Gegen Partei, Bevölkerung und Völkerrecht – Alleingang der Starken gegen das Völkerrecht
Spanischer Ministerpräsident bekräftigt Marokkos Souveränität über Westsahara. Parlament geht mit Staatsbürgerschaft für Sahrauis in die andere Richtung.
Seiner eigenen Linie bleibt der spanische Ministerpräsident jedenfalls treu: Er hatte schon im März 2022 den marokkanischen Autonomieplan als die "ernsthafteste, realistischste und glaubwürdigste Grundlage für eine Lösung des Konflikts" um die ehemalige spanische Kolonie West-Sahara bezeichnet.
Von den Vereinten Nationen (UN) wird hingegen ein Referendum erwartet, in dem die sahrauische Bevölkerung über ihre Unabhängigkeit oder den Verbleib in Marokko entscheidet.
In seinem jüngsten Besuch im benachbarten Königreich bekräftigte Sanchez Anfang Februar die Unterstützung für Marokkos Vorschlag und bekam dafür vage Zusagen über eine Normalisierung des Zolls und Verkehrs von Waren und Gütern in die, großteils von Marokko umgebenen, spanischen Exklaven Ceuta und Melilla.
Bei vagen Zusagen blieb es wohl, weil der marokkanische König durchaus weiß, wie vorläufig eine solche Zusage eines gewählten Vertreters ohne den notwendigen Rückhalt ist.
Staatsbürgerschaft für Kolonialisierte
Schon im letzten Jahr machte das spanische Parlament deutlich, dass Sánchez für solche Deals keine Rückendeckung hat. Ausgerechnet die Partei Unidas Podemos (UP), die als Juniorpartner in der Regierungskoalition mit Sánchez' sogenannter Sozialistischer Arbeiterpartei (PSOE) fungiert, trieb eine parlamentarische Stellungnahme voran, die Sanchez' Akt verurteilte.
Außerhalb der PSOE stimmten damals keine Abgeordneten gegen das Zurückpfeifen Sánchez', und selbst innerhalb seiner Partei gab es abtrünnige Stimmen.
Nun, knapp zwei Wochen nach dem jüngsten Besuch vom Februar 2023, nahm der Kongress eine Gesetzesinitiative der UP an, die Sahrauis, die vor der Entkolonialisierung im Jahr 1976 in der Westsahara lebten, sowie ihren Nachkommen die spanische Staatsbürgerschaft ermöglicht. Der Gesetzesentwurf muss auch noch von der zweiten Kammer, dem Senat, angenommen werden.
Innerhalb des Kongresses stimmte wieder ausschließlich die PSOE gegen den Entwurf, während sich die extremrechte Partei Vox enthielt. Alle anderen stimmten für den Entwurf, neben verschiedenen kleinen, meist linksgerichteten Fraktionen auch die Abgeordneten der größten Oppositionspartei, der konservativen Partido Popular.
Dies zeigt, wie stark der traditionelle Konsens innerhalb der Bevölkerung Spaniens und zwischen den Parteien ist, den Sahrauis das ihnen nach internationalem Recht zustehende Referendum zu gewähren. Im letzten Jahr erklärte Cuca Gamarra, der Fraktionssprecher der PP, dass ihre Verurteilung von Sanchez' unilateraler Anerkennung von Marokkos Souveränität über die Westsahara "der Position entspreche, die die PP immer hatte".1
Grenzschutz als Unterpfand
Dies ist beachtlich für eine immigrationskritische, konservative Partei, da Sánchez Einlenken auf eine Erpressung Marokkos folgte, wobei Marokko für kurze Zeit den Grenzschutz zu den beiden Exklaven Melilla und Ceuta unterließ, woraufhin im Mai 2021 rund 10.000 irreguläre Migrant:innen Ceuta erreichten.
Marokko war damals verärgert, dass dem Führer der sahrauischen Unabhängigkeitsorganisation Polisario in Spanien ein Krankenhausaufenthalt zur Behandlung einer Covid-Erkrankung mit schwerem Verlauf gestattet wurde.
Im März 2022 gelangten dann wieder Hunderte Migrant:innen nach Melilla. Nach Sanchez' Kniefall zeigte sich Marokko jedoch wieder kollaborativ und hielt die von einem Leben in Europa Träumenden mit eiserner Faust ab. 23 Personen starben dabei durch Prügel marokkanischer Beamter.2 (vgl. dazu: "Massaker von Melilla": Viele Tote an spanischer EU-Außengrenze, Marokko erhält 500 Millionen Belohnung für das "Massaker von Melilla")
Vielleicht gab Sanchez, in den Augen der PP, das traditionelle Festhalten am Völkerrecht aber auch einfach zu billig auf. So kritisierte beispielsweise der Senator Juan Ortiz der PP am 21. Februar 2021 im Senat, dass nicht einmal die Zollämter von Melilla und Ceuta wieder geöffnet wurden, worauf seit Mai letzten Jahres gewartet wurde. Zudem fragte er den Senat entsetzt: "Wie konnte es sein, dass die Frage der [West-]Sahara nicht genutzt wurde, um die [spanische] Souveränität über Ceuta und Melilla zu festigen?"3
Marokko hält die beiden Enklaven immer noch für sein eigenes, von Spanien besetztes Gebiet. Solche Meinungen scheinen sich sogar bis in die progressive Zeitung El Mundo zu ziehen: "Dies, Herr Präsident, bleibt etwas, was uns kränkt: Sie haben etwas angeboten, das Ihnen nicht gehört, und im Gegenzug geben Sie uns Worte und eine Ladung von Absichtserklärungen, die kürzer halten als ein Lutscher am Schultor"