Geflüchtete auf Lesbos in Zeiten von Covid-19
Seite 3: Angebote für Geflüchtete
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Eigentlich war es mein Plan, in den elf Tagen, die ich in Mytilini gewesen bin, als Volunteer bei einer NGO mitzuarbeiten. Aber auch das wurde dank Corona zusätzlich erschwert bzw. unmöglich gemacht. Ein Großteil der NGOs besteht auf einer Mindestdauer (bei OHF z.B. drei Wochen). Wegen Covid-19 sind die NGOs zusätzlich angehalten, die maximale Anzahl an Volunteers zu begrenzen.
Mitten in Mytilinis, in einer Nebenstraße zur Ermou, befindet sich nach wie vor das "Mosaik Support Center" (lesvosmosaik.org). Ich unterhalte mich mit einem jungen Mann an der Information. Er ist selbst ein Geflüchteter, spricht ganz gut Englisch.
Hier werden Sprachkurse in Griechisch und Englisch angeboten, sowie IT-(Computer)-Kurse. Diese Angebote stehen allen offen, da sie nicht mehr unterscheiden wollen zwischen Geflüchteten und Einheimischen. Das wird auch im Untertitel von Mosaik zum Ausdruck gebracht: "Support Center for Refugees and Locals".
Gleich nebenan ist in einem Kellerraum eine Werkstatt zum Verarbeiten von Rettungswesten etc. untergebracht: "Safe Passage Bags Workshop". Bei meinem Besuch haben zwei Geflüchtete an den insgesamt drei Nähmaschinen gearbeitet. Weiter hinten im kleinen Hof um die Ecke ist eine weitere Werkstatt angesiedelt, die sich mit dem Upcycling von natürlichen und weggeworfenen Materialien beschäftigt: "Humade Crafts Upcycling Workshop".
Als ich dort war, war diese Werkstatt geschlossen, aber in dem Hinterhof konnte ich mir die vielen, bunten und künstlerischen Exponate ansehen. Alle drei Einrichtungen, also Mosaik und die beiden Workshops, gehören zur NGO "Lesbos Solidarity" (lesvossolidarity.org). Mit dazu gehörte auch das Pikpa Camp in der Nähe vom Flughafen, das aber von den griechischen Behörden Ende Oktober 2020 zwangsgeräumt worden ist.
Gleich um die Ecke vom Mosaik ist in einem Eckgebäude auf zwei Etagen mit großen Schaufenstern die "Art Gallery and Laboratory" "Wave of Hope for the Future" (waveofhope.org/art) untergebracht. Sie war vorher im Camp angesiedelt und ist seit März 2021 hier. Dieser Ort ist explizit für Geflüchtete gedacht, die sich hier künstlerisch (Bildende Kunst) betätigen können. Und in den späten Nachmittagsstunden ist sie meistens auch sehr gut besucht.
Nach wie vor interessant und besuchenswert ist das Restaurant Nan, das auf seiner Speisekarte mit "Essen der Welt" wirbt: Die Küche ist orientalisch und griechisch. Das Restaurant wurde von vier geflüchteten Frauen gegründet, mit Unterstützung von NGOs und Einheimischen. Es wird ziemlich gut besucht, und dass es Geflüchtete beschäftigt, ihnen damit Arbeit und Hoffnung geben will, merkt man als Gast kaum mehr.
Am kleinen Nordhafen von Mytilini steht eine Bronzestatue: eine Mutter mit ihren drei Kindern, eines davon auf ihrem Arm. Dieses Mahnmal von 1984 ist gezeichnet mit: "An die kleinasiatische Mutter". Es erinnert also an die kleinasiatische Katastrophe von 1922 (von der ja auch Lesbos stark betroffen war) - Mütter mit ihren Kindern auf der Flucht. In der nahen Ferne sieht man an ein Fabrikgebäude hingesprüht: "Close Moria!" und "Stop Deportation" (auf der Rückseite steht: "No Borders"). Das ist die neue kleinasiatische Katastrophe, ziemlich genau 100 Jahre nach der ersten!
Unterhalb des Kastros von Mytilini, ganz in der Nähe des Fähranlegers steht eine (kleine) Freiheitsstatue. Sie steht aber nur für die Freiheit der Einheimischen oder der Touristen. Und nicht für die Freiheit der Geflüchteten, denn das würde ja "No Borders" bedeuten!
Mit dem Tourismus auf Lesbos ist man diesen Sommer ziemlich zufrieden gewesen. Dies betrifft insbesondere touristische Hochburgen wie Molivos oder Plomari. In Mytilini war das nicht der Fall: Hier fehlten die türkischen Gäste. Die Fährverbindung zur Türkei war längere Zeit wegen Covid-19 eingestellt. Im September war sie wohl wieder freigegeben, aber der Fährbetrieb wurde noch nicht wieder aufgenommen.
Viele Flüchtlinge haben es mittlerweile geschafft, nach Athen zu kommen. Aber dort bekommen sie keinerlei Unterstützung, sind sich selbst überlassen. Viele leben dort auf der Straße. Damit ist das Problem nur räumlich - von Lesbos nach Athen - verlagert worden.
Deshalb überlegt man bei "One Happy Family", auch in Athen ein Zentrum für sie zu eröffnen. 2015 konnte man noch größere Ansammlungen von Geflüchteten in Athen antreffen: In dem großen Park "Medion tou Areos" zelteten sie, oder auf dem Viktoria Platz.
Aber es wird anscheinend heutzutage von staatlicher Seite versucht, solche Ansammlungen zu unterbinden. Deswegen fallen die Zigtausenden Geflüchteten im Großraum Athen überhaupt nicht groß auf, während die knapp 4.000 Flüchtlinge in Mytilini schon deutlich präsent sind.