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Gen-Fische mit hohem Fleischansatz

Bild Pagrus major: Kawahara Keiga (um 1825) / Naturalis Biodiversity Center, Public Domain / Grafik: TP

Genveränderte Bakterien werden bei Lebensmitteln schon länger eingesetzt. Mittels Genom-Editing züchteten Forscher Fische, die mehr Fleisch ansetzen. Gewarnt wird vor Auswirkungen auf Umwelt und Lebensmittelsicherheit

Rote Meerbrassen (Pagrus major) sind beliebte Speisefische in Asien. In Japan gehören sie mit einem Anteil von zehn Prozent zu den am meisten gemästeten Fischarten. Kürzlich züchtete das Regional Fish Institute [1], ein junges Start up aus Kyoto gemeinsam mit zwei anderen Universitäten Rote Meerbrassen, die in ihrer Wachstumsphase mehr Muskeln bilden als gewöhnlich.

Mit der Gen-Schere CRISPR/Cas hatten die Wissenschaftler das Gen für Myostatin, ein Enzym, das normalerweise das Muskelwachstum hemmt, einfach ausgeschaltet. Infolgedessen wuchsen die Muskeln weiter: Während ihre Körperlänge schrumpfte, nahm die Skelettmuskulatur um 16 Prozent zu [2], wobei die Tiere entsprechend mehr Fleisch ansetzten.

Die "gen-editierten" Fische punkten mit besserer Futterverwertung, außerdem würden mit der Zucht der Tiere Kosten und Ressourcen eingespart, jubeln die Wissenschaftler. Mit den neuen gentechnischen Methoden haben sie nur zwei Jahre gebraucht, um den Tieren das blockierte Myostatin-Gen anzuzüchten. Mit herkömmlichen Zuchtverfahren hätte es bedeutend länger gedauert. Um zu verhindern, dass die genveränderten Meerbrassen in die freie Wildbahn gelangen und sich dort mit natürlichen Beständen vermischen, hält man die Fische im Landesinneren in abgeschlossenen Becken.

Weil in den Meerbrassen kein zusätzliches – artfremdes – DNA-Material eingefügt wurde, ließ das zuständige Ministerium (Ministry of Health, Labor and Welfare) die Tiere kürzlich für die Nahrungsmittelproduktion zu.

Die Roten Meerbrassen seien weltweit die ersten Genom editierten Tiere, die für den menschlichen Verzehr genehmigt wurden, heißt es. Zwar sind in den USA und Kanada seit Längerem gentechnisch veränderte Lachse [3] auf dem Markt. Jedoch wurden in diese Tiere mit Hilfe von klassischen Gentechnikmethoden zwei Fremdgene eingefügt. Die Entwicklungs- und Zulassungszeit betrug mehr als zwanzig Jahre. Während der Gen-Lachs in der USA seit April vermarktet wird, bleibt er in der EU wohl auf Dauer verboten.

Zunächst durften Kunden die Gen-Fische über eine Crowdfunding-Plattform bestellen und testen. Nun sollen sie mit dem Vermerk "Genom-editiert" einer breiteren Käuferschaft zugeführt werden. Erstmalig entdeckt wurde das Myostatin-Gen in der alten Rinderrasse Weißblaue Belgier [4] bzw. im Texel-Schaf [5].

In beiden Fällen setzten die Tieren überdurchschnittlich große Muskeln mit entsprechend mehr Fleisch an. Doch während bei den Rindern und Schafen das Myostatin-Gen infolge einer natürlichen Mutation inaktiv ist, werde im Fall der Fische über Genome Editing eine punktuelle Mutation im Myostatin-Gen gezielt herbeigeführt und blockiert. Auf ähnliche Weise könne man Muskelwachstum und Fleischansatz auch bei anderen Nutztieren wie Schweinen, Rindern, Schafen stimulieren sowie die Leistungsfähigkeit von Pferden und Hunden steigern, hoffen die Wissenschaftler.

Turbo-Kugelfische mit Gendefekt

Inzwischen beschäftigt sich die Kyoto University mit schneller wachsenden Kugelfischen (Tetraodontidae), die angeblich dringend für die japanische Spezialität Fugu benötigt werden. Bei den Tieren wurde – ebenfalls mit der Gen-Schere CRISPR/Cas - das Gen des so genannten Leptin-Rezeptors, das unter anderem den Appetit reguliert, gentechnisch verändert [6]. Den Fischen wurde damit eine Stoffwechselstörung angezüchtet [7], kritisiert Christoph Then. Dies habe zur Folge, dass sie mehr fressen mehr und werden schwerer als ihre Artgenossen.

Störungen dieses Gens werden bei Säugetieren unter anderem mit Fettleibigkeit und Diabetes in Verbindung gebracht. Bei einigen Fischarten können sie gesundheitliche Störungen hervorrufen, unter anderem bei der embryonalen Entwicklung, den Nieren, im Blutzuckerspiegel, aber auch bezüglich ihres Verhaltens. Bisher wurden die Fische mit diesem künstlichen Gendefekt genutzt, um deren komplexe Stoffwechselstörungen zu untersuchen.

