Gegen Klimawandel oder Klimaflüchtlinge?
Luisa Neubauer. Foto: Andol/CC BY-SA 4.0
Die Energie- und Klimawochenschau: Von unheiligen Allianzen, aufmüpfigen Schülerinnen und Schülern und Shells blutiges Erbe in Nigeria
Auch wenn sie zur Zeit nicht mehr für Schlagzeilen gut ist und die großen Medien wenig berichten, so ist doch die internationale Schülerinnen- und Schülerbewegung Fridays for Future (FFF) weiter aktiv.
Auch in der Pandemie gibt es fast jeden Freitag kleine Aktionen rund um den Globus, versehen mit eindringlichen Appellen an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, sich verantwortlich zu verhalten, Masken zu tragen, Mindestabstände einzuhalten und bei Erkältungen oder ähnlichem lieber zuhause zu bleiben.
So auch am Freitag vergangener Woche, am 29. Januar, unter anderem im Schweizer Davos, im finnischen Helsinki oder im pakistanischen Belutschistan.
Und natürlich sind hierzulande FFF-Aktive auch bei den anhaltenden Protesten gegen den Autobahnbau im hessischen Dannenröder Forst und Umgebung oder bei den Demonstrationen gegen die Dorfzerstörung im Rheinland dabei. Zu letzterem weiter unten mehr.
Auch ein neuer globaler Aktionstag ist in Vorbereitung. Am 29.März soll es unter dem Motto "No more empty promises" - "Keine leeren Versprechen mehr" - auf die Straße gehen. Wo dies wegen der Pandemie nicht geht oder nicht ratsam ist, werden andere Aktionen stattfinden und über die sozialen Medien verbreitet.
Dürre, Hitze, Schrumpfeis
Und nötig sind die Proteste allemal. Die Klimakrise macht keine Pause. Griechenland erlebt schon wieder schwere Überschwemmungen, Chile wird gerade von einer der schlimmsten Dürren der letzten 50 Jahre heimgesucht, Westaustralien stöhnt unter extremer Hitze und ebenso extremem Regengüssen und die Gewässer vor der Nordküste Spitzbergens sind Ende Januar, also sechs Wochen vor dem jährlichen Höhepunkt der Ausdehnung des Meereises, immer noch eisfrei.
Offenes Meer rund 1000 Kilometer südlich vom Nordpol. Auf dem Höhepunkt des Winters ist das so ungewöhnlich wie Temperaturen von über 25 Grad Celsius im südspanischen Murcia, nachdem im Nordwesten des Landes nur wenige Wochen zuvor noch Temperaturen von minus zehn Grad Celsius gemessen wurden und weite Teile der iberischen Halbinsel unter einem dramatischen Kälteeinbruch zu leiden hatten.
Sorgen in aller Welt
Anders als den durchschnittlichen deutschen Politiker treibt das in aller Welt die Mehrheit der Menschen um, wie eine jüngst veröffentlichte Umfrage zeigt, die im Auftrag des UN-Entwicklungsprogramms UNDP durchgeführt wurde. Demnach ist die Mehrheit der Weltbevölkerung der Ansicht, dass es eine Art Klimanotsituation gibt.
Besonders häufig wird das von unter 18jährigen vertreten, aber andere Altersgruppen sehen das nicht viel anders: 65 Prozent der 18- bis 35-Jährigen stimmen zu, 66 Prozent der 36- bis 59-Jährigen und bei denen ab 60 sind es immer noch 58 Prozent. Die Sorgen wachsen mit dem Bildungsniveau. In so unterschiedlichen Ländern wie der Demokratischen Republik Kongo, Bhutan, Japan oder Frankreich, um nur einige Beispiele zu nennen, messen jeweils über 80 Prozent der Menschen mit Abitur (College-Ausbildung) oder Hochschulabschluss der Klimakrise eine hohe Bedeutung bei.
Stephen Fischer von der Universität Oxford meint, dass das Klimabewusstsein stärker sei, als bisher gedacht. Im Ländervergleich bejahen in Großbritannien mit 81 Prozent die meisten der Befragten die Frage, ob es einen Klimanotstand oder -notsituation (climate emergency) gibt. Die USA, Algerien und Russland liegen mit jeweils 65 Prozent im Mittelfeld und Moldawien bildet mit 50 Prozent das Schlusslicht.
Befragt wurden Menschen in 50 Ländern, die zusammen über die Hälfte der Weltbevölkerung beherbergen. Die Umfrage wurde übers Internet durchgeführt und die 1,2 Millionen Probanden zum Teil über Gaming-Netzwerke erreicht. Britische Wissenschaftler haben daraufhin aus der Masse eingegangenen Antworten eine nach Herkunft, Alter und Geschlecht repräsentative Stichprobe ausgewählt.
An der Seite der Nato?
