Geoinformationssysteme werden IT-Mainstream
Auf der Intergeo 2000 trafen Fernerkundsdaten-Broker auf Geo-Cyborgs, um sich über die Zukunft der Karthographie zu verständigen
Die Intergeo, die weltweit größte Veranstaltung für Geodäsie und Geoinformatik, schaffte auch in diesem Jahr ein Forum, auf dem Wissenschaftler und Fachkräfte aus siebzehn Nationen zusammenkamen, um sich auf dem Berliner Messegelände über die Erfassung der Erdoberfläche, die damit verbundene Produktion von Geoinformationen und deren Abbildung in Karten auszutauschen. Was mit tragbaren, GPS-gestützten Stadtinformationssystemen und kommerziell vertriebenen Satellitenbildern in letzter Zeit für Furore gesorgt hatte, ist nur die Spitze eines Eisbergs: Selbsteinschätzungen zufolge ist der Geodät - Landvermesser gilt mittlerweile als Beleidigung - schwer im Kommen und die Branche kurz vor dem großen Durchburch.
Auf dem Messeteil, der, wie die Veranstalter nicht müde werden zu betonen, dieses Jahr wesentlich größer ausgefallen ist als letztes Jahr, ging es zu wie in einem ICC zu Cebit-Zeiten. Seltsame Globusmodelle aus der Sicht der einzelnen Bundesländer sorgten zwar im Foyerdurchgang für Befremdung. Ansonsten funkelte es nur so vor lauter farbenprächtigen Satellitenbildern, Weltraumaufnahmen von noch unerforschten Himmelskörpern, Stadtansichten aus der Luftperspektive, etc.. Durch die dichtgedrängten Besuchermassen navigierten Geodäten-Cyborgs, schwerbeladene Angestellte mit futuristischen Messinstrumenten an allen Körperteilen, ausgestattet mit einem elektronischen Kompass mit DGPS-Empfänger, Laserscanner inklusive integrierter CCD-Kameraeinheit, einem Neigungssensor und einem Mobile Assistant MA IV von Xybernaut, ein leichter und kompakter Computer, der die Datenerfassungsquellen in seinem GIS bündelte, wobei die Steuerung komplett über Spracheingabe erfolgte. Man hatte es schon immer vermutet: Landvermesser in Gear stellen die meisten derzeit im Handel favorisierten Cyborg-Prototypen in den Schatten. Technologie dient ihnen zu mehr als Konsum und Kommunikation. Mit Antennen und Sensoren ausgestattet, ertasten und filtern sie als Raumforscher die Welt um sie herum und werden auf diese Weise eins mit ihr. In den Messehallen sahen sie sich indes Geodaten-Brokern gegenüber, was den Sci-Fi-Effekt nicht gerade minderte.
Messestände mit funktionaler, nichtsdestrotz äußerst modischer Arbeitskleidung, so genannte Artikel für den Vermessungs-Aussendienst, deuteten jedoch nicht den direkten Weg ins Space Age, vielmehr war spätestens dann klar, dass Massenakzeptanz gefragt war. Denn an den anderen Ecken lauerten smarte Verkäufer, die predigten, dass die New Economy mittlerweile nicht mehr ohne Geoinformatiosnsysteme (GIS) auskomme, weil eben schon alles, von der Pike auf auch immer räumlich geplant und erwirtschaftet werde. Grundsätzlich seien 80% aller gespeicherten Informationen räumliche Daten und damit in einem Geoinformationsystem nutzbar. Angeblich auch kommerziell: Immobilien-Portale, wie der erste deutsche Internetauftritt für alle Themen rund um die Immobilie, Anbieter von Routenplanungen, sowie touristische Informationsysteme sind dabei nur die offensichtlichsten aller Möglichkeiten, die Geodäsie im IT-Business zu etablieren. Eine weniger bekannte, aber umso interessantere Anwendung findet sich im Haushalt der EU. So werden jährlich 20 000 Anträge auf Agrarsubventionen binnen weniger Monate gefiltert und Ausgleichszahlungen aus einem 25 Milliarden Euro umfassenden Fördertopf gesteuert. Durchführung und Kontrolle übernimmt ein GIS.
