zurück zum Artikel

Genetisch manipulierte Immunzellen bekämpfen Krebs

Zwei T-Zellen (rot) greifen eine Krebszelle (weiß) an. Bild: Rita Elena Serda, Duncan Comprehensive Cancer Center at Baylor College of Medicine, National Cancer Institute, National Institutes of Health/CC By-NC-2.0

In den USA kommt die erste Gentherapie für aggressiven Blutkrebs auf den Markt, doch schwere Nebenwirkungen und hohe Kosten bleiben ein Problem

Patienten, dem Tode nah, dürfen wieder auf ein langes Leben hoffen - bei neuen Krebstherapien gehört diese Einleitung zum festen Repertoire. Doch selten kam sie der Wirklichkeit so nah wie bei den CAR-T-Zellen, die Gen- und Zelltherapie auf geschickte Weise vereinen. Ihre Effizienz und Präzision setzt dabei neue Maßstäbe.

Schon die ersten Versuche im Jahr 2010 erregten große Aufmerksamkeit, die sich mit jeder weiteren Studie fast bis zur Begeisterung steigerte. Die US-Arzneimittelbehörde musste dann auch nicht lange überlegen: Nur wenige Monate nach dem Antrag erteilte sie am 30. August diesen Jahres der ersten CAR-T-Zelltherapie die Zulassung. Und schon in wenigen Wochen will der Pharmakonzern Novartis damit beginnen, Patienten mit einer aggressiven Form der akuten lymphatischen Leukämie (ALL) zu behandeln.

Die Zulassung gilt allerdings nur für schwere Fälle: Kinder und junge Erwachsene, die auf andere Behandlungen nicht ansprechen oder bereits mindestens zwei Rückfälle erlitten haben. Die Aussichten dieser Patienten sind eher schlecht, nur etwa 16 bis 30 % dürfen auf ein längeres Leben hoffen.

Künstlicher Rezeptor für körpereigene Immunzellen

Die CAR-T-Zellen von Novartis (Handelsname Kymriah) können da deutlich bessere Daten vorweisen. Bei 52 von 63 Patienten, die an einer zentralen Studie teilnahmen, waren die Krebszellen nach drei Monaten nicht mehr auffindbar. Erste Daten deuten an, dass nach einem Jahr noch etwa 60 % der Teilnehmer frei von allen Anzeichen der Krankheit sein werden. Wer es bis zu diesem Punkt schafft, hat gute Chancen auf ein langfristiges Überleben.

Ausgangspunkt der Therapie sind körpereigene Immunzellen, die im Labor eine entscheidende Modifikation erfahren: Sie werden mit einem künstlichen Rezeptor ausgestattet, dem chimeric antigen receptor (CAR). Wie die Chimäre aus der Mythologie vereint der CAR mehrere Komponenten, die Forscher von natürlichen Proteinen entlehnt haben. Herzstück ist das Fragment eines Antikörpers, der das Molekül CD19 erkennt - ein Merkmal, das alle Krebszellen der ALL-Patienten teilen.

Zusätzlich enthält der CAR auch Signaldomänen, die bestimmte Immunzellen aktivieren und den Kampf gegen Krebs einläuten. Diese T-Zellen werden aus dem Patienten isoliert und im Labor mit dem künstlichen CAR ausgestattet. Nach einer etwa dreiwöchigen Vermehrungsphase erhält der Patient sie als gentechnisch veränderte CAR-T-Zellen zurück, und der künstliche Rezeptor erlaubt die Erkennung und Eliminierung der vormals ignorierten Krebszellen.

Ein gefährlicher Zytokinsturm

ALL soll nur die erste von viele Krebserkrankungen sein, denn die Konstruktion des CAR eröffnet eine Vielzahl von Optionen: Die einzelnen Komponenten des Rezeptors agieren wie eigenständige Module, die nach Belieben ausgetauscht und kombiniert werden können. Zumindest theoretisch sind der Entwicklung kaum Grenzen gesetzt. So kann der Austausch des Antikörper-Fragments CAR-T-Zellen erzeugen, die sich gegen andere Arten von Krebs richten. Und durch den Einbau weiterer Module wäre es möglich, die Aktivität der Zellen im Verlauf der Therapie zu steuern.