Nun gaben die japanischen Behörden grünes Licht für die Vermarktung, das heißt, die Gen-Fische dürfen in Aquakulturen gemästet und als Lebensmittel verkauft werden. Auch Patente wurden bereits angemeldet. So erhoffen sich verschiedene Unternehmen, mit den schwereren Fischen größere Gewinne einfahren zu können. Mit Hilfe von CRISPR/Cas züchteten japanische Forscher bereits "gen-editierte" Tomaten mit einem fünf Mal höheren Gehalt an Gamma-Amino-Buttersäure – ein wichtiger Botenstoff, der entspannend und Blutdruck senkend wirkt.

Mit genveränderten Meerbrassen, Kugelfischen und Tomaten ist Japan weltweit führend bei der Vermarktung von Pflanzen und Tieren der Neuen Gentechnik. Dabei wurde keiner dieser genveränderten Organismen einer eingehenden Risikoprüfung unterzogen, kritisiert der Geschäftsführer von Test Biotech [8], Institut für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie.

Werde die Funktion natürlicher Gene anhand von Methoden der Neuen Gentechnik blockiert und keine zusätzlichen "Fremdgene" eingefügt, gehe man davon aus, dass keine Risiken für Mensch und Umwelt bestünden. Dies sei wissenschaftlich falsch. Denn weil es sich um eine komplexe gentechnische Veränderung handelt und das blockierte Gen an vielen Stoffwechselprozessen beteiligt ist, könne es unbeabsichtigte Nebenwirkungen geben.

Zum Beispiel könnte sich die Zusammensetzung des Fischgewebe ändern, oder die Tiere werden anfälliger gegenüber Krankheiten und Infektionen. In Folge dessen steigt der Arzneimitteleinsatz in den Aquakulturen Ethische Fragen, Tierwohl und Tiergesundheit sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Werde die Neuen Gentechnik unzureichend reguliert, könnte dies verheerende Auswirkungen haben, warnt der Veterinärmediziner.

Kommen bald Patente auf neue Gentechnik?

In der EU könne es bald zu einer ähnlichen Entwicklung kommen. Geht es nach aktuellen Plänen der EU-Kommission, so soll der Einsatz der Gen-Schere CRISPR/Cas weitgehend dereguliert [9] werden.

Kürzlich verhandelte das Europäische Patentamt (EPA) über ein Patent auf die Gen-Schere CRISPR/Cas (EP 3401400), an dem auch die Nobelpreisträgerinnen Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier beteiligt sind. Eine Entscheidung wird frühestens Mitte Februar 2022 erwartet.

Weil die Patentansprüche unter anderem Eingriffe in die menschliche Keimbahn und befruchtete Eizellen umfassen und somit auch Tiere und Pflanzen betroffen sind, legte Test Biotech aus ethischen Gründen Einspruch ein [10]. Die Wissenschaftler warnen vor hohen wirtschaftlichen Erwartungen, die mit der Verwertung von Patenten einhergehen.

Zudem stellen sich auch ethische Fragen, die über das Patentrecht hinausgehen. Innerhalb der EU geht es vor allem auch um eine Reihe von Patenten auf Anwendungen in der Landwirtschaft der EU. So wurde vor allem die Verwendung der so genannten New Genomic Techniques in Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen untersucht, die zu Lebensmitteln verarbeitet oder in industriellen und Pharmaprodukten Anwendung finden. Vor allem geht es um die Frage, inwieweit die Neue Gentechnik einen "Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten" und wie "Bedenken ausgeräumt" werden können.

Gleichzeitig üben Institutionen und Unternehmen, die diese Patente anmelden, Druck auf die Politik aus, um die Zulassung gentechnisch veränderter Organismen zu beschleunigen. So wird von verschiedenen Seiten gefordert, das deutsche Embryonenschutzgesetz zu lockern.

Gentech-Bakterien gefährden die Lebensmittelsicherheit

Seit einiger Zeit werden gentechnisch veränderte Bakterien auch verwendet, um Enzyme und Vitamine für die Lebensmittelindustrie zu produzieren. Dabei gelangen die Gen-Bakterien immer wieder unbeabsichtigt in die Prozesse der Lebensmittel- und Futtermittelherstellung, wie Wissenschaftler kürzlich herausfanden [11].

So wurden in den letzten Jahren in rund 20 EU-Ländern mehr als ein Dutzend Fälle entdeckt. Die gentechnisch veränderten Bakterien verfügen über Resistenzgene gegenüber Antibiotika, die mit Darmbakterien ausgetauscht werden können. Kürzlich wurden lebensfähige Gen-Bakterien unter anderem in Proben von so genannten Proteasen entdeckt, die als Enzyme zur Verarbeitung von Lebens- und Futtermitteln eingesetzt werden. Im konkreten Fall handelte es sich um chinesische Import-Produkte.

