Gegen die Diktatur der Unterhaltung
Böse politische Games aus Italien
Das Programmierer-Kollektiv "La Molleindustria" begreift Computerspiele als politisches Medium. Mit "Faith Fighter" haben die Mailänder jetzt eine spielbare Satire auf religiösen Hass produziert.
Wer immer schon geglaubt hat, dass sein Gott der wahre und einzige sei, kann das nun handfest untermauern. Theologische Kenntnisse sind dabei genauso wenig vonnöten wie Steine und Benzinkanister. Ein wenig Selbstironie sollte allerdings mitbringen, wer sich auf „Faith Fighter“ einlässt. Denn im neuen Spiel von „La Molleindustria“ aus Mailand fechten die Götter, Religionsstifter und Propheten den Glaubensstreit höchstpersönlich aus. Als animierte Comicfiguren lassen Jesus, Mohammed, Buddha und einige weitere die Fäuste fliegen, teilen Karatetritte aus oder schleudern Feuerbälle.
Faith Fighter versprüht einen anziehenden Retro-Charme. Zwei Kämpfer agieren auf einer geraden Linie vor einer wechselnden Kulisse. Das Ganze bleibt zweidimensional, und nur die anspruchsvollere Figurenzeichnung unterscheidet das Spiel von bekannten Formaten aus den achtziger Jahren. Für einige Lacher und ein paar kurzweilige Stunden ist das allemal gut. Explizit gegen – und erst recht nicht für – eine bestimmte Religion soll nicht Stimmung gemacht werden, auch wenn Beobachter vor der Verletzung religiöser Gefühle warnen.
Das gelegentlich durchs Bild fliegende Spaghetti-Monster verdeutlicht die Haltung der Mailänder wohl eher. Sicherheitshalber haben sie aber eine „zensierte“ Version bereitgestellt und dafür das Gesicht des Propheten Mohammed unkenntlich gemacht.
Computerspiel als Medium der politischen Kommunikation
So erfrischend unaufgeregt und respektlos rücken die Mailänder nicht nur den diversen Fundamentalisten zu Leibe. La Molleindustria produziert seit fünf Jahren kleine, bunte und gut animierte Flashspiele mit politischem Mehrwert. Die Games laufen unter einer Creative Commons-Lizenz und werden ausschließlich online vertrieben. Da ihre Schöpfer auf den erhobenen Zeigefinger ebenso verzichten wie auf vordergründige Korrektheit, kommt der Spielspaß nie zu kurz. Einfache Einordnungen oder Labels lehnt Molleindustria ab, wie Paolo Pedercini von der Gruppe betont:
Man kann es meinetwegen als ‚Gegenkultur’ bezeichnen, aber ich mag es nicht, da unsere Arbeit nichts mit dem so genannten ‚Underground’ zu tun hat. Wir wollen Mainstream sein und gleichzeitig einen alternativen Blickwinkel vermitteln. ‚Die Simpsons’ zum Beispiel sind ja auch keine Gegenkultur… Wir machen keine unterhaltsamen Spiele für radikale Menschen, sondern radikale Spiele für unterhaltsame Menschen.
Paolo Pedercini
Ein kleiner Skandal gelang der Gruppe im Vorjahr. "Operation Pedopriest" wurde auf Antrag einer christdemokratischen Partei Gegenstand einer Debatte im italienischen Parlament.
Die Abgeordneten forderten ein Verbot des Spieles, das mit an Zynismus grenzendem, tief schwarzem Humor den Umgang der katholischen Kirche mit Kindesmissbrauch durch Priester persifliert. Spielfläche ist der Aufriss eines Hauses, in dem diverse Figuren herumwuseln – darunter stilisierte Geistliche, die von Zeit zu Zeit über kleine Kinder herfallen und sie vergewaltigen. Eine eigens eingerichtete Task-Force des Vatikans, die der Spieler leitet, soll die sündigen Priester vor dem Zugriff der Polizei schützen und schüchtert dazu Opfer und Zeugen ein.
Die Provokation geschieht durchaus absichtsvoll. La Molleindustria begreift das Computerspiel als Medium der politischen Kommunikation. „Fast alle Computerspiele sind politisch, denn sie befassen sich mit kulturellen oder ideologischen Gegebenheiten“, sagt Paolo Pedercini. Allerdings seien Videospiele heute Teil einer globalen Kulturindustrie, und die Branche setze mehr um als die Filmwirtschaft, wie die Gruppe in ihrer Selbstdarstellung schreibt. Das unterwerfe die Spiele einer „Diktatur der Unterhaltung“.
Ohne schmutzige Tricks geht das Spiel schnell verloren
Die Gruppe begnügt sich nicht mit wohlfeilen Klagen über die ökonomische Verwertung von Kunst – denn als solche begreifen sie das Computerspiel. Für immer mehr Menschen gehören Games zum Alltag, also sollten sie die sozialen Realitäten widerspiegeln. Mehr noch: Wie andere Kunstformen auch könne das Computerspiel Gefühle und Ideen ausdrücken. Molleindustria schwebt nichts Geringeres vor als die Wiederaneignung des Videospiels:
Wir glauben, dass der explosive Slogan, der sich nach den Anti-WTO-Demonstrationen in Seattle schnell verbreitete auf dieses Medium passt: ‚Don’t hate the media, become the media’.
La Molleindustria
Dabei geht es nicht darum, bloß andere Inhalte über bekannte Formen des Gameplay zu transportieren. Die Inhalte sind den Mailändern wichtig, aber mindestens genauso ernst nehmen sie die Form und Struktur der Spiele:
Die Ideologie eines Spiels liegt in seinen Regeln, seinen unsichtbaren Mechanismen und nicht nur in seinen erzählenden Teilen. Daher wird eine globale Erneuerung dieses Mediums alles andere als einfach sein.
La Molleindustria
Gelungen ist ihnen das in einem ihrer bekannteren Spiele, dem "McVideo Game". In dieser Wirtschaftssimulation leitet der Spieler einen Fast-Food-Konzern. Dabei agiert er auf vier Ebenen zeitgleich: Er muss in einem Drittweltstaat Weideland aus dem Urwald schlagen, die Kühe im Stall mästen, das Verkaufspersonal einstellen und die Marketingabteilung leiten.
Ohne schmutzige Tricks geht das Spiel schnell verloren: Die kritische Öffentlichkeit kann mit Imagekampagnen benebelt und das Wachstum auf den Sojafeldern mit Gentechnik stimuliert werden; Angestellte dürfen entlassen und Hamburger aus kranken Kühen fabriziert werden, will man das fiktive Unternehmen vor der Pleite bewahren. Das Spiel parodiert zwar optisch McDonalds, gemeint ist jedoch die gesamte Fast-Food-Industrie.