Letzteres wäre eine große Hilfe, denn die hohe Aktivität der CAR-T-Zellen hat auch ihre Schattenseiten. Kymriah beseitigt nicht nur Krebszellen, sondern auch alle B-Lymphozyten und damit eine wichtige Gruppe von Immunzellen. Ein anhaltender Immundefekt ist die Folge, der allerdings durch die Transfusion von Antikörpern weitgehend kompensiert werden kann.

Schwerer zu beherrschen ist eine andere Nebenwirkung, der sogenannte Zytokinsturm: Die starke Aktivierung des Immunsystems löst eine schwere Entzündungsreaktion aus, die den Patienten an den Rand des Todes bringen kann. Ein tagelanger Aufenthalt in der Intensivstation ist keine Seltenheit. Im Gegensatz zu anderen Studien sind bei Kymriah noch keine Todesfälle aufgetreten, aber das Risiko bleibt dennoch beträchtlich. Das ist einer der Gründe, warum CAR-T-Zellen auf absehbare Zeit nur das Mittel der letzten Wahl darstellen werden.

Hohe Kosten sorgen für Kontroversen

Ein weiterer Grund sind die enormen Kosten. Mit 475.000 US-Dollar schlagen allein die CAR-T-Zellen zu Buche, die wochenlange Betreuung im Krankenhaus ist dabei noch gar nicht eingerechnet. In Wirtschaftskreisen gilt das zwar als günstig, da eine offizielle britische Studie [1] unter Umständen sogar einen Preis von bis zu 650.000 US-Dollar als gerechtfertigt sieht. Doch bei Patientenvereinigungen ist die Empörung groß, besonders da die Entwicklung der CAR-T-Zellen anfangs mit Steuergeldern finanziert wurde.

Um die Gemüter zu beruhigen, zeigt Novartis Entgegenkommen: Die Zahlung wird nur fällig, wenn die Patienten innerhalb der ersten 30 Tage auf die Behandlung ansprechen. Dieses Versprechen grenzt jedoch an Augenwischerei, da CAR-T-Zellen anfangs fast immer eine Wirkung zeigen - der langfristige Erfolg lässt sich jedoch frühestens nach sechs bis zwölf Monaten abschätzen. Um die Kosten spürbar zu reduzieren, müsste Novartis die Frist von 30 Tagen deutlich verlängern.

Als Rechtfertigung für den hohen Preis werden zwei Gründe ins Feld geführt. Da sind zum einen die Herstellungskosten der CAR-T-Zellen, die pro Patient etwa 50.000 US-Dollar betragen sollen. Zum anderen müssen die Entwicklungskosten der Therapie auf eine kleine Zahl von Patienten umgelegt werden, da es sich bei der ALL um eine seltene Krankheit handelt. Deutschland verzeichnet nur etwa 1000 Neuerkrankungen pro Jahr, meistens Kinder und Jugendliche, von denen etwa 90 % bereits mit den bisherigen Therapien geheilt werden können.

Weitere Krankheiten

In absehbarer Zeit werden zwar weitere Formen von Leukämien und Lymphomen mit CAR-T-Zellen behandelt werden, doch auch diese Krankheiten sind eher selten. Um einen wirklichen Durchbruch bei der Krebsmedizin zu erreichen, müsste auch die Therapie von weit häufigeren Tumoren in festen Geweben wie Brust, Haut und Prostata gelingen. Doch deren Behandlung ist wesentlich schwieriger, erste klinische Studien konnten bislang wenig überzeugen.

In den CAR-T-Zellen spiegelt sich damit das Dilemma der modernen Krebsmedizin: Jeder neue Ansatz hilft nur einer kleinen Zahl von Patienten, verursacht aber gewaltige Kosten. Pharmakonzerne streichen hohe Profite ein, sind aber dennoch für die Entwicklung unverzichtbar. Und die finanzielle Belastung der Gesundheitssysteme wird immer größer.

CAR-T-Zellen werden viele Menschenleben retten, das steht außer Frage. Sie zeigen aber auch, dass der medizinische Fortschritt seinen Preis hat. Die Frage ist, wie lange die Gesellschaft noch bereit ist, dafür zu zahlen.

Der Autor bietet einen Newsletter [2] an, der über neue Entwicklungen bei CAR-T-Zellen und der Gentherapie informiert.

3/3


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3824582

Links in diesem Artikel:
[1] https://doi.org/10.3310/hta21070
[2] http://www.wissensschau.de/newsletter/newsletter_aktuell.php