Im Erbgut der untersuchten Bakterien fanden sich unter anderem Genkonstrukte, die Resistenzen gegenüber mehreren Antibiotika enthielten. In der EU gilt in diesem Fall Null-Toleranz im Endprodukt. Das heißt, die Produkte dürfen nicht mit der DNA von Gentechnik-Bakterien verunreinigt sein. Andernfalls kann es zu einer Übertragung von genveränderten Bakterien auf pathogene Keime kommen. Einen solchen Fall beschrieben belgische Wissenschaftler in einer aktuellen Studie [12]

Zudem fanden sich zusätzliche Genkonstrukte und fehlerhafte Genkopien an unerwarteten Stellen im Erbgut der Mikroben. Hierin lägen erhebliche Risiken für die Lebensmittelsicherheit und die öffentliche Gesundheit, schreiben die Autoren.

In einem früheren Fall von 2018 hatte die Europäische Lebensmittelbehörde (EFSA) bereits gesundheitliche Risiken durch die Kontamination mit Gen-Bakterien festgestellt. Damals fand man lebensfähige Bakterien in Futtermitteln, die zur Produktion von Vitaminen eingesetzt wurden. Auch 2020 wurden in Proben von Amylase-Enzymen, die vor allem in Backwaren verwendet werden, Spuren von genveränderten Bakterien gefunden. Viele der verunreinigten Produkte stammten aus Deutschland.

Allerdings kann mit den aktuellen Nachweisverfahren nur ein Teil der möglichen Fälle entdeckt [13] werden. Die Anzahl der tatsächlichen Fälle bleibt im Dunkeln. Wissenschaftler fordern daher, geeignete Nachweisverfahren für jede Zulassung zur Verfügung zu stellen.

Zwar müssen die Enzyme seit einigen Jahren eine Risikobewertung durchlaufen, diese jedoch deckt längst nicht alle relevanten Bereiche ab. So bleibt unklar, inwieweit die Enzyme in den fertigen Lebensmitteln noch aktiv sind. Zudem werde der Einsatz auf den Produkten nicht gekennzeichnet. Sollte die EU-Kommission die gesetzlichen Vorgaben im Zusammenhang mit der Neuen Gentechnik lockern, könnten sich die Probleme durch fehlende Nachweisverfahren weiter verschärfen, geben die Autoren von Test Biotech zu Bedenken.

Anstatt mehr Gentechnik braucht es einen Systemwandel

In die neuen Gentechnikmethoden werden große Hoffnungen gesetzt: Sie sollen zur Ernährungssicherung, zum Erhalt der Artenvielfalt und zur Klimaanpassung der Landwirtschaft beitragen. Diese Erwartungen seien unrealistisch und basieren größtenteils auf reinen Annahmen, kritisiert Jan Plagge [14] vom Bioland-Verband.

Denn die Agro-Gentechnik betrachtet nur Ausschnitte der Probleme und vernachlässigt die Gesamtproblematik. Daher seien alte und neue Gentechnikmethoden mit erheblichen Risiken für Organismen, Stabilität der Ökosysteme und unsere Lebensgrundlagen verbunden. Der Bioland-Präsident fordert eine strenge Regulierung mit Risikoprüfung und transparenter Kennzeichnung.

Landwirte und Verbraucher sollen erkennen, in welchen Produkten gentechnisch veränderte Organismen eingesetzt wurden. Vorsorgeprinzip und Transparenz seien ausreichend, um die Anwendung der neuen Gentechniken zu regulieren, glaubt der Bioland-Präsident. Bioland setze sich auf EU- und Bundesebene dafür ein, dass diese Regulierung, wie sie auch im aktuellen EU-Gentechnikrecht verankert ist, bestehen bleibt. In diesen Bestrebungen erhofft sich Plagge von der neuen Bundesregierung nun wirksame Unterstützung.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-6296759

Links in diesem Artikel:
[1] https://regional.fish/en/farming/
[2] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0044848617324705?via%3Dihub
[3] https://www.transgen.de/tiere/392.gentechnisch-veraenderter-lachs.html
[4] https://www.agrarheute.com/tier/rind/weiss-blaue-belgier-muskelpakete-portrait-517956
[5] https://www.transgen.de/blog/2746.texel-schafe-genome-editing-tierzucht.html
[6] https://the-japan-news.com/news/article/0007936055
[7] https://www.testbiotech.org/aktuelles/falscher-fortschritt-kranke-crispr-kugelfische
[8] https://www.testbiotech.org/aktuelles/falscher-fortschritt-kranke-crispr-kugelfische
[9] https://ec.europa.eu/food/plants/genetically-modified-organisms/new-techniques-biotechnology/ec-study-new-genomic-techniques_en
[10] https://www.testbiotech.org/aktuelles/crispr-patent-der-schwebe
[11] https://www.nature.com/articles/s41598-020-63987-5
[12] https://www.mdpi.com/2304-8158/10/11/2637.
[13] https://www.testbiotech.org/aktuelles/gentechnik-bakterien-gefaehrden-lebensmittelsicherheit
[14] https://www.bioland.de/presse/pressemitteilungen/news-detail/neue-gentechniken-sind-keine-loesung