Geheimdienste und der Anschlag vom 11. September
"Absolut inkompetent"
Christiane Schulzki-Haddouti sprach mit Wayne Madsen, 47, Mitglied der Cyberrights-Lobby EPIC in Washington D.C., über die Rolle der Geheimdienste beim Anschlag vom 11. September. Als ehemaliger US-Marineoffizier betreute er eines der ersten Computersicherheitsprogramme der US-Navy und arbeitete später für die National Security Agency (NSA) und das US-Innenministerium. Siehe auch: Duncan Campbell How the terror trail went unseen
Jelle van Buuren Dutch Government wants to regulate strong cryptography
Wie werden die US-Geheimdienste die militärischen Schläge begleiten?
Wayne Madsen: Die NSA wird ihre Kommunikationsüberwachungssatelliten über der Region positionieren, während die CIA und das National Reconnaissance Office (NRO) ihre Bild-Satelliten auswerten. Ich erwarte, dass sich die Basis-Abhörstationen der NSA und des britischen Geheimdienstes GCHQ in Abut und Masirah Island im Oman besonders auf das Abhören der regionalen Militär- und Diplomatenkommunikation konzentrieren.
Wie sehen Sie die Rolle anderer ausländischer Geheimdienste?
Wayne Madsen: Der Bundesnachrichtendienst mit seiner "Operation Lanze"-Station in China wird an der afghanischen Grenze ebenfalls sehr wachsam sein und vermutlich von Experten der NSA und des GCHQ unterstützt. Spezielle kleine mobile Einheiten der NSA werden vermutlich auch Positionen in Usbekistan einnehmen und dabei auf Berggipfeln stationierte ehemalige sowjetische Radar- und Kommunikationsanlagen benutzen. Ich vermute, dass auch neue Vereinbarungen für den gegenseitigen Informationsaustausch zwischen der NSA und der CIA auf der einen Seite und dem russischen SVR, dem indischen Geheimdienst (RAW), die eine Reihe von Abhörstationen in Kaschmir und entlang der pakistanischen Grenze unterhalten, sowie Pakistan getroffen wurden.
Wird dies auch zu einem größeren Aufklärungserfolg führen?
Wayne Madsen: Das Problem wie auch bei "Desert Storm" bleibt bestehen, dass kritisches Aufklärungsmaterial zu sehr zerstückelt wird, um Quellen und Methoden geheim zu halten. Den Truppen steht es erst dann zur Verfügung, wenn es zu spät ist. Ich glaube nicht, dass sich das in den letzten zehn Jahren verbessert hat.
Was hat sich im Management der US-Geheimdienste seit dem 11. September verändert?
Wayne Madsen: Obwohl es Regeln und Gesetze gibt, die das Umbringen ausländischer Führer verhindert, werden Bin Laden, die Terror-Organisation Al-Quaeda und die Taliban nicht als ausländische Führer von den USA anerkannt. Deshalb werden unsere Streitkräfte sie töten, wenn sie sie aufspüren - so wie es mit Che Guevara in Bolivien der Fall war. Ich glaube auch, dass die NSA US-Bürger abhört, falls diese Arabisch, Pashto oder Urdu sprechen.
Haben die Geheimdienste Hinweise vor dem Attentat übersehen?
Wayne Madsen: Es gab verschiedenste Berichte. Der Mossad hatte zuvor dem FBI eine Liste mit Namen von 200 ihnen bekannten Terroristen übergeben. Von ihnen war bekannt, dass sie eine "große Sache" planten. Es gab den Hinweis auf drei Afghanen auf den Cayman-Inseln, die dort über einen terroristischen Anschlag sprachen. Es gab den iranischen Abschiebehäftling in Hannover.
Was haben die Geheimdienste unternommen?
Wayne Madsen: Sie beschlossen das Material zu ignorieren. Zwei, drei Monate zuvor gab es Hinweise auf einen Angriff auf das World Trade Center. Die Sicherheitsmaßnahmen wurden verstärkt. Bestimmte Leute, die dort arbeiteten, blieben auffallend lange von ihrem Arbeitsplatz fern. Es gab also Informationen, doch sie wurden nicht koordiniert. Es wurden keine Konsequenzen gezogen. Die Sicherheit auf den Flughäfen war mehr als lausig. Ich selbst ging kurz vor dem Ereignis durch den Scanner am National Airport. Die Knöpfe auf meiner Jacke lösten den Alarm aus, doch die Sicherheitsleute standen nur herum und ließen mich einfach zum Flugzeug durchgehen.
Wie werden die Sicherheitsleute bezahlt?
Wayne Madsen: Sie verdienen so viel wie die Leute, die bei McDonalds Hamburger braten.
Machen zu viele Informationen die Dienste blind?
Wayne Madsen: Das Problem der National Security Agency (NSA) ist, dass sie zu viele Informationen sammelt; über Drogenhändler, unfaire Handelspraktiken, bis hin zu politischen und sozialen Bewegungen. All diese Informationen sind in ihrem System. Doch es war ihnen nicht möglich, die wirklich notwendigen Informationen herauszufiltern.
Was wäre nun die richtige Konsequenz?
