte sie vor allem die russische Antwort auf den georgischen Überfall auf die südossetische Hauptstadt Zchinwali. Dies aus einem simplen Grund: So wie Saakaschwili sieht auch sie die abtrünnigen Republiken Südossetien und Abchasien als Teil Georgiens an. Beispielhaft für diese Haltung ist Eduard Schewardnadse. „Für die Einschätzungen ist es noch zu früh, in der georgischen Gesellschaft herrscht allgemein jedoch die Meinung, die Armee hätte jetzt nicht in Zchinwali einmarschieren müssen. Obwohl wir dazu rechtliche Grundlagen haben: Völkerrechtlich gehört Südossetien ja zu Georgien, es ist unser Territorium, dort wohnt unsere Bevölkerung“, sagte der ehemalige sowjetische Außenminister, der während der Rosenrevolution von Saakaschwili gestürzt wurde, damals in einem Interview. „Wie wir von unserem Recht Gebrauch machten und ob das richtig war, ist eine andere Frage.“
Dass dieser Burgfrieden aber nicht von Dauer war, wurde spätestens im Herbst letzten Jahres klar. Mit der ehemaligen Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse bekam die Opposition eine prominente und politisch erfahrene Leitfigur, die auch sofort in die Offensive ging. Im Oktober legte sie der Regierung einen 43 Fragen umfassenden Katalog zu den Ursachen und Folgen des russisch-georgischen Krieges vor. Am 23. November, dem fünften Jahrestag der Rosenrevolution, gründete die einstige Weggefährtin Saakaschwilis, die wegen der Fraktionszusammensetzung der Regierungspartei Vereinte Nationale Bewegung im April 2008 endgültig mit dem georgischen Präsidenten brach, mit der Demokratischen Bewegung - Vereintes Georgien, eine neue Partei.
Doch nicht nur das Auftauchen der sowohl im Ausland als auch im Inland geachteten Burdschanadse war ein wichtiges Signal. Noch wichtiger für die georgische Politik ist die momentane Einigkeit unter den Oppositionsparteien. Gleich acht Parteien, quer durch alle politischen Richtungen, riefen am 26. Februar die Bevölkerung und andere politische Gruppierungen dazu auf, am 9. April in Tiflis gegen Michail Saakaschwili zu demonstrieren.
Ein Aufruf, der nicht unerhört blieb. Zwischen 25.000 und 150.000 Menschen haben sich an diesem für Georgien besonderen Tag, dem 20. Jahrestag der gewaltsamen Niederschlagung georgischer Unabhängigkeitsdemonstrationen durch die sowjetische Armee, vor dem Parlamentsgebäude versammelt und forderten den Rücktritt Saakaschwilis. Eine Forderung, die bis heute vehement wiederholt wird. Am Dienstag, nach dem Ende des orthodoxen Osterfests, gingen in Tiflis erneut tausende Demonstranten auf die Straße und stellten als Symbol ihres Protests vor dem Parlament Gefängniszellen auf. Die Aktion soll in den nächsten Tagen auf die gesamte Hauptstadt ausgeweitet werden.
Wirtschaftskrise stärkt die Opposition
Der russisch-georgische Konflikt vom August letzten Jahres spielt bei den jetzigen Protesten eher eine untergeordnete Rolle. Es ist der autoritäre Regierungsstil Saakaschwilis, viel mehr aber noch die wirtschaftliche Situation, die die Menschen auf die Straße treiben. Das kaukasische Land ist schwer gebeutelt von der weltweiten Wirtschaftskrise und den Spätfolgen des Krieges im August. Nach Angaben des statistischen Amtes in Georgien stieg im vergangenen Jahr das Handelsbilanzdefizit von 3.98 Millionen Dollar auf 4.56 Millionen. Mit Beunruhigung sieht auch der Internationale Währungsfonds die wirtschaftliche Entwicklung in Georgien. Erst im März forderte die Organisation von der Regierung die Fortführung der Wirtschaftsreformen, um die Krise zu mildern.
Reformen, die sich auch auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar machen. Wie Saakaschwili in einen Interview mit Newsweek vor einigen Tagen selber sagte, verloren allein über 250.000 Menschen aufgrund der bisherigen Wirtschaftreformen ihren Arbeitsplatz. Mit ein Grund für die hohe Arbeitslosenrate zwischen 13-14 Prozent, unter der das Land zu leiden hat. Doch während die Bevölkerung die Wirtschaftslage zu spüren bekommt, ist Saakaschwili nicht bereit, irgendwelche Einschränkungen in Kauf zu nehmen. Showgrößen wie den Rolling Stones, Mariah Carey oder Bruce Willis gleichtuend, ließ er die Masseurin Dr. Dot aus den USA einfliegen, damit sie ihm eine Woche lang seine Rückenschmerzen wegknetet. Das hat nach Bekanntwerden wohl endgültig das Fass zum Überlaufen gebracht.