Derweil sorgte eine Online-Debatte mit prominenter FFF-Teilnahme für ein wenig Aufregung in der Twitter-Sphäre. Schon Anfang November 2020 hatte die in deutschen Medien gern als FFF-Sprecherin gehandelte Luisa Neubauer mit einem Nato-General über die "Bedrohung der Sicherheit" durch die Klimakrise und das "Ergrünen des Militärs" mit Biokraftstoffen diskutiert.
Der General war, wenig erstaunlich, in der Lage, den Islamischen Staat und Flüchtlingsströme in einem Atemzug als Bedrohung zu bezeichnen. Neubauer fiel dazu vor allem ein, dass die Nato ja auch Teil des Problems sei, aber nicht etwa, weil das Nato-Land Türkei seine Nachbarn überfällt oder Nato-Staaten in Europa tatenlos zuschauen, wie Tausende Menschen an ihren Grenzen ertrinken oder erfrieren, sondern weil das Militär so viel Treibhausgase emittiere.
Es sei doch widersinnig, dass man Menschen beschütze - Neubauer scheint tatsächlich der Ansicht, dass dies die Funktion der Nato sei - aber so sehr zu den Klimaveränderungen beitrage, die Menschen bedrohen. Wenn man sich militärisch engagieren wolle und wenn man den Militärapparat erhalten wolle, müsse man sich Gedanken machen, wie er dekarbonisiert, also frei von Treibhausgasemissionen gemacht werden könne.
Die Frankfurter FFF-Gruppe merkte dazu dieser Tage auf Twitter an, dass man sich "nicht als Beratungsstelle des Militärs" sehe und "absolut" nicht wisse, weshalb Neubauer an dieser öffentlichen Videokonferenz teilgenommen habe. Fragt sich, was Neubauer eigentlich unter Klimagerechtigkeit versteht und ob sie ernsthaft nichts dabei findet, wenn die Nato gegen Klimaflüchtlinge vorgeht.
Konkurrenz für die Grünen
Neubauer ist auch Mitglied der Grünen Jugend, der Jugendorganisation einer Partei, die sich auf die Koalition mit den Unionsparteien vorbereitet. Das ist lange nicht allen Klimaschützer geheuer und so entstehen überall im Land derzeit sogenannte Klimalisten. In Bayern haben in einigen Städten schon einige - mit sehr mäßigem Erfolg - an den letzten Kommunalwahlen teilgenommen.
Die letzte Neugründung wird aus Nordrhein-Westfalen gemeldet. Dort will man im März 2022 zu den Landtagswahlen antreten. Noch in diesem Jahr werden bei der Kommunalwahl in Hessen (14.3.) sowie bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg (14.3.), Rheinland-Pfalz (14.3.) und Berlin (26.9.) Klimalisten antreten. An der Spree nennt sich die neuen Partei radikal:klima.
Hier eine unvollständige Übersicht alle bisher gegründeten lokalen oder Landesparteien, die sich meist Klimaliste nennen.
Widerstand geht weiter
Am Braunkohletagebau Garzweiler 2 im Rheinland drängt der Energiekonzern RWE derweil weiter mit Unterstützung des neuen CDU-Chefs Armin Laschet auf die Zerstörung weiterer Dörfer. Die unter ihnen liegende Braunkohle möchte das Unternehmen gerne noch verfeuern, damit Deutschland noch möglichst lange seinen Weltmeistertitel bei der Verbrennung dieses besonders klimaschädlichen Energieträgers behält.
Nun kommt erstmals leichter Widerstand vom Bistum Aachen, das für gewöhnlich wenig Probleme damit hat, seine Kirchen und Dome dem Kohle-Götzen zu opfern. Doch im Falle der Keyenberger Kirche beginnt man auf Zeit zu spielen. Die Entscheidung über die Entwidmung wurde aufgeschoben, da in die Auseinandersetzung der Dörfer eine neue Dynamik gekommen sei. Ein Erhalt der Dörfer erscheine möglich.
Etwa fünf Kilometer weiter im Süden, in Lützerath, waren, wie berichtet, am 18. Januar pünktlich nach dem CDU-Bundesparteitag einige Wohnhäuser und Stallgebäude abgerissen worden, obwohl der Ort noch bewohnt ist.
Offenbar sollten die verbliebenen Nachbarn eingeschüchtert und zur Aufgabe bewogen werden. Das sich über Tage hinziehende Zerstörungswerk wurde mit einem massiven Polizeiaufgebot begleitet, um die Proteste der Anwohner und Tagebaugegner aus der Region im Schach zu halten.
Sowohl Lützerath als auch Keyenberg liegen am östlichen Rand der Stadtgemeinde Erkelenz rund 45 Kilometer nordöstlich von Aachen. Von Köln aus gesehen liegt es in etwa gleicher Entfernung nordwestlich.