Wayne Madsen: Die Geheimdienste brauchen nicht noch mehr Überwachungsbefugnisse, sondern sie müssen lernen mit dem Aufklärungsmaterial richtig umzugehen. Sie müssten sich auf die Überwachung von terroristischen Gruppen in feindlichen Ländern konzentrieren.
Wie kann man zielgenau nach den richtigen Leuten fahnden?
Wayne Madsen: Die NSA fängt eine Menge Informationen über das Echelon-Netzwerk auf. Ohne bestimmte Filtermechanismen ist es sehr schwierig, die wichtigen Informationen herauszufiltern. Nützlich wäre es, die Telefonnummern der Verdächtigen zu haben. Dann kann man auch das Stimmprofil eines mutmaßlichen Terroristen isolieren. Hilfreich ist es auch zu erkennen, welche Sprache, welcher Dialekt überhaupt gesprochen wird. Dann kann man andere Sprachen wie Englisch ausschließen.
Verfolgt die NSA auch Geldströme?
Wayne Madsen: Das ist weniger eine Aufgabe der NSA, sondern die einer Abteilung des Finanzministeriums, dem Financial Crimes Enforcement Network (FINCEN). FINCEN erhält Informationen von den Geheimdiensten, um die Geldströmen überprüfen zu können. Dabei achtet es vor allem auf große Geldbeträge, die zwischen den Banken hin- und hergeschoben werden, weniger auf einzelne Kredikartennummern.
Die Attentäter sollen eine gemeinsame Kredikarte benutzt haben. Wäre das eine wertvolle Spur gewesen?
Wayne Madsen: In diesem Fall hätten sie das FBI um Unterstützung bitten müssen. Damit hätten sie natürlich die Namen der Leute und den Kredikarten-Inhaber gekannt. Doch da das FBI sich schon nicht um die Liste des Mossad gekümmert hat, warum sollte es sich um einzelne Kreditkartennummern kümmern? Das System hätte eigentlich funktionieren müssen, doch es versagte, weil sich Dienste gegenseitig aus politischen Gründen bekämpfen.
Wären schärfere Gesetze, bessere Informationswerkzeuge sinnvoll?
Wayne Madsen: Nein, die Geheimdienste brauchen ein besseres Management. Damit könnten schon 90 Prozent des Problems gelöst werden. CIA-Direktor George Tenet unterstützte jahrelang die Taliban genauso wie auch andere radikale islamische Gruppen. Doch im Gegenzug erhielt er nichts als Gegenleistung. Er bekam während der laufenden Treffen mit den Taliban keinen einzigen Hinweis darauf, dass ein Angriff geplant war.
Wie lange hat die CIA die Taliban unterstützt?
Wayne Madsen: Die USA haben sich die ganze Zeit neutral verhalten. Über die Taliban hatte die CIA auch immer Möglichkeit mit Osama bin Laden Kontakt aufzunehmen. Noch im letzten Jahr erhielten die Taliban 100 Millionen US-Dollar für humanitäre Zwecke, aber auch für die Vernichtung von Mohnfeldern in Afghanistan. Danach verlagerten die Taliban ihre Dorgen-Produktionssstätten nach Pakistan.
Das FBI hat Zugriff auf das digitale Telefonnetz, mit dem Carnivore-Tool kann es die Internetkommunikation analysieren. Werden die besseren Abhörmöglichkeiten auch Erfolge zeigen?
Wayne Madsen: Carnivore ist eigentlich ein Verfahren, um Beweise zu erheben. Es wird eingesetzt, nachdem schon alles passiert ist. Ich bezweifle, ob bin Ladens Terrororganisation überhaupt High-Tech einsetzt. Sie benutzen Kuriere, Verstecke und familienbasierte, kleine Zellen. Sie benutzten Internetzugänge in öffentlichen Bibliotheken.
Die Terroristen sollen verschlüsselte Nachrichten über das Internet ausgetauscht haben.
Wayne Madsen: Zunächst einmal können sie sich über die öffentlichen Internetzugänge über Vorgänge in ihren Heimatländern informiert haben. Es kann aber auch sein, dass bestimmte Veränderungen an Websites als Code benutzt wurden, als Befehl. Dazu braucht es keine aufwändige E-Mail-Verschlüsselung. Es wird auch vermutet, dass steganografische Methoden benutzt wurden, um Botschaften in Bildern zu verstecken, doch dafür muss man auch Steganografieprogramme nutzen. Das wäre aufgefallen.
Es werden in den USA Stimmen laut, die den Zugang zu Verschlüsselungsprogrammen beschränken wollen. Wäre dies sinnvoll?
Wayne Madsen: Auch das hätte den Anschlag nicht verhindert. Die Terroristen benutzen Kommunikationsmethoden aus der Steinzeit. Ich glaube, dass die Leute gar nicht so sehr auf High-Tech fixiert waren. Sie hielten sich eher von Telefon und E-Mail fern, um nicht elektronisch aufgespürt werden zu können. Zwar haben sie in bestimmten Fällen eine Kreditkarte benutzt, aber die Flugschulen in Florida haben sie bar bezahlt.