Instabile Karten, demokratische Geodaten und das Problem der Kompatibilität
Die Stimmung auf dem gleichzeitig stattfindendem 85. Geodätentag war nicht weniger euphorisch, letztenendes aber doch reflektiver. Vertreter von Firmen, Forschungsintitutionen und Verwaltungen wie der AdV spekulierten auf dem Kongress über die Zukunft der Karthographie, gaben aber auch Problemfelder zu bedenken.
Seit 28 Jahren verfügt man nun über weltraumgestützte Daten, über 100 Sensoren sind in diesem Zeitraum in den Weltraum gelotst worden. Doch nicht nur Erdbobachtungssateliten nehmen stetig zu. Nicht zu letzt durch ihre kommerzielle Nutzung seit Mitte der 90er nehmen auch die verfügbaren Daten in einem unermesslichen Umfang zu. Spätestens seit dem Launch des privatwirtschaftlichen Ikonos-Satelliten im September letzten Jahres, ist das Kaufen und Sammeln von Satelliten-Bildern auch eine Sache für die ganze Familie. Was unter anderem zu Diskussionen um die Demokratisierung der Außenpolitik geführt hat, beschäftigt indes auch Datenbank-Architekten und Archivare.
Professor Struntz erläuterte am zweiten Kongresstag, dass sich erst 1991 die so genannte Arbeitsgruppe TC 287 zusammengefunden hatte, um geografische Informationen künftig unter den Richtlinien des europäischen Komitees für Standardisierung (CEN) bereitzustellen. In mühsamer Kleinstarbeit hatte man sieben Jahre an diesem Projekt gearbeitet, während Mitte der 90er, also noch später, auf internationaler Ebene der Ruf nach Normierung laut geworden war. Derzeit ist man damit beschäftigt, die CEN-Normen mit dem ISO-Standard abzugleichen. ISO, was auf Englisch, Russisch und Französisch "gleich" bedeutet, ursprünglich allerdings aus dem Griechischen kommt, soll nun Geodäten weltweit an einem Strang ziehen lassen. Geoinformationen aus Afrika werden für Datenverarbeitungssysteme in Kuala Lumpur genauso lesbar sein, wie karthografische Erhebungen aus der Mongolei.
Einigen kommt diese Entwicklung sehr entgegen. So werden die neuen, aktivistischen Felder der Karthographie, die sich zum Beispiel aus der Verbindung von Karten mit Daten der Bevölkerungsstruktur, dem Ausstoß von industriellen Abgasen und den Krebserkrankungen ergeben, auf einen neuen Boden gestellt. Mittels dynamischer Fernerkundungsdatenaquise erzeugte Flüchtlings- oder Katastrophenweltkarten nehmen einen Stellenwert ein, wie einst die im Geografieunterricht so gängigen Prototypen, etwa die politische oder klimatische Weltkarte. Was könnte schließlich die Macht des Bildnachweises überbieten - im Kosovo waren es bekanntlich Opferbilder, die den Krieg legitimierten -, wenn nicht Real-Time-Visualisierungen von präzisen Statistiken? Und vergessen wir nicht - selbst die Macher von SunScreenPC erinnern uns daran: "Seeing is believing".
Letztenendes werden Menschrechtsorganisationen, bzw. NGOs im allgemeinen, jedoch erst dann auf lange Sicht mitreden können, wenn sie es schaffen, die besagte Flut von Daten auch zu archivieren. Bei der etwas vernachlässigten Diskussion um digitalen Erhalt könnte das von Professor Runge (Deutsches Fernerkundungszentrum) vorgestellte EOWEB von Interesse sein. Als robotergesteuertes, um bis zu 300 Terrabyte Speicherplatz erweiterbares Online-Archiv, ermöglicht es dem Nutzer auch auf andere, externe Datenbanken und Archive zuzugreifen und diese nach visuellen Daten von räumlichen Prozessen zu scannen, wohin kein menschliches Auge reicht.