Doch Saakaschwilis Reaktion auf die Proteste zeugt nicht gerade von Reue. Statt Selbstkritik zu üben oder gar politische Konsequenzen zu ziehen, verfolgt er gegenüber der Opposition und ihren Anhängern eine zweigleisige Taktik. Während er in einer Fernsehansprache vom 10. April die einen Tag vorher begonnenen Proteste lobte, sie als einen Fortschritt für die georgische Demokratie bezeichnete und sogar den Demonstranten für ihren gewaltlosen Protest dankte, versucht er im Ausland die Oppositionellen zu diskreditieren. In dem schon erwähnten Interview für Newsweek bezeichnet er die Demonstranten als eine Ansammlung von Arbeitslosen und Familienmitgliedern von Kriminellen, welche die Polizei wegen Korruption verhaftete. Den Oppositionsparteien warf er dagegen vor, von russischen Oligarchen finanziert zu werden. Als Beweis der Einmischung Russlands in die georgische Innenpolitik diente am 16. April die Verhaftung des Naschi-Aktivisten Alexander Kusnezow, der angeblich Provokationen an der georgisch-südossetischen Grenze vorbereitet haben soll.
Dies ist nicht das erste Mal, dass Saakaschwili mit solchen Vorwürfen versucht, sich innenpolitisch zu retten. Bereits im November 2007, als in Tiflis schon einmal Massenproteste gegen die Saakaschwili-Regierung stattfanden (Die Revolution, die keine war), warf er der Opposition vor, gemeinsam mit Russland einen Putsch vorzubereiten und wies darauf drei russische Diplomaten aus der georgischen Hauptstadt aus.
Saakaschwili setzt auf Dialog, um die Opposition zu spalten
Doch während vor zwei Jahren Saakaschwili sich nicht davor scheute, auch mit Polizeigewalt gegen die Demonstranten vorzugehen, ist es diesmal anders. Der georgische Präsident weiß, dass er von Barack Obama, trotz guter Kontakte zur Außenministerin Hillary Clinton oder Richard Holbrooke, kritischer beobachtet wird als von George W. Bush, dessen Administration Micheil Saakaschwili gerne als den Vorzeigedemokraten im Kaukasus darstellte. Und ein brutaler Polizeieinsatz würde seine Karten im Weißen Haus, ebenso wie in Europa, verschlechtern. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die jetzigen Proteste vollkommen friedlich sind. Seit dem Beginn der Demonstrationen klagt die Opposition über Überfälle einzelner Schlägertrupps, weshalb sie mittlerweile zur ihrer Selbstverteidigung Bürgerwehren aufstellen will. Zudem verhinderte die Regierung durch landesweite Straßenblockaden die Teilnahme von Oppositionsanhängern aus anderen Regionen an den Protesten in Tiflis.
Die effektivste Reaktion Saakaschwilis auf die Proteste ist aber seine Dialogbereitschaft, die auf die Uneinigkeit innerhalb des heterogenen Oppositionsbündnisses zielt. Schon bei der erwähnten Fernsehansprache bot er der Opposition Gespräche an, um gemeinsam eine Lösung für die innenpolitischen Probleme zu finden. Das Angebot wiederholte er in den letzten Tagen mehrfach, unterstützt von dem Kaukasusbeauftragten der EU, Peter Semneby, der sich vergangene Woche mit beiden Parteien traf und zu einem Dialog aufrief, den die Opposition aber bisher immer ablehnte.
Doch Saakaschwilis Taktik des Dialoges scheint wohl langsam aufzugehen. Mittlerweile werden innerhalb des Oppositionsbündnisses Stimmen laut, sich doch mit der Regierung zu Gesprächen zu treffen, was bei deren Hardlinern wie Nino Burdschanadse und der ehemaligen Außenministerin Salome Surabischwili bisher auf wenig Gegenliebe stieß. Die Oppositionsparteien wissen jedoch, dass die Proteste verebben könnten, und Saakaschwili auch diese für ihn unruhigen Zeiten aussitzen könnte, wenn die Opposition nur auf ihren Maximalforderungen beharrt, ohne selbst Verhandlungen zu führen. Deshalb dürfte es in den nächsten Tagen zu einem Treffen zwischen Oppositionsvertretern und der Regierung kommen. Aber wie der Oppositionspolitiker Irakli Alasania klarmachte, nicht um von den eigenen Forderungen zurückzutreten, sondern um sich die Position der Regierung anzuhören.
Denn der Verlauf der nach Ostern wieder aufgenommenen Proteste gibt der Opposition neuen Mut. Seit Mittwoch kommen immer auch Oppositionsanhänger aus den übrigen Landesteilen nach Tiflis und verwandeln die georgische Hauptstadt in eine Zeltstadt. Das könnte vielleicht doch die vor einigen Tagen getätigten Worte von Nino Burdchanadse Realität werden lassen. „Saakaschwili weiß, dass dies sein Ende ist“, sagte sie damals der russischen Zeitung Vremja Novostej.