Ken Saro-Wiwa: Unvergessen
Gute Nachrichten kommen derweil aus den Niederlanden. Dort hat erstmals ein Gericht den britisch-niederländischen Ölkonzern verurteilt, nigerianische Bauern für die Verseuchung ihrer Umfeld durch Öllecks zu entschädigen. Die Ölförderung an der nigerianischen Küste durch ausländische Konzerne und vor allem Shell ist seit vielen Jahrzehnten für die angerichteten Verwüstungen durch Leckagen und das Abfackeln von Gas berüchtigt.
Widerstand dagegen wurde lange von verschiedenen Militärdiktaturen gewaltsam unterdrückt. In den 1990er Jahren geriet Shell für seine Zusammenarbeit mit den Machthabern im Falle der entsprechenden Proteste der Ogonis international ins Kreuzfeuer der Kritik. Die Ogonis sind ein im Nigerdelta lebendes und von Shells Ölförderung besonders betroffenes Volk.
Einer ihrer Sprecher, der Schriftsteller Ken Saro-Wiwa, wurde 1995 gemeinsam mit acht Gefährten mit einer konstruierten Anklage des Mordes an vier traditionellen Führern beschuldigt und schließlich trotz internationaler Proteste gehängt. (Hier eine Chronologie der Vorfälle und der Zusammenarbeit Shells mit der damaligen Militär-Junta.)
Abschied von urbanen Autowüsten
Deutsche Umwelthilfe DUH hat in 101 Städten eine Kampagne für Pop-up-Radwege gestartet. Die "seit Jahren steigende Zahl von Radfahrerinnen und Radfahrern" müsse endlich besser geschützt und Straßenflächen für den Radverkehr und auch für Fußwege umgewidmet werden.
Ein Rechtsgutachten der DUH zeige den Städten, wie dies rechtssicher geschehen könne. In einem ersten Schritt seien die Städte mit hohen Schadstoffbelastungen der Luft sowie solche Kommunen angeschrieben worden, die einen Klimanotsand erklärt hatten.
Die Idee der zügigen Umwidmung von bisher dem Auto vorbehaltenen Flächen entstand im letzten Jahr als Reaktion auf den steigenden Radverkehr in Folge der Corona-Pandemie in verschiedenen Metropolen wie Bogota - wo Radfahrerinnen und Radfahrer inzwischen Selbstverteidigungskurse nehmen -, Paris, London - wo allerdings ein Gericht letzte Woche befand, dass die Rechtsgrundlage unzureichend ist - und New York nahezu gleichzeitig.
Auch in Berlin, Hamburg und weiteren deutschen Städten wurden viele derartiger ad-hoc-Radwege eingerichtet.
Andere versperrten ihre neuen Radwege lieber mit Luftfiltern, die die Abgase des Straßenverkehrs aufnehmen sollen.
An der Spree haben die Provisorien seit letzter Woche auch den richterlichen Segen des dortigen Oberverwaltungsgerichts und werden nun zum Teil verstetigt. An der Isar wurden sie hingegen in der Innenstadt bereits wieder entfernt, obwohl viel benutzt und noch bevor eine wissenschaftliche Auswertung vorlag, wie der Focus schreibt.
In New York geht man derweil, wie die New York Times berichtet den nächsten Schritt. Auf zwei bisher ganz den in der Stadt der Wolkenkratzer nur von einer kleinen Minderheit genutzten Autos vorbehaltenen Brücken soll Platz für den Fahrradverkehr geschaffen werden.
Die Querungen verbinden Manhattan über den East River hinweg mit Brooklyn und Queens. Und in Paris soll aus dem Champs-Élysées ein "außergewöhnlicher Park" gemacht werden - ein ehrgeiziger Plan, der bis 2024 100 Prozent der Straßen sicher für Fahradfahrerinnen und Fahrer machen soll.
Und sonst noch?
Sella, eine Stadt in Lappland und nach Eigenwerbung die kälteste Stadt Finnlands, will sich für die Sommer-Olympiade 2032 bewerben, in München gibt es Streit um ein neues Gaskraftwerk und die Auseinandersetzung um die Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 geht weiter.
Scientists for Future haben dazu kürzlich eine Studie und eine ausführliche Presserklärung veröffentlicht. Einige der Autorinnen wie Claudia Kemfert, Energieökonomin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin, haben das Dokument in einer Online-Pressekonferenz von FFF vorgestellt.
Kritisiert wird insbesondere, dass die Investitionen in die Pipeline entweder vorzeitig abgeschrieben werden müssen oder einen Druck aufbauen werden, fossiles Erdgas weit länger zu verbrennen, als es mit der Pariser Klimaübereinkunft eigentlich geschehen dürfte.
Dass Russland, wie von einigen Seiten als Argument ins Feld geführt wird, in der Zukunft über die Pipeline auch sogenannten grünen Wasserstoff exportieren könnte, halten die Autorinnen für unrealistisch. Wahrscheinlicher sei, dass der Wasserstoff gegebenenfalls mit Kohle- und Atomstrom hergestellt werde. Russland ist das einzige große Industrie- oder Schwellenland, das bisher kaum in Wind- und Solarenergie investiert.